Kompressionstherapie bei chronischen Wunden

Chronische Wunden am Unterschenkel können über Wochen, Monate oder sogar Jahre bestehen. Über 70 % dieser chronischen Wunden sind Folge einer chronischen Veneninsuffizienz. Daher gehört die Kompressionstherapie oft zur Basistherapie chronischer Wunden am Unterschenkel.[1]

Im Folgenden soll auf wichtige Gesichtspunkte der Kompressionstherapie im Allgemeinen und bei chronischen Wunden am Unterschenkel insbesondere eingegangen werden.

Phasengerechte Kompressionstherapie

In der Kompressionstherapie bei chronischen Wunden werden drei Phasen unterschieden.

In der Entstauungsphase wird das Ödem möglichst vollständig beseitigt, in der längerfristigen Therapie- und Erhaltungsphase wird das Wiederauftreten des Ödems während der Wundbehandlungsphase verhindert und in der letzten Phase der Prävention wird durch eine Kompressionstherapie das Rezidiv des Ulcus cruris venosum vermieden.2

Kompressionsmittel in der Entstauungsphase

In der Entstauungsphase kommen Kompressionsbandagen oder medizinische adaptive Kompressions­systeme zum Einsatz. Bei dem Einsatz von Bandagen können unter Mehrkomponentensystemen schnellere Wundheilungen als unter Einkomponentensystemen erzielt werden. Während Bandagen in der Regel nicht vom Patienten selber angelegt werden können, ist dies bei medizinischen adaptiven Kompressionssystemen häufig möglich, sodass derartige Systeme insbesondere für Patienten gut geeignet sind, die ohne Hilfspersonen bei der Verbandanlage auskommen wollen.

Kompression in der Erhaltungsphase

In der Therapiephase von chronischen Wunden sind sogenannte Ulkus­kompressionsstrumpf-Systeme besonders gut geeignet, da sie einerseits einen definierten konstanten Kompressionsdruck erreichen können und andererseits häufig weniger dick auftragen als Mehrkomponenten-Bandagensysteme und daher auch in normalem Schuhwerk getragen werden können. In der Regel sind hier vorgefertigte Rundstrickprodukte ausreichend. Flachstrickversorgungen sind lediglich bei ungewöhnlichen Beinformen mit großen Kalibersprüngen und/oder tiefen Hautfalten erforderlich.2

Wenige Kontraindikationen

Die aktuelle Leitlinie nennt als Kontraindikationen für die medizinische Kompressionstherapie:

  • Fortgeschrittene periphere arterielle Verschlusskrankheit (Knöchel-Arm-Index < 0,5 oder Knöchelarteriendruck < 60 mmHg oder Zehendruck < 30 mmHg oder tcPO2 < 20 mmHg am
    Fußrücken)
  • Dekompensierte Herzinsuffizienz (NYHA 3 und 4)
  • Septische Phlebitis
  • Phlegmasia coerulea dolens

 

Das Wichtigste zur Kompression bei chronischen Wunden

  1. Individualisierter Einsatz der Kompressionstherapie: Mehrkomponenten-Bandagen in der Entstauungsphase, Ulkuskompressionsstrumpf-Systeme in der Erhaltungsphase, spezielle Mehrkomponenten-Bandagensysteme bzw. spezielle Kompressionsstrümpfe der Klasse I bei begleitender peripherer arterieller Verschlusskrankheit.
  2. Diagnostik bei chronischen Unterschenkelwunden: Bestimmung des Knöchel-Arm-Druckindex und Duplexsonografie der Beinvenen.
  3. Varizenelimination beschleunigt die Abheilung und senkt die Rezidivrate venös bedingter Unterschenkelulzerationen.

Zu beachten ist, dass wirklich nur die fortgeschrittene periphere arterielle Verschlusskrankheit und die dekompensierte Herzinsuffizienz als Kontraindikation gelten. So sind bei einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit selbst stärkeren Ausmaßes nur in Ausnahmefällen (sehr schwere Polyneuropathie unter Ausschaltung des Schmerzempfindens) Gewebeschädigungen durch eine Kompressionstherapie zu erwarten. Patienten mit einer fortgeschrittenen peripheren arteriellen Verschlusskrankheit im Sinne der Kontraindikation in der Leitlinie zeigen klinisch in der Regel eine stark reduzierte Gehstrecke von deutlich unter 100 Metern oder sogar einen Ruheschmerz. Bei Menschen mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit können spezielle Mehrkomponenten-Bandagensysteme für Patientinnen und Patienten mit einem Knöchel-Arm-Index zwischen 0,5 und 0,8 eingesetzt werden. Auch im Bereich der Kompressionsstrümpfe gibt es inzwischen Modelle (in der Regel Kompressionsklasse I), die speziell für den Einsatz bei Patientinnen und Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit entwickelt und geprüft worden sind.3 Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz, die noch in der Lage sind, ein bis zwei Etagen Treppen zu steigen oder einen Ruhepuls unter 100 aufweisen, gelten in der Regel nicht als dekompensiert.

Gründe für engmaschigere Kontrollen der Kompressionstherapie

In bestimmten Situationen sollte zu Beginn einer Kompressionstherapie die Dichte der klinischen Kontrollen erhöht werden. Dies gilt insbesondere bei Patientinnen und Patienten mit ausgeprägten nässenden Dermatosen, fraglicher Unverträglichkeit von Kompressionsmaterialien oder schweren Sensibilitätsstörungen der Extremität wie z. B. bei einer fortgeschrittenen peripheren Neuropathie. Die meisten Menschen mit einer diabetischen Polyneuropathie können problemlos mit einer Kompressionstherapie behandelt werden!

Varizen bei chronischen Wunden

Abschließend sei hervorgehoben, dass die Kompressionstherapie eine ursachen-eliminierende Therapie nicht ersetzen, sondern ergänzen sollte. Venös bedingte Unterschenkelulzerationen heilen signifikant schneller ab, wenn die pathophysiologisch relevante Varikose eliminiert wird. Hierfür stehen eine Vielzahl von minimalinvasiven Techniken wie die endoluminal-thermisch- ablativen Verfahren oder die nicht-operative Schaumsklerosierung zur Verfügung. Hiervon profitieren gerade auch Patientinnen und Patienten im fortgeschrittenen Lebensalter. Auch die Häufigkeit von Ulkusrezidiven nach Abheilung kann durch eine varizeneliminierende Therapie signifikant gesenkt werden.4,5

 

Literatur

1 Shi C et al. Cochrane Database Syst Rev. 2021 Jul 26;7(7): CD013397. DOI: 10.1002/14651858.CD013397.
2 Rabe E et al. Medizinische Kompressionstherapie der Extremitäten mit medizinischem Kompressionsstrumpf (MKS), phlebologischem Kompressionsverband (PKV) und medizinischen adaptiven Kompressionssystemen (MAK): S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie (DGP) in Kooperation mit folgenden Fachgesellschaften: DDG, DGA, DGG, GDL, DGL, BVP. Hautarzt. 2021 Feb;72(2): 137-152. German. DOI: 10.1007/s00105-020-04734-9. PMID: 33301064.
3 Stücker M et al. J Dtsch Dermatol Ges. 2020 Mar;18(3): 207-213. DOIi: 10.1111/ddg.14042.
4 Gohel MS et al. BMJ. 2007 Jul 14;335(7610): 83. DOI: 10.1136/bmj.39216.542442.BE. Epub 2007 Jun 1.
5 Gohel MS, Heatley F, Liu X et al. N Engl J Med. 2018 May 31;378(22): 2105-2114.

 

Kontaktadresse:

Prof. Dr. med. Markus Stücker
Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie
Venenzentrum der Dermatologischen und Gefäßchirurgischen Kliniken
Kliniken der Ruhr-Universität Bochum
Im St. Maria-Hilf-Krankenhaus
Hiltroper Landwehr 11–13
44805 Bochum
Tel. 0234 8792-377
markus.stuecker@klinikum-bochum.de
www.venenzentrum-uniklinik.de 

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