Diabetes und Schwangerschaft für die internistische und hausärztliche Praxis

Es wird unterschieden zwischen dem Gestationsdiabetes (GDM) und Schwangerschaften bei präkonzeptionellem Typ-1- und Typ-2-Diabetes (präkDM) wegen der sehr unterschiedlichen Pathophysiologie und Morbidität und des daraus folgenden unterschiedlichen Interventionsbedarfs. Bei 2% der Glukosetoleranzstörungen in der Schwangerschaft soll ein monogenetischer MODY-Diabetes vorliegen.


   
 

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Die Teilnahme ist bis zum 24.01.2025 möglich.

 
   

Einleitung und Epidemiologie


Die Bundesauswertung „Perinatalmedizin (IQTIG 2022): Geburtshilfe“ gibt für das Jahr 2021 59.581 Entbindungen mit GDM und 7.954 Entbindungen bei präkDM an. Dies sind Quoten von 7,86 % bzw. 1,05 % bezogen auf den Basisdatensatz von 757.644 Entbindungen. Es gibt ernst zu nehmende Daten, die nahelegen, dass die Zahl an GDM-Fällen höher liegt und eine Untererfassung vorliegt1 und der Anteil der Schwangerschaften mit präkDM niedriger liegt2. Hausärzte und Internisten dürften Fälle mit Diabetes und Schwangerschaft nicht häufig erleben, da die Behandlung überwiegend bei Gynäkologen* und Diabetologen erfolgt. Bedeutsam ist aber die kumulative Prävalenz an Fällen mit Zustand nach GDM in der Hausarztversorgung wegen des erhöhten kardiovaskulären und Diabetes-Risikos in diesem Kollektiv in der Sekundärprävention.

 


Bedeutung


Sowohl GDM als auch besonders präkDM führen zu zum Teil erheblich erhöhten Komplikationsraten bei Mutter und Kind.

2022 wurden die Komplikationsraten aus der Bundesauswertung für die Jahre 2013 – 2019 veröffentlicht:3

Insgesamt wurden 4.991.275 Einlingsgeburten eingeschlossen, wovon für 283.210 (5,7 %) ein GDM und für 46.605 (0,93 %) ein präkDM dokumentiert war. Ein GDM war mit einem erhöhten relativen Risiko (RR) für Frühgeburt (1,13 [1,12; 1,15]), Large for Gestational Age, kurz LGA (1,57 [1,55; 1,58]), Sectio caesarea (1,26 [1,25; 1,27]) und Verlegung des Neugeborenen (1,54 [1,52; 1,55]) assoziiert. Noch stärker zeigten sich diese Zusammenhänge bei Vorliegen eines präkDM: Frühgeburt (2,13 [2,08; 2,18], LGA (2,72 [2,67; 2,77]), Sectio caesarea (1,62 [1,60; 1,64]) und Verlegung des Neugeborenen (2,61 [2,56; 2,66]). Ein präkDM erhöhte das Risiko einer Totgeburt (RR: 2,34 [2,11; 2,59]); der GDM war mit einem niedrigeren Risiko assoziiert (RR: 0,67 [0,62; 0,72]). Für Frauen mit präkDM nahm das Risiko für Schwangerschaftskomplikationen über die betrachteten Berichtsjahre zu.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Zahlen aus der Behandlungsrealität in Deutschland stammen und keine Differenzierung zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes (DM) enthalten. Im GestDiab Register, in dem diese beiden Diabetestypen separat erfasst werden, lässt sich erkennen, dass Komplikationen bei Typ-1-DM eindeutig häufiger auftreten als bei Typ-2-DM. Wichtig erscheint, dass die präkonzeptionelle Stoffwechsellage mit einem durchschnittlichen HbA1c von >7,5 immer noch deutlich zu hoch liegt und sicherlich erheblich zu den immer noch zu hohen Komplikationszahlen beiträgt.2

 


GDM


Präanalytische Bedingungen für
Nüchtern-Glukosemessungen und den oGTT

  • mind. acht Stunden Nahrungskarenz
  • Infektfreiheit
  • keine Glukose-steigernden Medikamente
  • keine Einschränkung der KH-Aufnahme an den Tagen vor dem Test

Zusätzlich beim oGTT:

  • Trinken der Zuckerlösung innerhalb von drei Minuten
  • Durchführung des Tests nicht vor 6 Uhr und nicht nach 9 Uhr
  • 2 Stunden sitzen oder liegen
  • nicht Rauchen
  • nach einer bariatrischen Operation ist der oGTT kontraindiziert

Akute Folgen für das Kind

Das erhöhte intrauterine Glukoseangebot führt zu einer gesteigerten fetalen Insulinsekretion, alle Symptome der „diabetischen Fetopathie“ beruhen auf dem fetalen Hyperinsulinismus. Der wachstumssteigernde Effekt des Insulins insbesondere auf das weiße Fettgewebe ist mit einem erhöhten Geburtsgewicht verbunden, zudem erfolgt eine Deposition von Glykogen im Herzmuskel. Man spricht von Makrosomie, wenn ein Geburtsgewicht von über 4.000 g vorliegt. Da diese Definition nicht das Schwangerschaftsalter berücksichtigt, ist die Angabe LGA präziser, da diese Definition das Gestationsalter bei Geburt berücksichtigt und für ein Geburtsgewicht über der 90. Perzentile steht.

Infolge eines erhöhten intrauterinen Erythropoetinspiegels steigt der fetale Hämatokrit. Die fetale ­Surfactantbildung ist reduziert. Bei der Geburt zeigt sich in unterschiedlichem Ausmaß eine diabetische Fetopathie mit Hypoglykämien, Atemstörungen, Polyglobulie, Hypokalzämie, ­Hypomagnesiämie und Hyperbilirubin­ämie.4

Langzeitfolgen für das Kind

Neben dem elterlichen BMI ist die fetale Makrosomie ein weiterer unabhängiger Prädiktor für kindliches Übergewicht.4

Akute Folgen für die Mutter

Es besteht ein erhöhtes Risiko für Urogenitalinfektionen, Frühgeburt, schwangerschaftsinduzierte Hypertonie und Prä­eklampsie, Sectiones, LGA (Geburtsgewicht über 90. Perzentile), Schulterdystokie (beim Kind), postpartale Blutungen und Depression in der Schwangerschaft.

Langzeitfolgen für die Mutter

Ein erhöhtes Risiko für das metabolische Syndrom passt zur Pathogenese des GDM mit seiner diabetogenen Wirkung in die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes in Rahmen einer Veranlagung. 40 % der GDM-Patientinnen im GestDiab Register5,6 haben postpartal eine prädiabetische Stoffwechsellage.5 Das Risiko einer Diabetesdiagnose ist ca. zehnfach erhöht.7-9

Das kardiovaskuläre Risiko ist bei Frauen nach GDM eindeutig erhöht. Dies wird bei Frauen und erst recht im geburtsfähigen Alter oft unterschätzt. Folgen für weitere Schwangerschaften Bei 35 – 50 % der Schwangeren wiederholt sich der GDM bei einer weiteren Schwangerschaft, dabei ist es unter einer pathophysiologischen Betrachtung auffällig, dass die Quote nicht noch höher liegt.4

Diagnostik

GDM wird über Plasmaglukosemessungen diagnostiziert. In der Mutterschafts-Richtlinie des G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss 2023) ist ein zweizeitiges Vorgehen in der 24. bis 28. Schwangerschaftswoche vorgesehen.

Allen Frauen soll ein Provokationstest mit 50 Gramm Glukose angeboten werden. Dieser kann zu jeder Tageszeit auch nicht nüchtern durchgeführt werden. Bei einem Plasmaglukosespiegel ­ ≥ 135 mg/dl (≥7,5 mmol/l) besteht der Verdacht auf einen GDM und ein oraler Glukosetoleranztest (oGTT) soll durchgeführt werden.

Bei Werten < 135 mg/dl gilt ein GDM als ausgeschlossen. Dieser Test ist zu ca. 30 % falsch negativ bzgl. erhöhter Nüchtern-Glukosewerte.10

  
  
Tab. 1: Grenzwerte für die GDM-Diagnose beim oGTT 
Plasma- Glukose

 

nüchtern≥ 92 mg/dl5,1 mmol/l 
nach 1 Std.≥ 180 mg/dl10 mmol/l 
nach 2 Std.≥ 153 mg/ dl6,8 mmol/l 
  

Werden Glukosemessungen qualitätsgesichert nicht vor Ort durchgeführt, müssen mehrfachgepufferte Röhrchen ­(S-Monovette GlucoEXACT, VACUETTE® FC Mix, Primavette, KABEVETTE und ggf. andere) für den Transport ins Labor benutzt werden, da sonst deutliche Abfälle der Glukosemesswerte eintreten. Die Diagnose eines GDM ist bereits bei der Erhöhung von einem der Werte zu stellen, kann also auch schon mit der Nüchternglukose erfolgen. Wenn diese Messung vor Ort durchgeführt wird, kann der oGTT bei eindeutiger Erhöhung abgebrochen werden.

Bei Frauen mit Risikofaktoren soll im ersten Trimenon eine Nüchternglukose-Messung erfolgen. Bei einem Ergebnis ­ ≥ 92mg/dl (5,1 mmol/l) mit einer Bestätigung in einer Zweitmessung an einem anderen Tag wird die Diagnose GDM gestellt und die Behandlung eingeleitet. Werden die Glukosegrenzwerte für eine Diabetesdiagnose außerhalb der Schwangerschaft überschritten, kann nach einer Zweitmessung die Diagnose eines manifes­ten Diabetes gestellt werden, die Diagnose sollte allerding postprandial überprüft werden. Die Messung des HbA1c kann zusätzliche Sicherheit in der Diagnose geben.

Erhöhtes Risiko für GDM bei:

  • Zustand nach GDM
  • Geburtsgewicht ≥ 4.500 g
  • Adipositas
  • positive Familienanamnese
    für Diabetes
  • bekannter Prädiabetes
  • PCO-Syndrom
  • Ovulationsinduktion
  • Abortus habitualis ≥ 3 x aufeinanderfolgend
  • asiatische Herkunft
  • arterielle Hypertonie
  • dauerhafte Einnahme glukose-­steigernder Medikamente
  
  
Tab. 2: Glukosegrenzwerte für eine Diabetesdiagnose 
nüchtern

≥ 126 mg/dl

7,0 mmol/l

 
nach 2 Std im 75 gr. oGTT

≥ 200 mg/dl

11,1 mmol/l

 
Gelegenheitsglukose

≥ 200 mg/dl

11,1 mmol/l

 
    

Therapieziele

Das Ziel der Therapie ist es, dem Fetus ein möglichst normoglykämes Milieu zu bieten, um Komplikationen zu vermeiden. Dieses wird angenommen, wenn die Schwangere Nüchtern-Glukosewerte kleiner 95 mg/l (5,3mmol/l), postprandiale Ein-Stundenwerte ≤ 140mg/dl (7,8mmol/l) und Zwei-Stundenwerte ­
≤ 120mg/dl (6,7 mmol/l) erreicht.

Therapie

Die Behandlung des GDM besteht in Schulung, Blutglukosemessung, Bewegung und Ernährungsanpassung. Die Schwangeren sollen zunächst über die meist moderaten Risiken durch den GDM informiert werden. Dabei ist es wichtig, unnötige Ängste zu vermeiden und die Maßnahmen auf ein Mindestmaß zu beschränken. Es sollte schon früh auf die Bedeutung des postpartalen Diabetes-Screenings hingewiesen werden.

Jede Schwangere mit GDM soll mit einem Glukosemesssystem ausgestattet werden, ohne ein solches kann die Stoffwechsellage nicht beurteilt werden. Die Aushändigung eines passenden Protokollheftes ist wichtig, alternativ sollte eine passende Blutzuckertagebuch-App genutzt werden. Zunächst ist es wichtig für ca. eine Woche nüchtern und jeweils eine Stunde (ggf. auch nach zwei Std.) postprandial zu messen (4-Punkte-Profil). Dabei ist es wichtig, auch die gegessenen Lebensmittel zu protokollieren, um die glykämische Wirkung kennenzulernen. Zeigt sich ein weitgehend normales Profil, kann die Messfrequenz auf ein rotierendes System mit einer Messung pro Tag reduziert werden, aber natürlich auch öfter, wenn nötig.

Die Schulung zur Ernährung soll die grundsätzlichen glykämischen Wirkungen von Lebensmitteln vermitteln. Es wird eine Mischkost mit der Meidung schneller Kohlenhydrate, wie Haushaltszucker, süße Getränke, Süßigkeiten und Weißmehlprodukte, angestrebt. Ballaststoffreiche und gemüsereiche Kost wirkt sich mindernd auf die Glukoseanstiege aus. Zwischenmahlzeiten verteilen die glykämische Last, können aber die Beurteilung der Glukosemessungen erschweren. Für die Entwicklung einer fetalen Makrosomie ist die Gewichtszunahme in der Schwangerschaft von großer Bedeutung.11 Regelmäßige Bewegung als Ausdauerbelastung kann die Stoffwechsellage und das Geburtsergebnis verbessern und stellt eine anerkannte nicht-medikamentöse Therapie dar.
Eine Motivierung durch das Diabetesteam ist wichtig.

Bei ca. 30 % der Schwangeren wird die Indikation zu einer Insulintherapie gestellt. Nach der Leitlinie der Deutschen Diabetes Gesellschaft soll die Indikation bei einer Überschreitung der Zielwerte zu den einzelnen Messpunkten zu > 50 % erwogen werden. Oft kann erstmal eine Nachschulung bzgl. der Kohlenhydrataufnahme erfolgen.
Bei der Indikationsstellung zur Insulintherapie soll das Wachstum des fetalen Abdominalumfangs, der mit den fetalen Insulinspiegeln korreliert, berücksichtigt werden.

  
 Tab. 3: Zielwerte für die Gewichtsentwicklung
 

Präkonzept. BMI [kg/m2]

Gewichtszunahme i. d. Schwangerschaft [kg]

pro Wo. im 2.-3. Trimenon [kg]

 

< 18,5

12,5-18

0,5-0,6

 

18,5-24,9

11,5-16

0,4-0,5

 

18,5-24,9

11,5-16

0,4-0,5

 

25-29,9

7-11,5

0,2-0,3

 

≥ 30

5-9

0,2-0,3

    

Bei asymmetrischem übermäßigem Wachstum mit einem Abdomenumfang ­> 75. Perzentile und einer KU/AU-Ratio < 10. Perzentile (= ausgeprägte Kopf-Abdomen-Diskrepanz) sollten Blutzuckerwerte angestrebt werden, die tendenziell niedriger liegen.
Ein Ziel der Therapie ist eine Minderung der asymmetrischen fetalen Makrosomie.

Die Differentialindikation für eine Therapie mit Basalinsulin zur Nacht bzw. prandialem Insulin erfolgt entsprechend den Blutglukoseerhöhungen.

Metformin kann nur off-label in den GDM-Schwangerschaften gegeben werden und erfordert eine strenge Indikationsstellung. Metformin passiert die Plazenta von der Mutter auf den Feten, die Langzeitfolgen sind noch nicht gut einschätzbar.

Geburtshilfliche Betreuung

Bei Diagnose < 24+0 Schwangerschaftswochen (SSW) und zusätzlichen Risikofaktoren (erhöhte Blutglukose- und HbA1c-Werte, anamnestisch Herzfehlbildungen, Adipositas) soll auf eine frühe detaillierte sonographische Organdia­gnostik und Echokardiographie zum Ausschluss schwerer Fehlbildungen des Feten mit 11+0 bis 13+6 SSW, ggf. später, hingewiesen werden.

Dopplersonographische Untersuchungen sollen allein wegen der GDM-Diagnose nicht indiziert werden.

Bei diätetisch eingestelltem GDM sollten wöchentliche CTG-Kontrollen ab 36+0 SSW, bei Insulintherapie ab 32+0 SSW durchgeführt werden, mit an die individuelle Situation angepasster Frequenz.

Das erhöhte Risiko für Präeklampsie und Frühgeburt soll bei den Vorsorgeuntersuchungen berücksichtigt werden.

Entbindung

Die Quote an Sectiones caesarea ist bei GDM leicht erhöht.12
Schwangeren mit diätetisch eingestelltem GDM sollte die Entbindung in einer Klinik mit besonderer diabetologischer Erfahrung und angeschlossener Neonatologie angeraten werden.
Schwangere mit insulintherapiertem GDM sollen richtlinienkonform in einer Klinik mit Perinatalzentrum LEVEL 1 oder 2 entbunden werden.4

Stillen hat positive Wirkungen auf Mutter und Kind und sollte unbedingt angeraten werden.

Nachsorge

Die deutliche Erhöhung des Risikos für die Entwicklung eines Diabetes mellitus und kardiovaskulärer Erkrankungen macht eine systematische Nachsorge erforderlich.

Diese besteht zunächst in einem Screening auf Diabetes bzw. Prädiabetes in der 6. – 12. Woche postpartal mit einem oGTT wie auch sonst außerhalb einer Schwangerschaft.

Im GestDiab Register wird seit 2008 regelmäßig eine postpartale Quote an Prädiabetesdiagnosen von ca. 40 % festgestellt,2,5 ca. 5 % der Frauen haben postpartal eine Diabetesdiagnose. Diese Zahlen verdeutlichen die Bedeutung, da es sich um ca. 20 – 45-jährige Frauen handelt. Die Abschätzung des kardiovaskulären Risikos kann weitere Untersuchungen erfordern. Eine Nichtraucherintervention sollte angeboten werden.

Bei diesem Termin soll die ­dauerhafte Nachsorge besprochen und organisiert werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass viele sonst gesunde Frauen mehr Kontakt zu einem Gynäkologen als einem Hausarzt haben. Es sollte lokal abgestimmt werden wer sich zuständig sieht für die weitere Nachsorge.

Die dauerhafte Nachsorge beruht auf der Diagnose „Zustand nach GDM O24.4Z“, diese sollte als Dauerdiagnose aufgenommen werden. Es wird empfohlen jährlich (ggf. zweijährlich) die Nüchternglukose und den HbA1c zu messen. Die Besprechung eines fixen Zeitpunktes, wie z. B. der Geburtstag des Kindes, ist sinnvoll. Die Messungen können durch Hausärzte, Gynäkologen und Diabetologen veranlasst und durch Laborärzte durchgeführt werden. Der Vorteil dieser Nüchtern-Untersuchung im Vergleich zu einem oGTT ist der geringere Aufwand für alle Beteiligten. Im GestDiab Register wie auch in internationalen Daten nehmen nur ca. 40 % der Frauen das postpartale Diabetes-Screening wahr, wahrscheinlich auch wegen des hohen Zeitaufwands. Das kardiovaskuläre Risiko sollte auch dauerhaft berücksichtigt werden.

Kommunikation

Die Diagnostik, Behandlung und Nach­sorge des GDM erfordert mehrere Behandlungseinrichtungen und somit auch eine gute Abstimmung und Kommunikation zwischen den Behandlern. Diese muss lokal erfolgen.

 


Schwangerschaft bei MODY-Diabetes


Bedeutung

MODY ist eine heterogene Gruppe von 13 monogenen Diabeteserkrankungen, stellt ca. 1 – 5  % aller Diabetesdiagnosen in Europa dar und wird als häufigste Form des erblichen Diabetes angesehen.13
Durch das systematische Diabetes-Screening in der Schwangerschaft werden entsprechend viele Fälle gefunden, aber oft nicht explizit als MODY diagnostiziert. Auffällig sind betonte Nüchtern-Glukose­werte bei schlankem Habitus und dem Vorliegen eines Diabetes bei einem erstgradigen Verwandten. Da die molekulargenetische Diagnostik sehr teuer ist, wird in der Regel ein stufenweises Vorgehen gewählt.

Es gibt verschiedene Konstellationen: Wenn Mutter und Fet Genträger sind, liegt kein erhöhtes Makrosomie-Risiko vor, da beide auf dasselbe Glukoseniveau regulieren. Ist der Fet aber nicht Genträger, führt die Hyperglykämie der Mutter zu einer Metabolisierung der fetal erhöhten Glukosespiegel.

Diagnostik

Bei Nüchtern-Glukosespiegeln von ≥ 99 mg/dl 5,5 mmol/l und einem BMI < 26,3 kg/m2 soll ein optimaler cut-off für die Indikation der Gendiagnostik in der Schwangerschaft liegen.4

Behandlung

Die Behandlung erfolgt wie bei GDM oder Typ 2 DM. Eine Insulintherapie soll nur bei Feten von Schwangeren initiiert werden, wenn ein überproportionales Wachstum (AU ≥ 75. Perzentile) im Ultraschall festgestellt wurde.4

 


Schwangerschaft bei präkonzeptionell bekanntem Typ-1- oder Typ-2-Diabetes


Zu unterscheiden ist zwischen Schwangerschaften bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes. Historisch stand der Typ-1-Diabetes bei Kinderwunsch im Vordergrund und war bis vor wenigen Jahrzehnten häufig eine „Kontraindikation“ für eine Schwangerschaft. Im Klassifikationsschema zur Einteilung des Diabetes in der Schwangerschaft von Priscilla White wurde das Risiko quantifiziert. Die bedeutsamen Folgeerkrankungen wie diabetischer Retinopathie und Nephropathie sind bei den Frauen mit Kinderwunsch inzwischen selten geworden, somit steht einer Schwangerschaft bei Typ-1-Diabetes meist wenig im Wege. Die Komplikationsrate ist allerdings im Vergleich zu nichtdiabetischen Schwangerschaften immer noch erhöht.3

Nach den über die Jahre konsistenten Zahlen des GestDiab Registers sind inzwischen Schwangerschaften bei Typ-2-Diabetes häufiger als bei Typ 1, ca. 60/40 %. Sie machen ca. 5 % aller Schwangerschaften im Register aus, dies steht im Kontrast zu 13,4 % in der Bundesauswertung Perinatalmedizin: Geburtshilfe.14

Bedeutung

Mit der Publikation von Reitzle et al. 2023 wurden erstmals die Schwangerschafts-Komplikationen in der Bundesauswertung Perinatalmedizin analysiert.3

Die Morbidität ist bei einer Schwangerschaft bei Typ-1- und Typ-2-Diabetes deutlich höher als bei GDM.2 Typ-2-Diabetes-Fälle stellen inzwischen ca. 60 % der präkonzeptionellen Fälle dar. Bei Typ-1­Diabetes-Schwangerschaften sind die Frauen jünger als bei Typ 2, letztere sind adipöser und rauchen häufiger. Für beide Gruppen sind die Risiken für Totgeburt, Frühgeburt, Fehlbildungen und fetale Makrosomie erhöht, für Typ-1-Schwangerschaften noch deutlicher. Die Sectio-Quote liegt für beide Kollektive > 50 %.

Wichtig ist es auch, die Kontraindikationen für Statine, ACE-Hemmer und Inkretine bei fertilen Frauen präkonzeptionell zu beachten und andere Therapien zu indizieren.

Eine gute Kooperation und Kommunikation aller Behandler (stationär/ambulant, Gynäkologe, Diabetologe, Hausarzt, Hebamme u. a.) ist wegen der Komplikationsrisiken und der intensiven Therapie sehr wichtig.

Präkonzeptionelle Vorbereitung

Sehr wichtig ist somit die präkonzeptionelle Betreuung mit einer Optimierung der Stoffwechsellage mit HbA1c-Werten kleiner 7 %, besser kleiner 6,5 % (Bell et al.) möglichst drei Monate präkonzeptionell. Somit ist jede fertile Frau mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes in ihrer Dauerbetreuung auf die Bedeutung der präkonzeptionellen Stoffwechseloptimierung bzw. ggf. auf eine wirksame Antikonzeption hinzuweisen. Leider werden diese Ziele im Durchschnitt noch nicht erreicht, präkonzeptionell liegen die HbA1c-Werte im GestDiab-Register bei Typ-1-Diabetes zu 58 % über 7 %, bei Typ-2-Diabetes zu 28 %.

Diagnostik

Mit der Feststellung einer Schwangerschaft bei präkonzeptionell bekanntem Typ-1- oder Typ-2-Diabetes ist die Diagnose gestellt, O24.0G für Schwangerschaft bei Typ-1- und O24.1G bei Typ-2-Diabetes.

Die Frau sollte sich sehr zeitnah bei ihrer diabetologischen Schwerpunktpraxis oder Ambulanz zur Einleitung der Therapieanpassung vorstellen.

Therapieziele

Auch hier ist das Ziel der Therapie, dem Feten ein möglichst normoglykämes Milieu zu bieten, um Komplikationen zu vermeiden. Dies ist bei Typ-1-Diabetes erheblich schwieriger, wenn man bedenkt, dass die durchschnittlichen HbA1c-Werte bei Typ-1-­Diabetes über 7,5 % liegen.

Folgende Zielwerte gelten bei den kapillären Selbstmessungen:

  • Nüchtern und präprandial: 65 – 95 mg/dl (3,8-5,2 mmol/l)
  • 1 Stunde nach Beginn der Mahlzeit: ≤140 mg/dl (≤ 7,7 mmol/l)
  • 2 Stunden nach Beginn der Mahlzeit: ≤120 mg/dl (≤ 6,6 mmol/l)

Bei der Nutzung eines CGM-Systems sollte eine „Time In Range“ (TIR) für den Bereich 63 – 140 mg/dl (3,5 – 7,7 mmol/l) bei Typ-1-Diabetes von > 70 % und bei Typ-2-­Diabetes von > 90 % angestrebt werden.

Therapie

Die Behandlung besteht in einer konsequenten Umsetzung der bisherigen Therapie. Inzwischen werden alle Human- und Analoginsuline in Schwangerschaften angewandt. Umstellungen auf Neutral-Protamin-Hagedorn-Insuline (NPH-Insuline) und Humaninsuline, die oft Verschlechterungen der Profile gezeigt haben, brauchen nicht bevorzugt zu werden; bei der Entbindung sind allerdings sehr lang wirkende Insuline ungünstig, weil die Insulinversorgung nicht rasch genug angepasst werden kann.

Die Anwendung eines Systems zur kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) ist fast immer indiziert, nicht nur, um die Stoffwechsellage zu verbessern, sondern auch zur Erleichterung der telemedizinischen Betreuung. Die Umstellung auf ein Insulinpumpensystem muss in der Schwangerschaft sorgfältig abgewogen werden, da es in der Umstellungszeit zu Verschlechterungen kommen kann. AID-Systeme (automated insulin delivery) sind bislang, bis auf das System Cam APS, nicht anwendbar, da die minimalen Zielwerte zu hoch liegen. Die Entwicklung steht aber nicht am Ende und wird wahrscheinlich weitere gut brauchbare Lösungen bringen.

Wichtig ist es, die Insulinbedarfskurven insbesondere bei Typ-1-Diabetes gut zu kennen. Bis zur ca. 17. SSW ist der Insulinbedarf erniedrigt, um dann ab ca. der 20. SSW deutlich anzusteigen. Entsprechend besteht im ersten Trimenon eine erhöhte Unterzuckerungsgefahr, während später hyperglykäme Entgleisungen bis hin zu Ketoazidosen vermehrt auftreten können. Zum Ende der Schwangerschaft fällt der Bedarf meist wieder, ist um die Entbindung z. T. unter dem präkonzeptionellen Niveau, sodass eine erhöhte Unterzuckerungsgefahr besteht. Diesbezüglich sind CGM-Systeme v. a. wegen ihrer Warnfunktionen sehr sinnvoll.

Die Behandlung während einer Schwangerschaft mit Typ-1-, aber auch Typ-2-Diabetes stellt die aufwendigsten Aufgaben in der Diabetologie dar. Die anspruchsvolle Zielsetzung verlangt viel Disziplin und Aufwand von den Schwangeren, die Behandlungsteams sind maximal gefordert, mit präsenter und telemedizinischer Nachschulung und Beratung zu unterstützen.

Geburtshilfliche Betreuung

Schwangerschaften bei Typ-1- und Typ-2-­Diabetes gelten als Hochrisiko-Schwangerschaften und bedürfen intensivierter Betreuung durch Gynäkologen und Diabeto­logen.

Entbindungsvorbereitung

Es ist wichtig, die Stoffwechseltherapie um die Entbindung herum gut mit der Patientin vorzubereiten. Meist sinkt der Insulinbedarf schon vor der Entbindung und mit der Entbindung deutlich, sodass die präkonzeptionelle Insulindosierung, wenn die Stoffwechsellage gut oder auch etwas niedriger war, postpartal angesetzt werden muss.

Eine Wiedervorstellung direkt nach der Entbindung ist v. a. bei Typ-2-Diabetes sinnvoll, da vielfältigere Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Stillen

Stillen hat positive Effekte für Mutter und Kind und wird auch bei Typ-1- und Typ-2-­Diabetes empfohlen. Die übereinstimmende Empfehlung durch alle Behandler ist wichtig.

 


Resümee


Die Publikation von Reitzle 2023 hat gezeigt, dass trotz der intensiven Behandlung weiterhin das Ziel der St.-Vincent-Deklaration von 1989, normale Schwangerschaftsergebnisse zu erzielen, nicht erreicht wird.3 Handlungsoptionen sind am ehesten im Bereich der präkonzeptionellen Vorbereitung zu erkennen. Die Quote an präkonzeptionellen HbA1c-Werten > 7 % muss niedriger werden.

 


Literatur 

1. Melchior H et al. Dtsch Arztebl Int 2017;114(24): 412–418. DOI: 10.3238/arztebl.2017.0412
2. Adamczewski H 2022. Schwangerschaften bei Typ 1 und Typ 2 Diabetes - das GestDiab Register zeigt deutlichen Handlungsbedarf auf. www.windiab.de/publikationen-und-vortraege/vortraege/, zuletzt aufgerufen am 4.10.2023
3. Reitzle L et al. Dtsch Arztebl Int 2023;120(6): 81–86. DOI: 10.3238/arztebl.m2022.0387
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5. Behling M, 2022. GestDiab: Versorgungsforschung bei Diabetes und Schwangerschaft in Deutschland 2008-2021. www.windiab.de/publikationen-und-vortraege/vortraege/, zuletzt aufgerufen 4.10.2023
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7. Bellamy L et al. Lancet 2009;373(9677): 1773–1779. DOI: 10.1016/S0140-6736(09)60731-5
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12. Kaltheuner M, Vortrag beim DDG-Kongress 2019. www.windiab.de/publikationen-und-vortraege/vortraege/, zuletzt aufgerufen am 16.10.2023
13. Baumgartner-Parzer S, J Klin Endokrinol Stoffw 2019;12: 165–169. DOI: 10.1007/s41969-019-00085-6
14. IQTIG 2022, Bundesauswertung Perinatalmedizin: Geburtshilfe. iqtig.org/downloads/auswertung/2021/pmgebh/DeQS_PM-GEBH_2021_BUAW_V01_2022-06-30.pdf, zuletzt aufgerufen am 4.10.2023

Weiterführende Literatur:

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Gemeinsamer Bundesausschuss 2023, Mutterschafts-Richtlinie. www.g-ba.de/richtlinien/19/, zuletzt aufgerufen 4.10.2023
Retnakaran R et al. Lancet Diabetes Endocrinol 2019;7(5): 378–384. DOI: 10.1016/S2213-8587(19)30077-4
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Ziegler AG et al. Diabetes 2012;61(12): 3167–3171. DOI: 10.2337/db12-0393


Dr. med. Matthias Kaltheuner
winDiab gGmbH
Geranienweg 7a
41564 Kaarst
fragen@windiab.de
 

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