Ejaculatio präcox: Ursachen, Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten

Ein vorzeitiger Samenerguss, auch als Ejaculatio präcox (kurz: EP) bezeichnet, ist eine sehr häufige sexuelle Störung, die bei Männern in allen Altersgruppen auftreten kann. Das Problem beeinflusst die sexuelle Zufriedenheit und die Lebensqualität von Männern und Paaren erheblich. Wir Urologinnen und Urologen müssen eine führende Rolle bei der Diagnostik und Behandlung dieser Störung übernehmen.

Die genaue Definition und Klassifizierung der vorzeitigen Ejakulation ist umstritten. Die International Classification of Diseases (ICD-11) definiert EP als einen Samenerguss, der über einen Zeitraum von mehreren Monaten bereits vor oder kurz nach der (vaginalen) Penetration auftritt. Es besteht dabei wenig oder keine Kontrolle über die Ejakulation sowie ein entsprechender Leidensdruck.1 Die subjektive Selbsteinschätzung der Ejakulationszeit durch den Betroffenen gilt als ausreichend valide für die Diagnosestellung.

Die EAU-Leitlinien und die Inter­national Society for Sexual Medicine (ISSM) unterscheiden vier Kategorien von vorzeitiger Ejakulation:

  • Eine lebenslange vorzeitige Ejakulation besteht seit Aufnahme der sexuellen Aktivität und geht meist mit einer Ejakulation innerhalb von etwa einer Minute nach der (vaginalen) Penetration einher.
  • Eine erworbene PE tritt erst im Lebensverlauf auf und ist charakterisiert durch eine signifikante Verkürzung der Latenzzeit auf etwa drei Minuten oder weniger.
  • Zudem werden zwei weitere Kategorien vorgeschlagen: Eine „variable EP“ mit stark wechselnden Ejakulationszeiten und eine „subjektive EP“, bei der die Ejakulation trotz objektiv normaler intravaginaler Latenzzeiten als zu früh empfunden wird.2

Prävalenz

Die in Studien angegebene Prävalenz der EP variiert aufgrund der unterschiedlichen Definitionen sehr stark. Im National Health and Social Life Survey (NHSLS) in den USA wurde eine Prävalenz von 31 % bei Männern im Alter von 18–59 Jahren festgestellt.3 Europäische Studien zeigten etwas niedrigere Raten von bis zu 25 %. Nach der Klassifikation von Waldinger beträgt die Prävalenz für lebenslange EP etwa 3 %, für erworbene EP 4 % für variable EP circa 10 %und für subjektive EP immerhin 6 %.4

Epidemiologischen Daten deuten auf eine Ejakulationslatenz von weniger als zwei Minuten bei etwa 5 % der Bevölkerung hin.5 EP tritt häufiger bei schwarzen Männern, hispanischen Männern und bei Männern mit islamischem Hintergrund auf.

Leidensdruck

Eine EP beeinträchtigt das Selbstvertrauen und führt zu psychischen Problemen wie Stress, Frustration, Angst und Depressionen. Männer mit einer vorzeitigen Ejakulation sind oft unzufrieden mit ihrer sexuellen Beziehung, haben Schwierigkeiten beim Geschlechtsverkehr und sind seltener sexuell aktiv. EP kann die Partnerschaft erheblich belasten. Jede vierte Trennung ist auf eine sexuelle Funktionsstörung zurückzuführen.6

Trotzdem nehmen vier von fünf Männern (78 %) keine professionelle Hilfe in Anspruch.7 Gründe dafür sind Scham und der Glaube an fehlende Behandlungsmöglichkeiten. Männer mit einer erworbenen EP begeben sich eher in ärztliche Behandlung als solche mit einer lebenslangen EP. Aber auch wir Ärztinnen und Ärzte fühlen uns oft unwohl, über Sexualität zu sprechen, weil wir möglicherweise begrenzte Kenntnisse und Erfahrungen in der Behandlung solcher Störungen haben.

Pathophysiologie und Risikofaktoren

Die genauen Ursachen einer vorzeitigen Ejakulation sind noch nicht vollständig verstanden. Auf physiologischer Seite können insbesondere bei der lebenslangen EP eine überempfindliche Eichel, eine gestörte Serotoninregulation im Gehirn und hormonelle Ungleichgewichte zur vorzeitigen Ejakulation beitragen.Eine erworbene EP hingegen wird eher durch psychologische Probleme wie Stress, sexuelle Leistungsangst, Depressionen und Beziehungsprobleme oder traumatische sexuelle Erfahrungen verursacht oder verschlimmert. Auch eine genetische Veranlagung und epigenetische Faktoren scheinen eine Rolle zu spielen. Weitere Risikofaktoren sind Bewegungsmangel, ein schlechter allgemeiner Gesundheitszustand mit Übergewicht und Diabetes mellitus, das Vorliegen einer Prostataentzündung oder einer Schilddrüsenüberfunktion.

Diagnostik

Die Diagnose einer EP basiert hauptsächlich auf der gründlichen Befragung zu den Symptomen und der medizinischen und sexuellen Vorgeschichte des Patienten. So können die Schwere der EP, das Vorhandensein von Begleiterkrankungen, die Einnahme von Drogen und begleitende psychologische Faktoren erfasst werden. Es wird beurteilt, ob die PE lebenslang oder erworben ist und ob sie situativ oder regelmäßig auftritt. Auswirkungen auf die sexuelle Aktivität und die Lebensqualität sollten protokolliert werden.

Bei der Verwendung der selbst geschätzten intravaginalen Ejakulationslatenzzeit (IELT) ist zu bedenken, dass es zu einer Überschätzung um etwa eine Minute kommen kann. Zudem stehen Fragebögen wie das Premature Ejaculation Diagnostic Tool (PEDT) zur Beurteilung der Kontrolle über die Ejakulation, der Zufriedenheit mit dem Geschlechtsverkehr sowie der persönlichen Belastung und zwischenmenschlichen Schwierigkeiten zur Verfügung. Eine Kombination der IELT mit solchen Fragebögen kann die Spezifität der Diagnose verbessern.

Gelegentlich ist eine körper­liche Untersuchung erforderlich, um andere mögliche Ursachen auszuschließen. Routinemäßige Laboruntersuchungen oder spezifische physiologische Tests werden jedoch nicht empfohlen.9

Behandlung

Vor Beginn der Behandlung sollte der Subtyp der EP bestimmt und die Erwartungen des Patienten an Art und Erfolgschancen der Therapie besprochen werden. Zugrundeliegende Risikofaktoren müssen erkannt und behandelt werden. So kann beispielsweise die erfolgreiche Behandlung einer chronischen Prostatitis zu signifikanten Verbesserungen der Ejakulationslatenzzeit und Ejakulationskontrolle führen.10

Für die lebenslange EP wird als Erstlinienbehandlung eine pharmakologische Therapie empfohlen, während bei erworbener PE die Behandlung der zugrunde liegenden Ursachen vorrangig ist.

In Deutschland zugelassene Medikamente für die Behandlung der lebenslangen EP sind der Wirkstoff Dapoxetin zur oralen Einnahme sowie topische Lidocain-Prilocain-Kombinationen als Creme oder Spray. Weitere Behandlungen wie die tägliche Einnahme anderer Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRIs) oder Tramadol werden off-label verwendet.

Verhaltenstherapien und psycho­sexuelle Interventionen zielen darauf ab, die Ejakulationskontrolle zu verbessern, Ängste abzubauen und die Kommunikation des Paares zu fördern. Sie können insbesondere bei variabler und subjektiver EP sehr hilfreich sein und können gut mit anderen Maßnahmen kombiniert werden. Smartphone-basierte psychologische Interventionen haben sich in ersten Studien als hilfreich erwiesen.11

Dapoxetin

Dapoxetin ist ein kurz wirksamer selektiver Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI), der zur On-Demand-Behandlung von EP zugelassen ist. Der Wirkstoff erhöht laut Studien die IELT um das 2,5- bis 3,0-Fache und wirkt noch besser bei Patienten mit einer intravaginalen Latenzzeit von weniger als 30 Sekunden. Nebenwirkungen wie Übelkeit, Durchfall, Kopfschmerzen und Schwindel treten dosisabhängig auf und führen häufig zu Therapieabbrüchen.12

Phosphodiesterase-Typ-5- (PDE-5)-Hemmer

In einer randomisierten Studie wurde der PDE-5-Hemmer Sildenafil mit Placebo verglichen. Obwohl die IELT nicht signifikant verbessert wurde, führte Sildenafil zu einer Steigerung des Selbstvertrauens, der Ejakulationskontrolle und der sexuellen Zufriedenheit.

Eine Kombination von Dapoxetin mit Sildenafil führt zu einer Verbesserung der IELT im Vergleich zur Monotherapie. Trotzdem sind die Abbruchraten auch hier nach zwei Jahren Therapie hoch, mit einer kumulativen Abbruchrate von 90 %! Gründe dafür sind neben den unerwünschten Wirkungen eine subjektiv zu geringe Wirksamkeit, die hohen Kosten, die Erkenntnis, dass die EP auf diese Weise nicht langfristig geheilt werden kann sowie die Planungsnotwendigkeit des Geschlechtsverkehrs.13

Lokalanästhetika

Lokalanästhetika verringern die Empfindlichkeit der Glans penis und erhöhen so die Ejakulationslatenz, ohne das Ejakulationsgefühl zu beeinträchtigen. Meta-Analysen bestätigen die Wirksamkeit und Sicherheit dieser Mittel (beispielsweise Lidocain/Prilocain-Creme). Wenn keine Allergien bestehen, sind keine signifikanten unerwünschten Ereignisse zu erwarten. Es besteht lediglich das Risiko der Übertragung auf den Partner und eines tauben Gefühls in der Vagina. Daher wird empfohlen, ein Kondom zu verwenden.14

Verhaltens- und psychotherapeutische Ansätze

Eine Verhaltenstherapie umfasst einerseits Masturbationstechniken, andererseits das gezielte Verlangsamen oder Unterbrechen des sexuellen Akts („Start-Stopp“), um die Kontrolle über die Ejakulation zu verbessern oder die „Squeeze“-Technik, um durch Druck auf die Eichel den Ejakulationsreflex zu unterdrücken.15 Paartherapeutische Ansätze rücken den penetrativen Geschlechtsverkehr aus dem Fokus und erhöhen die Intimität des Paares. Eine Psychotherapie kann dabei helfen, zugrunde liegende psychologische Probleme anzugehen. Alle verfügbaren und in den Leitlinien empfohlenen verhaltenstherapeutischen Ansätze sind in der Ende 2024 verfügbaren smartphone-basierten App „Melonga“ zusammengefasst.

Zusammenfassung

Als Urologinnen und Urologen nehmen wir eine bedeutende Rolle bei der Diagnose und Behandlung der Ejaculatio präcox ein. Aufgrund der geringen Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe ist es besonders wichtig, dass wir Ärztinnen und Ärzte unsere Patienten ermutigen, über ihre vorzeitige Ejakulation zu sprechen, ihnen Unterstützung anbieten und die Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen. Eine individuell angepasste multimodale Therapie, die verhaltenstherapeutische Ansätze, medikamentöse Behandlungen und psychologische Unterstützung kombiniert, sollte nach den individuellen Bedürfnissen und Präferenzen des Patienten angeboten werden.


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Literatur

1 Organization, W.H. International Classification of Diseases 11th Revision for Mortality and Morbidity Statistics (ICD- 11-MMS). The global standard for diagnostic health information. 2018. https://www.who.int/classifications/icd/en/
2 Serefoglu, E.C., et al. An evidence-based unified definition of lifelong and acquired premature ejaculation: report of the second International Society for Sexual Medicine Ad Hoc Committee for the Definition of Premature Ejaculation. J Sex Med, 2014. 11: 1423. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/24848805
3 Laumann, E.O., et al. Sexual dysfunction in the United States: prevalence and predictors. Jama, 1999. 281: 537. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/10022110
4 Waldinger, M.D., et al. The use of old and recent DSM definitions of premature ejaculation in observational studies: a contribution to the present debate for a new classification of PE in the DSM-V. J Sex Med, 2008. 5: 1079. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/18331260
5 Saitz, T.R., et al. The epidemiology of premature ejaculation. Transl Androl Urol, 2016. 5: 409. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/27652213
6 Byers, E.S., et al. Premature or rapid ejaculation: heterosexual couples’ perceptions of men’s ejaculatory behavior. Arch Sex Behav, 2003. 32: 261. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/12807298
7 Laumann, E.O., et al. Sexual problems among women and men aged 40-80 y: prevalence and correlates identified in the Global Study of Sexual Attitudes and Behaviors. Int J Impot Res, 2005. 17: 39.
8 Waldinger, M.D. The pathophysiology of lifelong premature ejaculation. Transl Androl Urol, 2016. 5: 424. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5001987/
9 Shabsigh, R. Diagnosing premature ejaculation: a review. J Sex Med, 2006. 3 Suppl 4: 318. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/16939476
10 El-Nashaar, A., et al. Antibiotic treatment can delay ejaculation in patients with premature ejaculation and chronic bacterial prostatitis. J Sex Med, 2007. 4: 491. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/17367444
11 Optale, G., et al. Smartphone-Based Therapeutic Exercises for Men Affected by Premature Ejaculation: A Pilot Study. Sex Med, 2020. 8: 461. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32565067
12 McMahon, C.G., et al. Oral agents for the treatment of premature ejaculation: review of efficacy and safety in the context of the recent International Society for Sexual Medicine criteria for lifelong premature ejaculation. J Sex Med, 2011. 8: 2707. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/21771283
13 Abu El-Hamd, M., et al. Comparison of the clinical efficacy and safety of the on-demand use of paroxetine, dapoxetine, sildenafil and combined dapoxetine with sildenafil in treatment of patients with premature ejaculation: A randomised placebo-controlled clinical trial. Andrologia, 2018. 50. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28497478
14 Xia, J.D., et al. A reassessment of penile sensory pathways and effects of prilocaine-lidocaine cream in primary premature ejaculation. Int J Impot Res, 2014. 26: 186. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/24572995
15 Ventus, D., et al. Vibrator-Assisted Start-Stop Exercises Improve Premature Ejaculation Symptoms: A Randomized Controlled Trial. Arch Sex Behav, 2020. 49: 1559. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31741252

Dr. Christoph Pies
Rehmannstrasse 18
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