Digitale Hilfsmittel bei chronisch-­entzündlichen Hauterkrankungen

Der Mut zu digital unterstützten Therapien fällt immer noch sehr schwer. Nicht nur, weil es an echten Anreizen für die Ärzteschaft fehlt, sondern auch, weil wir uns seit 2020 erst in der Erprobungsphase von digitalen Gesundheitsanwendungen in Langzeitstudien befinden, die Aussagen über den tatsächlichen Therapieerfolg treffen. Dennoch bieten indikationsfokussierte Apps einen großen Mehrwert für Patientinnen und Patienten. Ein Gespräch mit Dr. Reem Alneebari, Fachärztin für Dermatologie und Chief Medical Officer bei Nia Health.

Zitierweise: HAUT 2023;34(6):299-300.

Für eine umfassende und wirksame Therapie von chronisch-entzündlichen Haut­erkrankungen müssen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte neben dem Screening der betroffenen Hautstelle auch mentale Folgen der Erkrankung und weitere Einflussfaktoren wie Ernährungsweise und Kosmetik­artikel einbeziehen. Innerhalb weniger Minuten obliegt es den Behandelnden, mit all den komplexen Faktoren einen funktionierenden Therapieplan zu entwickeln.

Damit Apps noch besser in die medizinische Versorgung eingebunden werden können, sollen sie zukünftig Daten der Patientinnen und Patienten passiv erfassen und damit eine bessere Fernbeobachtung ermöglichen. Das Vorhaben wird derzeit in klinischen Studien mit der Universitätsmedizin Charité eingesetzt. Das Kapital der kürzlich abgeschlossenen Seed-Finanzierung wird in die Studien und den Ausbau der Apps investiert.

Eine tägliche Dokumentation ihrer Hauterkrankung in einer App halten Patientinnen und Patienten vielleicht nicht durch. Welcher Rhythmus kann ansonsten sinnvoll sein?

Dr. Alneebari: Ja, eine tägliche Dokumentation ist aufwendig für Patientinnen und Patienten. Phasenweise kann das für manche Betroffene trotzdem sehr hilfreich sein, das ist immer sehr individuell und von der Indikation abhängig. Für einige ist es wirklich wichtig, sich selbständig mit der chronischen Erkrankung auseinanderzusetzen. Ziel muss es daher sein, Betroffenen im Alltag Zeit zu ersparen und gleichzeitig die höchstmögliche Lebensqualität zu bieten. Nehmen wir als Beispiel digitale Lösungen für die atopische Dermatitis: Die Neurodermitis-App Nia motiviert Patientinnen und Patienten, regelmäßig ihren Hautzustand zu dokumentieren. Die betroffene Hautstelle wird fotografiert und die App bewertet den Schweregrad und den Verlauf der chronischen Entzündung anhand dermatologisch anerkannter Scores (z. B. PO-SCORAD). Patientinnen und Patienten können sich auch für die Anwendung eines Pflegeprodukts oder Medikaments eine Erinnerung in der App einstellen. So wird die Adhärenz gesteigert. Ich halte viel von indikationsspezifischen Lösungen, keinen „One fits all“ -Ansatz, da die Indikationen, aber auch die Patientengruppen sich sehr unterscheiden und unterschiedliche Ansätze benötigen. So brauchen Patientinnen und Patienten mit Psoriasis eine andere Anwendung mit anderen Inhalten, zum Beispiel die Sorea-App.  

Können Ärztinnen und Ärzte Daten in die App eingeben oder via App mit den Patientinnen und Patienten kommunizieren, um sie zu unterstützen? Kann somit eine App die Häufigkeit von Präsenzterminen reduzieren?   

Dr. Alneebari: Derzeit ist eine aktive Fern­behandlung durch die Behandelnden ausschließlich für Patientinnen und Patienten der ADCompanion-Studie möglich. Somit werden die Apps aktuell von den Patientinnen und Patienten genutzt. Bei Bedarf werden die klinischen Scores (PO-SCORAD, DLQI) sowie visuelle Aufzeichnungen der Haut aufbereitet und den Dermatologinnen und Dermatologen in einem Report zur Verfügung gestellt. So kann die Krankheitshistorie fundierter betrachtet werden und eine anschließende Therapie ziel­gerichteter erfolgen. Eine Reduktion der Präsenztermine ist nicht unbedingt ein Resultat dessen. Mit der geplanten passiven Daten­erfassung wollen wir ein verbessertes Monitoring ermöglichen, das den behandelnden Ärztinnen und Ärzten wertvolle Informati­onen über den Gesundheitszustand der Patientinnen und Patienten liefert. 

Chronisch-entzündliche Haut­erkrankungen zeigen bei Menschen verschiedener ethnischer Herkunft unterschiedliche Erscheinungsbilder. Wird dies vom Algorithmus berücksichtigt?

Dr. Alneebari: Ja, der Algorithmus, besser gesagt unser Modell, wird mit verschiedenen Hauttypen und realen Fällen von chronisch-entzündlichen Hauterkrankungen „trainiert“. Dabei werden alle Patientinnen und Patienten berücksichtigt, die die Nia-App nutzen und der Verwendung der Daten bzw. Bilder zustimmen. Ziel ist es, Hautläsionen automatisch zu erkennen und so Zeit bei der Ermittlung des Schweregrades der Erkrankung zu sparen. 

Es ist uns bewusst, dass die Mehrheit unserer Nutzerinnen und Nutzer in Deutschland, Österreich und der Schweiz eher helle Hauttypen aufweisen. Dies stellt eine Heraus­forderung dar und wir arbeiten aktiv an Kooperationen, um vielfältige Hauttypen abzubilden. Wir legen großen Wert darauf, mögliche Verzerrungen aufgrund von Hauttypen in KI-Systemen zu vermeiden. 

Viele Arztpraxen befinden sich technisch noch auf „Fax-Niveau“. Selbst die Möglichkeit von z. B. Doctolib, vorab Dokumente an die Praxis zu übermitteln, wird von den Praxen nicht immer genutzt. Wie verbreitet ist das digitale Übermitteln von App-Daten derzeit?

Dr. Alneebari: Nach wie vor ist es so, dass die Mehrheit der Ärzteschaft Daten nicht digital übermittelt. Auch digitale Therapien werden häufig nicht aktiv genutzt oder sind noch nicht bekannt. Der demografische Wandel stellt uns vor die Herausforderung, unsere Gesundheitsversorgung zu optimieren, da die Zeit pro Patient aufgrund der alternden Bevölkerung immer knapper wird. Der Mangel an Ärztinnen und Ärzten erfordert innovative Lösungen und digitale Anwendungen bieten eine Möglichkeit, diese Lücke zu schließen. Die Patientinnen und Patienten können durch gezielte digitale Unterstützung zwischen den Terminen besser betreut und Fragen vorab geklärt werden. Somit kann die Behandlung effizienter gestaltet werden. Letztlich kann dies zu einer besseren Gesundheitsversorgung und zu einer Entlastung des medizinischen Personals führen. Ich finde es sehr wichtig, in diesem Bereich mit Health-Tech-Unternehmen zusammenzuarbeiten. 

Müssen Arztpraxen zusätzlich zu den gewöhnlichen Auflagen hinsichtlich Datenschutz etwas beachten?

Dr. Alneebari: Nein, da die Nia-App nicht in die Praxissoftware integriert ist. Sie dient ausschließlich den Patientinnen und Patienten zur Verbesserung ihres Wohlbefindens und ihrer Gesundheitskompetenz. Die App erfüllt alle gesetzlichen Anforderungen im Gesundheitswesen und ist natürlich DSGVO-­konform sowie zusätzlich CE-­zertifiziert. 

Über Nia Health

Dr. Reem Alneebari ist Dermatologin und Mitbegründerin von Nia Health, einer Ausgründung der Charité. Als Mutter einer Tochter mit Neurodermitis kennt sie die Sorgen und Probleme von Eltern. Gemeinsam mit ihrem Team und den Mitgründern Tobias Seidl und Oliver Welter möchte sie nun mehr Betroffenen mit digitalen Begleitern helfen. Zwei Apps sind bereits verfügbar: Sorea hilft Patientinnen und Patienten mit Schuppenflechte und Nia Patientinnen und Patienten mit Neurodermitis. Sorea ist die erste als Medizinprodukt zugelassene Psoriasis-App überhaupt. Sorea kooperiert eng mit dem Deutschen Psoriasisbund e.V.

Wir bedanken uns herzlich für das Interview!

Quelle: Nina Pressentin, Piabo PR GmbH.

Interessiert an neuen Fortbildungen oder Abrechnungstipps?

Abonnieren Sie unseren Infoletter.
 

Zur Infoletter-Anmeldung

x
Newsletter-Anmeldung