Wie barrierefrei ist Ihre Arztpraxis?

Es gibt sie immer noch: Die Arztpraxen, die wirken, wie aus der Zeit gefallen. Zumindest, wenn es um die Barrierefreiheit geht. Sie finden sich in Häusern, die oft aus den späten 1970er Jahren stammen, liegen – wer weiß warum – im ersten oder zweiten Stock und sind über zu schmale Treppenhäuser erreichbar. Aufzüge gibt es selten. Und damit sind sie für Rollstühle, Rollatoren oder Krankentransporte via Liege unerreichbar. Wie es anders gehen kann, zeigt ein Praxisbeispiel.

„Es fehlt an vielem“, sagt Daniel Mudroh, Geschäftsführer der Palm KG mit Sitz in Schorndorf bei Stuttgart. Der Bautechniker betreut bundesweit 13 Medizin- und Pflegestandorte. Er weiß, welche baurechtlichen Standards heute hinsichtlich Barrierefreiheit gelten. Schon der Weg in eine Hausarztpraxis kann beschwerlich sein. Tiefe Pfützen, lockere Pflastersteine oder rutschige Splitt-Flächen bergen Gefahren. Am Gebäude begnügen sich Ärztinnen und Ärzte oft mit einem Schild am Hauseingang – oder sogar nur mit einem spärlichen Hinweis auf der Klingel. „Dabei kann ein ausgeschilderter Weg aus der Tiefgarage oder von der Bus-Haltestelle die Suche erheblich erleichtern“, so Mudroh. 

Geradezu vorbildlich in puncto Barrierefreiheit ist die Hausarztpraxis von Dr. Aigeldinger-Jordon und Dr. Schäufele (s. Infobox). „Am auffälligsten sind unsere breiten Türen und die niedrigen Türgriffe“, findet Dr. Aigeldinger-Jordon. Die Griffe und Drücker sind in einer Höhe von 85 cm angeschraubt. Demnach 20 cm tiefer als die DIN für Baubeschläge normiert.

BeispielPraxis Dr. Aigeldinger-Jordon und Dr. Schäufele

Dr. Sina Aigeldinger-Jordon und Dr. Martin Antonio Schäufele haben eine Praxis in Winterbach bei Stuttgart. 1.700 Scheine bearbeiten sie pro Quartal – eine angestellte Kollegin hilft dem Duo an Vormittagen. Die jungen Mediziner übernehmen Anfang des Jahres eine 130 m² große Hausarztpraxis. Das Haus ist Baujahr 2008. Schon damals kümmern sich Vermieterin und Arzt um Barrierefreiheit. 

Zugang zum Gebäude

Aber auch der Zugang zum Gebäude in dem 20 Seniorenwohnungen untergebracht sind, ist gut mit dem Rollstuhl befahrbar. „Das bedeutet, dass alle Türöffnungen eine lichte Breite von mindestens 90 cm haben“, so Mudroh, der die Immobilie betreut. Wichtig ist überdies, dass sich die Eingangstür leicht öffnen lasse – ohne dabei am Türrahmen hängen zu bleiben. Behindernd sind Bodenschwellen. Gerade für ältere und gebrechliche Menschen können zwei Zentimeter Türschwelle ein unüberwindbares Hindernis darstellen. 

Jeder, der schon einmal einen Rollator geschoben hat, weiß, dass die kleinen Räder an 20 Millimeter scheitern können. Weil das ganze Körpergewicht des Fahrers oft auf den Vorderrädern lastet. 

Idealerweise ist der Zugang zum Gebäude stufenlos. Alternativ geht eine Rampe mit bis zu sechs Prozent Steigung. „Wer nicht mehr gut sieht, für den ist wichtig, dass Hausnummer, Praxisschild und Klingel gut lesbar sind“, erläutert Mudroh. 

Aufzug und Nebeneingang

Beim Bau vor fünfzehn Jahren wurde darauf geachtet, dass der Aufzug mit dem Rollstuhl befahrbar ist. Nach heutigem Stand soll die lichte Türbreite 90 cm betragen. Die Bewegungsfläche im Aufzug sollte mindestens 1,5 x 1,5 Meter groß sein. Die Maße erreicht das 2000er Modell in Winterbach nicht. Da Rollstühle und Rollatoren aber selten breiter als 70 cm sind, ist die Lösung zwar barrierefrei – aber formal nicht behindertengerecht. 

„Dennoch haben die Planer vor 20 Jahren mitgedacht“, findet Mudroh. Denn die Fahrstuhltüren in jedem Geschoss liegen nicht direkt gegenüber einer abwärtsführenden Treppe – was die Absturzgefahr deutlich mindert. In heutigen Aufzugmodellen sind Tastenfelder sowie Haltestangen von Rollstühlen aus bedienbar. Idealerweise ist die Schrift darauf erhaben, kontrastreich und blendfrei lesbar sowie zwischen 15 und 40 mm groß und es gibt taktile und akustische Hinweise auf die Stockwerksebene. Doch weil längst nicht alle Gebäude über einen so modernen Fahrapparat verfügen, „können Stufen ansonsten mittels Rampe oder Treppenlift überbrückt werden“, empfiehlt Mudroh und im Ausnahmefall könne ein Nebeneingang hilfreich sein, um Barrieren zu überwinden.

Behindertengerechter Parkplatz

Gut ist es, wenn vor dem Praxisgebäude Behindertenparkplätze vorhanden sind. Und für diese gelten Regeln. So müssen die Bordsteine in Parkplatzbreite auf 3 cm abgesenkt und optisch wahrnehmbar sein. Bei einem Doppelstellplatz gilt eine Breite von sechs und eine Länge von fünf Metern, wenn diese quer zur Fahrbahn liegen. Ein einfacher Stellplatz sollte 3,5 Meter breit sein. Parkplätze in Fahrtrichtung müssen laut DIN 18024-1 für Pkw mindestens 3,5 Meter breit und 5 Meter lang sein sowie eine Bewegungsfläche neben dem Fahrzeug von 1,5 Meter aufweisen. 
 

Zugang zur Praxis

Sind die Leute dann im Gebäude – und noch nicht einmal in der Praxis – ist der Fußbodenbelag wichtig. Er sollte rutschfest sein und stolperfallenfrei. Flure in Haus und Praxis sollten ausreichend breit sein, mindestens 1,2 Meter. 

Bei Aigeldinger-Jordon und Schäufele ist beides der Fall. Hinzu kommt im Gebäude in Winterbach, dass die Lichter im Hausgang und in den Praxisräumen hell genug sind, um sich mit einer Sehschwäche zurechtzufinden. Schön ist die Sitzbank im Praxisflur. „Darüber sind Patienten dankbar, die der Weg zu uns erschöpft hat“, wie die 35-jährige Medizinerin verdeutlicht. Mudroh ergänzt: „Und Menschen mit Stock und Krücken, freuen sich über Gehilfenhalter“.
 

 

Praxis-WC

Das barrierefreie Schmuckstück der Praxis ist das WC. Weil viele Menschen nach der Ankunft auf die Toilette müssen, liegt sie direkt gegenüber Anmeldung und neben dem Wartezimmer. Durch die Tür, deren lichtes Maß mehr als 90 cm beträgt, können Rollhilfen bequem hineinfahren. Ferner ist die Kennzeichnung auf der Tür gut lesbar und bildet damit keinerlei Barriere. Überdurchschnittlich groß ist die Bewegungsfläche im WC. Die darf laut Norm nicht unter 1,5 x 1,5 Metern liegen. „Bei uns ist doppelt so viel Platz“, sagt Schäufele und betont, dass Urinproben auch von Älteren oder Menschen mit Gehbehinderungen gut abgegeben werden können.

Ein Praxis-WC ist dann perfekt, wenn Rollstuhlfahrer und kleinwüchsige Menschen Waschbecken und Papiertücher zum Hände-Abtrocknen benutzen können. Eine helle Beleuchtung und eine Tür, die sich im Notfall nach außen öffnen lässt, sind ideal. Noch ein paar Fakten: Der WC-Sitz sollte in einem behindertengerechten Klo eine Höhe zwischen 46 bis 48 cm haben. Haltegriffe finden sich neben dem WC, wo auf beiden Seiten Papierhalter angeschraubt sind. Der Waschtisch ist höchstens 80 cm hoch und unterfahrbar. Die Kniefreiheit beträgt 30 cm in der Tiefe und 67 cm in der Höhe.

Sprechzimmer

Geradezu vorbildlich sind in der Praxis von Aigeldinger-Jordon und Schäufele die drei Sprechzimmer, mit jeweils 15 m². Durch die 90 cm breiten Türen lässt es sich bequem hineinrollen – und das Rangieren innerhalb der Zimmer ist mit eine Rollgerät gut möglich. Zumal die Behandlungsliegen unterfahrbar sind. Auch können Ultraschall und Blutabnahmen barrierefrei erfolgen – obwohl diese Räume etwas kleiner ausfallen. 
 

Fazit
Grundsätzlich gilt in Praxen: je kontrastreicher und blendfreier (Glas-)Türen, Griffe und Schilder sind, desto leichter fällt die Orientierung. Allerdings gibt es nicht nur bauliche Hürden. „Unsere größte Barriere ist die Sprache“, resümiert Schäufele. Doch dann hilft Google-Translate – gerade im Formularwesen. So sind Datenschutzerklärungen, Vollmachten und Aufklärungsformulare in der Winterbacher Praxis via Tablet lesbar und damit barrierefrei, weil Schriftgrößen und Kontraste geändert werden können. Und natürlich via Mobilgerät leicht zu übersetzen sind.

 

Michael Sudahl
Wirtschaftsjournalist aus Schorndorf mit Fachgebiet Bau- und Gebäudetechnik.

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