Arzt- und Medizinstrafrecht: Ein Überblick

Das Arzt- und Medizinstrafrecht gehört zu den sensibelsten Bereichen des Medizinrechts. Aber in welchen Bereichen der ärztlichen Berufsausübung lauern überhaupt Strafbarkeitsrisiken für niedergelassene Ärzte?


Wird dem Arzt ein strafbares Verhalten vorgeworfen, ist dies schließlich aus dreierlei Gründen problematisch:

1. Strafverfahren

Zum einen besteht das Risiko der vollständigen Durchführung eines Strafverfahrens, das im schlimmsten Fall in einer Verurteilung endet. Zwar sind dabei überwiegend „lediglich“ Geldstrafen einschlägig, allerdings sind – je nach Schwere des Delikts – auch Freiheitsstrafen nicht ausgeschlossen.

2. Reputationsverlust

Zum anderen kann die Erhebung einer Anklage und die Durchführung einer öffentlichen Hauptverhandlung einen Image- und Reputationsverlust bedeuten, der sich auch bei einem Freispruch nicht gänzlich revidieren lässt und schwerwiegende wirtschaftliche Auswirkungen für den Arzt nach sich ziehen kann.

3. Medizinrechtliche Konsequenzen

Weiterhin können sich an strafrechtliche Verurteilungen medizinrechtliche Folgeprobleme anschließen, wie beispielsweise eine Auseinandersetzung mit der Ärztekammer oder Approbationsbehörde aufgrund eines berufswidrigen bzw. berufsunwürdigen Verhaltens.

Welche Delikte zählen üblicherweise zum Arztstrafrecht?

Wie sollte man sich verhalten?Ärzte können auf verschiedenen Wegen davon Kenntnis erlangen, dass ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet worden ist. Der unschönste Weg ist dabei, dass die Polizei oder Staatsanwaltschaft vor der Tür steht und die Praxisräume durchsucht. Oftmals, aber auch abhängig von der Deliktsart, erhält man zunächst ein Schreiben der Strafverfolgungsbehörde, in dem der Tatvorwurf eröffnet und der Betroffene zur Vernehmung in der Sache geladen wird.

Allgemein gilt:

Als Beschuldigter im Strafverfahren hat man das umfassende Recht zur Sache zu schweigen und einen Rechtsanwalt zu konsultieren. Ohne anwaltlichen Rat eingeholt zu haben, sollte von diesem Recht immer Gebrauch gemacht werden. Wahrheitsgemäße Angaben müssen nur hinsichtlich der Personalien getätigt werden. Es ist dringend zu empfehlen, sich zum Tatvorwurf nur nach erfolgter Einsicht in die Ermittlungsakte zu äußern. Auch dies ist zwingend mit einem Rechtsanwalt abzustimmen.

Während noch vor einigen Jahren das Arztstrafrecht bzw. Medizinstrafrecht ausschließlich mit Fehlern bei der Behandlung des Patienten verbunden wurde, hat sich der Anwendungsbereich dieses Gebiets stetig erweitert und erstreckt sich z. B. auch auf wirtschaftsstrafrechtliche oder werbe- und datenschutzstrafrechtliche Delikte. Im Folgenden wird eine nicht abschließende Auswahl vorgestellt.

Körperverletzungs- und Tötungsdelikte

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) stellt bereits jeder ärztliche Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Patienten eine tatbestandliche Körperverletzung (§ 223 Strafgesetzbuch, StGB) dar.1 Dabei spielt es auch keine Rolle, ob die ärztliche Maßnahme lege artis ausgeführt wurde. Entscheidend ist, ob der Patient über die Risiken einer OP oder eines Eingriffs ordnungsgemäß aufgeklärt wurde und eine wirksame Einwilligung erteilt hat. Ist dies nicht der Fall, steht eine Strafbarkeit des Behandlers im Raum.

Doch selbst wenn der Patient ordnungsgemäß eingewilligt hat, können den Arzt im Rahmen der Behandlung, Organisation und Aufklärung Sorgfaltspflichtverletzungen treffen. Hätte beispielsweise eine andere Behandlungsmethode angewendet werden oder ein bestimmter Eingriff aufgrund des Zustands des Patienten gänzlich unterbleiben müssen? Im Kontext solcher Fragen steht eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) oder fahrlässiger Tötung (§ 222 StGB) im Raum. Neben dem originären Strafverfahren werden solche Fragen auch in Prozessen zum Arzthaftungsrecht diskutiert.

Ebenfalls von Relevanz sind Fragen der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c StGB) oder der strafbewehrten Verletzung einer Obhutspflicht in Form der Aussetzung (§ 221 StGB).

Abrechnungsbetrug

Im ärztlichen Wirtschaftsstrafrecht stellt der Abrechnungsbetrug (§ 263 StGB) das häufigste einschlägige Delikt dar. Unter dem Begriff des ärztlichen Abrechnungsbetrugs versteht man Manipulationsvorgänge im Zusammenhang mit der Abrechnung privat- oder vertragsärztlicher Leistungen.2 Klassische Konstellation ist die Abrechnung von nicht erbrachten Leistungen, sog. Luftleistungen. Allerdings werden auch die Fallgestaltungen als Abrechnungsbetrug geahndet und verfolgt, in denen ärztliche Leistungen tatsächlich und auch lege artis erbracht wurden, jedoch formelle Voraussetzungen des Vertragsarzt-, Zulassungs- oder Gebührenrechts nicht eingehalten worden sind.3 In den überwiegenden Fällen ist einem Ermittlungsverfahren jedoch meist eine Form der Abrechnungsprüfung vorgeschaltet, insbesondere im vertragsärztlichen Sektor.4

Korruption

Eine zweite Säule stellen die Delikte zur Korruption im Gesundheitswesen (§ 299a, b StGB) dar.5 § 299a StGB stellt die Bestechlichkeit desjenigen unter Strafe, der in Ausübung seines Berufes einen Vorteil dafür annimmt, einfordert oder sich versprechen lässt, dass er einen anderen im inländischen oder ausländischen Wettbewerb in unlauterer Weise bevorzugt bei:

  • der Verordnung von Arznei-, Heil- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten,
  • dem Bezug von Arznei- oder Hilfsmitteln oder von Medizinprodukten, die jeweils zur unmittelbaren Anwendung durch den Heilberufsangehörigen oder einen seiner Berufshelfer bestimmt sind oder
  • der Zuführung von Patienten oder Untersuchungsmaterial.

Als Pendant dazu richtet sich § 299b StGB an den Vorteilsgeber.

Schweigepflicht- und Datenschutzstrafrecht

Klassisch im Arztstrafrecht ist der Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht (§ 203 StGB). Danach macht sich der Angehörige eines Heilberufes strafbar, wenn er ein fremdes Geheimnis unbefugt offenbart. Zudem ist durch die Neufassung der Norm im November 2017 mit § 203 IV 2 Nr. 1 StGB ein zusätzliches Risiko für den Berufsgeheimnisträger entstanden. Danach macht sich dieser auch strafbar, wenn er nicht dafür Sorge getragen hat, dass die von ihm in den Praxisalltag einbezogenen sonstigen Dritten, wie z. B. IT-Dienstleister, zur Geheimhaltung verpflichtet worden sind und diese ein ihnen bekannt gewordenes Geheimnis preisgeben.6

Im Datenschutzstrafrecht existieren Sondernormen im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), wenn wissentlich nicht allgemein zugängliche personenbezogene Daten einer großen Zahl von Personen unbefugt an einen Dritten übermittelt werden. Aber auch unberechtigte Bildaufnahmen von Patienten können nach § 201a StGB strafrechtlich relevant sein.

Strafbare Werbung und Außendarstellung

Zum Tätigkeitsfeld von Akteuren im Gesundheitswesen gehört auch die Wahrnehmung unternehmerischer Aufgaben. Dazu zählt insbesondere die Außendarstellung und Bewerbung des Unternehmens. Sobald Werbemaßnahmen jedoch unwahre Äußerungen enthalten, die für den Rechtsverkehr irreführend sein können und auf eine Bevorzugung im Wettbewerb abzielen, steht eine strafbare Werbung im Raum (§ 16 UWG). Flankierend kann auch eine Strafbarkeit nach § 14 Heilmittelwerbegesetz z. B. dann in Betracht kommen, wenn Arzneimitteln, Medizinprodukten, Verfahren, Behandlungen, Gegenständen oder anderen Mitteln eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben. Zur Außendarstellung des Arztes gehört auch der ordnungsgemäße Gebrauch der von ihm erworbenen akademischen Grade und Titel. Werden diese zu Unrecht geführt, kann man sich wegen Missbrauch von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen (§ 132a StGB) strafbar machen.

Ebenso ist das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 278 StGB) ein nicht zu unterschätzendes Risiko, das in der Praxis häufig bei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus Gefälligkeit existiert. In jüngerer Vergangenheit ist diese Thematik insbesondere im Zusammenhang mit ausgestellten Attesten zur Befreiung von der Maskenpflicht relevant geworden.7

1 Vgl. RGSt 25, 375; BGH NJW 2011, 1088; Gercke/Leimenstoll/Stirner, Handbuch Medizinstrafrecht, Rn. 15.
2 Braun, Der ärztliche Abrechnungsbetrug, ZJS 2014, 35.
3 Vgl. z. B. BGH NJW 2012, 1377; mit eingehender Kritik Braun, Autonomie versus Akzessorietät des Strafrechts am Beispiel des ärztlichen Abrechnungsbetruges.
4 Braun, Ein Blick in die Praxis – Aktuelle Fragen bei Abrechnungsprüfungen, in Wirtschaftsmagazin für die hautärztliche Praxis 2/2021, 18–21.
5 Ausführlich hierzu Braun, Grundfälle zur Korruption im Gesundheitswesen, JA 2019, 115 ff.
6 Ausführlich dazu Braun/Willkomm, Die Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht – Bestehende Auslegungsfragen nach der Novellierung des § 203 StGB, medstra 2018, 195.
7 LG Chemnitz, Beschluss vom 12.04.2021 – 4 Qs 108/21 mit Besprechung von Braun in Beck Fachdienst-MedizinR 2021, 439458.

 



Dr. Sebastian Braun
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht, Lehrbeauftragter für Medizinrecht und Medizinstrafrecht an der Universität Leipzig. 
LEX MEDICORUM. Kanzlei für Medizinrecht. 
Feuerbachstr. 12, 04105 Leipzig
braun@lex-medicorum.de

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