Die rechtswirksame Abmahnung von Mitarbeitern

Verstoßen Praxisangestellte gegen ihre arbeitsvertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten können Praxisinhaber als deren Arbeitgeber auf unterschiedliche Art und Weise reagieren. Je nach Schwere eines Verstoßes wird neben der kündigungsrechtlich irrelevanten, bloßen Ermahnung des Arbeitnehmers und der umgekehrt bei gravierenden Verstößen eventuell umgehend in Betracht kommenden Kündigung, meist die Abmahnung das Mittel der Wahl sein.

Eine Abmahnung hat verschiedene Funktionen, die Arbeitnehmer zur künftig ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer vertraglichen Pflichten anhalten soll. Sie droht aber bereits arbeitsrechtliche Konsequenzen für den Wiederholungsfall an und kann damit rechtsverbindliche Folgen haben.1 In letzterem Kontext liegt die entscheidende Bedeutung der Abmahnung, deren Wirksamkeit regelmäßig auch die Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer später verhaltensbedingten Kündigung wäre.2 Insoweit sind die zu vergleichenden Versäumnisse eines Mitarbeiters immer dann „gleichartig“, wenn sowohl die vorangehende Abmahnung als auch die nachfolgende Kündigung denselben Bereich vertraglicher Pflichtverletzungen betreffen.3 Die Abmahnung soll dem Einwand vorbeugen, dass der Arbeitnehmer die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens und die Ernsthaftigkeit, der sich daraus eventuell ergebenden Konsequenzen nicht habe erkennen können.4 Die Abmahnung stellt also eine Warnung dar, bevor als Ultima Ratio bei einem sich wiederholenden Fehlverhalten die Kündigung ausgesprochen werden kann.

Erst Abmahnung, dann Kündigung

Seit dem 01.01.2002 ist beim Ausspruch einer rechtswirksamen Abmahnung auch § 314 Abs. 2 BGB zu beachten, der jegliche Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses (z. B. in Form eines Arbeitsvertrags) aus wichtigem Grund an eine vorherige Abmahnung knüpft. Dieses Erfordernis gilt also auch im Vorfeld ordentlicher Kündigungen.5 Denn ist sie sogar bei schweren Pflichtverstößen nötig, soll dies erst recht bei einfachen Pflichtverletzungen gelten.6 

Ausnahmen

Eine Abmahnung kann, v. a. in Konstellationen außerordentlich fristloser Kündigungen, vor der Aussprache einer Kündigung entbehrlich sein, wenn sie aufgrund rechtlich anerkannter Umstände überflüssig erschiene. Sie kann unter Berücksichtigung von §314 Abs. 2 in Verbindung mit §323 Abs. 2 Nr. 3 BGB etwa entbehrlich sein, wenn eine Abwägung der Parteiinteressen eine sofortige Kündigung des Arbeitnehmers rechtfertigt und als erforderlich erscheinen lässt. Ein Beispiel hierfür wären erwiesene Straftaten zu Lasten des Arbeitgebers oder der Umstand, dass der Arbeitnehmer offensichtlich nicht gewillt ist, sich (noch) vertragsgetreu zu verhalten. 

► i. S. v. § 314 Abs. 2 i. V. m. § 323 Abs. 2 Nr. 1 BGB

Auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts erscheint eine Abmahnung immer dann entbehrlich, wenn die Pflichtwidrigkeit des eigenen Verhaltens für den Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar und umgekehrt die Hinnahme des Fehlverhaltens durch den Arbeitgeber von vornherein offensichtlich ausgeschlossen war.

Formelle Anforderungen

Angesichts der Relevanz der Abmahnung für die Wirksamkeit einer späteren Kündigung ist auf bestimmte formelle und inhaltliche Anforderungen zu achten. So kommt eine Abmahnung selbstverständlich nicht bei jedem Bagatellverstoß in Betracht, da sie wie alle arbeitsrechtlichen Maßnahmen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterfällt.8 Bagatellverstöße sind daher allenfalls mit Ermahnungen zu „ahnden“. 

Fristen

Es existiert keine starre Frist9 dazu, wie schnell ein Arbeitgeber reagieren muss, um rechtswirksam eine Abmahnung aussprechen zu können. Vom Arbeitgeber wird ohnehin gefordert, vor der Ergreifung einschneidender Maßnahmen hinreichend die Vorwürfe und näheren Umstände einer Verfehlung zu prüfen.10 Trotzdem empfiehlt es sich, ein als abmahnwürdig erachtetes Fehlverhalten möglichst zeitnah abzumahnen. Unter Umständen kann sonst das Recht auf Abmahnung verwirken, z. B. wenn sich der Arbeitnehmer wieder über längere Zeit vertragstreu verhalten hat und der Arbeitgeber den Eindruck erweckt, dass die Verfehlung nicht (mehr) geahndet werde.11

Gültigkeit einer Abmahnung

Die einmal ausgesprochene Abmahnung verliert mit zunehmendem Zeitablauf und einhergehendem Wohlverhalten des Arbeitnehmers an Bedeutung. Das kann sogar so weit gehen, dass ggf. ein Anspruch auf Entfernung alter Abmahnungen aus der Personalakte entsteht.12 Weitere Besonderheiten sind im Infokasten gelistet. 

Schriftlich oder mündlich?

Grundsätzlich kann – abgesehen von tarifvertraglichen Bestimmungen oder Betriebsvereinbarungen – die Abmahnung formlos erfolgen. Sie ist als Rügerecht mitbestimmungsfrei17 und steht jedem weisungs­befugten Vorgesetzten zu.18 Selbst münd­liche Abmahnungen sind also grundsätzlich rechtswirksam. Trotzdem empfiehlt sich angesichts der in einem ggf. späteren Prozess geltenden Beweislastgrundsätze die Schriftform. Im Eifer des Gefechts sollte also die mündlich ausgesprochene Abmahnung schriftlich wiederholt und auf die Weise dokumentiert werden. Denn in späteren Auseinandersetzungen wäre der Arbeitgeber für die formellen Voraussetzungen, den Grund und den Zugang einer Abmahnung vor Gericht darlegungs- und beweispflichtig. 

Besonderheiten

  • Problematisch können deutlich zurückliegende Abmahnungen werden, wenn ggf. beurteilt werden muss, ob eine wiederholte Verfehlung gleicher Art sofort die Kündigung rechtfertigt. Hier kann u. U. zu Gunsten des Arbeitnehmers ein Vertrauenstat­bestand entstehen, der eine sofortige Kündigung als unverhältnismäßig erscheinen lässt.13
  • Bei diesen Konstellationen handelt es sich um Einzelfall­abwägungen, die sich keinesfalls pauschalisieren lassen. 
  • Mit einer Abmahnung gibt der Arbeitgeber zu erkennen, dass er insoweit auf die Kündigung verzichtet.14 Außer: Wenn aus Sicht des Arbeitnehmers deutlich wird, dass sich der abmahnende, obwohl sogleich kündigungsberechtigte Arbeitgeber unter bestimmten Bedingungen eine Kündigung vorbehält.15 
  • Die wiederholte Aussprache – für sich jeweils berechtigter – Abmahnungen in der Zusammenschau könnte die Warnfunktion der „Sanktionsmaßnahme“ relativieren.16
 
  1. Das sollten Sie bei einer Abmahnung beachten:Eine Abmahnung muss verhältnismäßig sein. Bagatellverstöße sollten lediglich ermahnt werden.
  2. Überschreitet eine Verfehlung die Bagatellgrenze, sollte konsequent und zeitnah eine Abmahnung erfolgen.
  3. Es gibt keine Frist, wann eine Abmahnung erfolgen sollte. Das Recht auf Abmahnung kann aber verwirken, z. B. wenn sich der betreffende Mitarbeiter wieder über längere Zeit vertragstreu verhalten hat.
  4. Unter Berücksichtigung der Besonderheiten im Verhältnis von Abmahnung und Kündigung (s. Infokasten „Besonderheiten“), kann eine wirksam ausgesprochene Abmahnung grundsätzlich im Wiederholungsfall bei gleichartiger Verfehlung eine Kündigung rechtfertigen, soweit diese Kündigung auch im Übrigen rechtmäßig ist.
  5. Mündlich ausgesprochene Abmahnungen sollten schriftlich wiederholt und auf die Weise dokumentiert werden.
  6. Kommt es zu einem Gerichtsprozess, ist der Arbeitgeber für die formellen Voraussetzungen, den Grund und den Zugang einer Abmahnung beweispflichtig.
  7. Die Abmahnung muss dem Arbeitnehmer so konkret wie möglich verdeutlichen, welche Pflichtverletzung ihm vorgeworfen wird.
  8. Der Vorfall sollte mit Datum, Uhrzeit, ggf. Zeugen etc. benannt werden.
  9. Aus der Abmahnung muss hervorgehen, welches Verhalten künftig erwartet wird und dass im Wiederholungsfall mit einer Kündigung zu rechnen ist.

 

Inhaltliche Anforderungen

Inhaltlich orientiert sich die Abmahnung dagegen an den ihr zukommenden Funktionen. Sie muss als Ausprägung des Bestimmtheitsgrundsatzes dem Arbeitnehmer so konkret wie möglich verdeutlichen, welche Pflichtverletzung ihm vorgeworfen wird (Dokumentations- bzw. Rügefunktion). Das Fehlverhalten ist durch Benennung des Vorfalls, dies am besten mit Datum, Uhrzeit, etwaigen Zeugen etc., detailliert zu beschreiben. Zudem muss unmissverständlich klar werden, welches Verhalten künftig erwartet wird (Hinweisfunktion) und dass im Wiederholungsfall einer gleichartigen Verfehlung mit Kündigung zu rechnen ist (Warnfunktion). 

Mehrere Verfehlungen in einem

Es ist möglich, bei Einhaltung der Vorgaben ggf. mehrere Verfehlungen in einer Abmahnung zusammenzufassen. Dabei ist aber Vorsicht geboten. Denn stellt sich einer der Vorwürfe als unzutreffend heraus, führt dies zur Unwirksamkeit der gesamten Abmahnung. Stellt sich also im Rahmen einer Klage auf Rücknahme einer Abmahnung – die allerdings meist nicht einmal aus Sicht der Arbeitnehmer sinnvoll erscheint – heraus, dass ein Teil der Abmahnung unberechtigt ist, muss trotzdem die gesamte Abmahnung zurückgenommen werden.19 Der Arbeit­geber kann dann lediglich eine neue Abmahnung über die wirklichen Verfehlungen ohne den unzutreffenden Teil aufsetzen.

Fazit

Auf die Erteilung einer arbeitsrechtlichen Abmahnung sollte besondere Sorgfalt gelegt werden, wenn man dieses primär auf den Erhalt des Arbeitsverhältnisses gerichtete Rechtsinstrument sinnvoll einsetzen möchte. Aber auch mit Blick auf seine sekundäre Funktion in Gestalt der Vorbereitung einer späteren Kündigung sollte man beim Aufsetzen einer Abmahnung sehr sorgfältig sein und sich im Zweifel rechtlich beraten lassen, um später keine unliebsamen Überraschungen zu erleben. 

1 Zudem beugt eine Abmahnung in Dauerschuldverhältnissen auch stillschweigenden Vertragsänderungen vor.
2 Ständige Rechtsprechung, vgl. BAG 19, 351, 354; BAG, Urt. v. 27.11.2003, Az. 2 AZR 692/02.
3 BAG, NZA 1992, 1023; NZA 2005, 259.
4 BAG NZA 2006, 98.
5 LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 29.07.2004, Az. 21 Sa 113/03.
6 Berkowsky, AuA 2002, 11, 14.
7 BAG DB 1999, 1121.
8 BAG DB 1992, 843; NZA 2006, 980.
9 Nicht zu verwechseln ist diese Frage mit der Notwendigkeit zum Ausspruch einer außerordentlich fristlosen Kündigung innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis der die Kündigung rechtfertigenden Gründe gemäß § 626 Abs. 2 BGB. 
10 BAG DB 1986, 1075.
11 Vgl. BAG NZA 1989, 716, wo allerdings eine Verwirkung verneint wurde. 
12 BAG NZA 1995, 676.
13 BAG DB 1957, 311; DB 1987, 1303.
14 BAG, NZA 2003, 1388. Vgl. hierzu LAG Berlin, Urt. v. 16.02.2006, Az. 10 Sa 1618/05, LAGE § 611 BGB 2002 Abmahnung Nr. 4.
15 LAG Schleswig-Holstein, DB 2005, 340.
16 Ist es zu einer solchen Lage gekommen, muss die letzte Abmahnung vor einer Kündigung sehr eindringlich und deutlich abgefasst gewesen sein. Vgl. BAG NZA 2002, 968, NZA 2005, 459.
17 BAG NZA 1990, 193.
18 BAG DB 1980, 1351.
19 BAG NJW 1991, 2510.

 

Dr. Martin Sebastian Greiff, Mag. rer. publ.
Rechtsanwalt und Fach­anwalt für Medizinrecht
Partner der Kanzlei Ratzel Rechtsanwälte
Romanstraße 77, 
80639 München, 
www.ratzel-rechtsanwaelte.de

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