Möglichkeiten und Grenzen der Delegation ärztlicher Leistungen

Für den niedergelassenen Arzt* stellt sich im Praxisalltag regelmäßig die Frage, welche Leistungen er an seine ärztlichen Kollegen delegieren kann und welche Leistungen überhaupt unter Arztvorbehalt stehen oder sogar auf die nichtärztlichen Mitarbeiter übertragen werden können. Die Antwort und die Voraussetzungen, unter denen eine Delegation erfolgen darf, wirken sich insbesondere auf die Abrechnung der Leistungen sowie die Haftung des Arztes aus.

Der Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung
Die ärztliche Tätigkeit basiert auf dem Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung. In ihm spiegelt sich das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient wider. Das bedeutet indes nicht zwangsläufig, dass der Arzt jede einzelne Leistung höchstpersönlich erbringen muss. Er muss jedoch leitend und eigenverantwortlich handeln, wenn er die Leistungserbringung an ärztliches oder nichtärztliches Personal delegiert.

 

Delegation an andere Ärzte

Allgemeine Regelungen zur persön­lichen Leistungserbringung sieht das ärztliche Berufsrecht vor, das insoweit eine Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung anordnet.

Zivilrechtlich liegt der ärztlichen Tätigkeit ein Behandlungsvertrag mit dem Patienten zugrunde, der sich nach den §§ 630a ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) richtet. Gemäß diesen Bestimmungen ist derjenige, der eine medizinische Versorgung des Patienten zusagt, im Zweifel verpflichtet, die Leistung in Person zu erbringen. Ob der Patient einen Anspruch hat, von einem bestimmten Arzt behandelt zu werden, wenn der Behandlungsvertrag mit einer Berufsausübungsgemeinschaft geschlossen worden ist, hängt von der jeweiligen Vereinbarung ab.

Abrechnung und Qualifikation

Für die vertragsärztliche Versorgung ist der Grundsatz der persönlichen Leistungserbringung in verschiedenen Vorschriften des Sozialgesetzbuches (SGB) V, der Zulassungsverordnung für Ärzte (Ärzte-ZV) und des Bundesmantelvertrags-Ärzte (BMV-Ä) geregelt. Unter Berücksichtigung dieser Bestimmungen sind die Gebührenordnungspositionen des EBM nur berechnungsfähig, wenn der Vertragsarzt die Leistung persönlich und vollständig erbracht hat. Die Delegation vertragsärztlicher Leistungen, die unter Arztvorbehalt stehen, an ärztliche Mitarbeiter ist dabei nur zulässig, wenn sowohl der delegierende als auch der andere Arzt jeweils über die erforderliche Qualifikation für die Erbringung der Leistung verfügen. 

Angestellte Ärzte

Persönliche Leistungen des Vertragsarztes sind insoweit auch die durch angestellte Ärzte und Assistenten erbrachten ärztlichen Leistungen. Die Anstellung von Ärzten muss dabei zuvor durch den Zulassungsausschuss, die Anstellung von Assistenten durch die Kassenärztliche Vereinigung genehmigt worden sein. Die Leistungen der angestellten Ärzte und Assistenten werden sodann dem anstellenden Arzt bzw. der anstellenden Berufsausübungsgemeinschaft zugerechnet. 

KV-Abrechnung

Gemäß den Vorschriften des EBM ist eine Gebührenordnungsposition nur berechnungsfähig, wenn der Vertragsarzt die für die Abrechnung obligaten Leistungsinhalte persönlich erbringt. Daraus folgt, dass medizinische Leistungen, die dem Arztvorbehalt unterliegen, nicht an Ärzte ohne Teilnahmeberechtigung am vertragsärztlichen System delegiert werden dürfen. Ärzte ohne eine solche dürfen nur als Vertreter an der Erbringung vertragsärztlicher Leistungen beteiligt werden.

Privatärztliche Leistungserbringung

Derart detaillierte Regelungen bestehen für ambulante privatärztliche Leistungen nicht. Zentrale Vorschrift ist insoweit § 4 Abs. 2 S. 1 GOÄ, der die Abrechnung privatärztlicher Leistungen regelt und durch den die Bestimmungen der §§ 613a ff. BGB konkretisiert werden. Nach § 4 Abs. 2 S. 1 GOÄ darf ein Arzt Gebühren nur für selbständige ärztliche Leistungen berechnen, die er selbst erbracht hat oder die als seine eigenen Leistungen unter seiner Aufsicht und nach seiner fachlichen Weisung erbracht wurden. Die Norm betrifft ausschließlich die Delegation an andere Ärzte. Die Delegation an nichtärztliches Personal ist von der Vorschrift nicht umfasst.
 

In Berufsausübungsgemeinschaften dürfen die privatärztlichen Leistungen grundsätzlich von sämtlichen dort tätigen Ärzten erbracht werden, sofern der Facharztstandard eingehalten wird. Eine Delegation auf angestellte Ärzte einer Einzelpraxis oder die Leistungserbringung durch Vertreter ist unter dieser Voraussetzung im Rahmen der privatärztlichen Leistungserbringung ebenso zulässig. 

Delegation an nichtärztliches Personal

Darüber hinaus ist die Arbeitsteilung unter Einbeziehung nichtärztlichen Personals auch bei ärztlichen Leistungen anerkannt. Es existieren jedoch keine allgemeinen Kriterien, welche Leistungen an nichtärztliches Personal delegiert werden dürfen. Die Delegationsfähigkeit ärztlicher Leistungen an nichtärztliches Personal bleibt dem Einzelfall vorbehalten, wobei der Kernbereich ärztlicher Tätigkeiten dem Arztvorbehalt unterliegt. Hierzu zählen Aufklärung und Beratung, Anamnese, Indikationsstellung, Untersuchung des Patienten einschließlich invasiver diagnostischer Leistungen, Diagnose, Entscheidung über Therapie und Durchführung invasiver Maßnahmen sowie operativer Eingriffe. Hilfreich zur Abgrenzung ist die Vereinbarung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Bundesärztekammer und des GKV-Spitzenverbandes als Anlage 24 zum BMV-Ä, die die Anforderungen für die Delegation ärztlicher Leistungen an nichtärztliche Mitarbeiter in der vertragsärztlichen Versorgung regelt und delegationsfähige Leistungen in einem Katalog beispielhaft aufführt.

Abwesenheit des Arztes

Der Arzt muss sich bei der Erbringung delegierter Leistungen durch nichtärztliches Personal in unmittelbarer Nähe (Rufweite) aufhalten. Die Leistungserbringung durch nichtärztliche Mitarbeiter, wenn der Arzt nicht persönlich vor Ort ist, ist unzulässig. Allenfalls sofern der Arzt vorübergehend abwesend ist, dürfen durch die Mitarbeiter Leistungen erbracht werden, die zuvor unter Berücksichtigung der medizinischen Voraussetzungen im Einzelfall durch den Arzt angeordnet worden sind. Je höher die Qualifikation, der Kenntnisstand und die Erfahrung des Mitarbeiters sind und je weniger risikobehaftet die Leistung ist, desto eher kann eine vorübergehende Abwesenheit des Arztes akzeptiert werden. 

Dienstverhältnis

Die zulässige Delegation ärztlicher Leistungen auf nichtärztliche Mitarbeiter setzt zudem voraus, dass diese in einem dienstvertraglichen Verhältnis zum delegierenden Arzt bzw. der Berufsausübungsgemeinschaft stehen. Dies folgt aus der ärztlichen Schweigepflicht. Die berufsmäßig tätigen Gehilfen sind insoweit dem Arzt gleichgestellt und müssen deshalb in dessen Pflichtenkreis und die Organisation der Praxis eingebunden sein. Für die Delegation vertragsärztlicher Leistungen ist zusätzlich eine entsprechende ausdrückliche Anordnung in der Anlage 4 zum EBM getroffen. 

Wie auch bei den an andere ­Ärzte delegierten Leistungen handelt es sich bei Leistungen, die der Arzt an nichtärztliches Personal delegiert, um eigene Leistungen des delegierenden Arztes, die er überwachen muss und für die er die Verantwortung und Haftung trägt.

Folgen einer unzulässigen Delegation

Weder bei vertrags- noch bei privatärztlichen Leistungen besteht demnach eine Verpflichtung zu einer vollständig höchstpersönlichen Leistungserbringung. 

Werden jedoch vertragsärztliche Leistungen unzulässigerweise delegiert, sind sie nicht abrechenbar, da die Anforderungen des EBM nicht erfüllt wurden, es kann zu Honorar­rückforderungen kommen. Der mit der unzulässigen Delegation verbundene Verstoß gegen die vertragsärztlichen Pflichten kann zudem zu einem Disziplinarverfahren führen. Delegiert der Vertragsarzt Tätigkeiten wissentlich unzulässig und rechnet diese gleichwohl ab, besteht die Möglichkeit einer Strafbarkeit wegen Abrechnungsbetrugs. Auch die Abrechnung nicht persönlich durch den Arzt erbrachter privatärztlicher Leistungen als eigene kann nach verbreiteter Auffassung zu einer Strafbarkeit wegen Abrechnungsbetrugs führen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überträgt insoweit die Grundsätze des vertragsärztlichen Abrechnungsbetrugs auf die privatärztliche Abrechnung.

Haftung für Praxispersonal

Zivilrechtlich haftet der delegierende Arzt für Fehler seiner Mitarbeiter. Obwohl bei der Delegation der Vertrauensgrundsatz gilt, das heißt, dass der Arzt grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass sorgfältig ausgewählte Mitarbeiter ihre Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen, führt eine mangelnde Überwachung oder die Übertragung von Aufgaben an unzureichend qualifiziertes Personal zu einem Organisationsfehler und zur Haftung des Arztes.

Fazit
So groß die Vorteile einer möglichst umfangreichen Delegation deshalb auch sein mögen, um die Praxisabläufe zu optimieren oder den Arzt zu entlasten, muss dieser stets sorgfältig prüfen, welche Aufgaben er rechtmäßig an Kollegen oder nichtärztliches Personal delegieren darf und welche Tätigkeiten er höchstpersönlich auszuüben hat. Fehler können hier gravierende wirtschaftliche und rechtliche Folgen haben.

 

*Zur besseren Lesbarkeit kann in Texten das ­generische Maskulinum verwendet werden. ­Nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter.

Jonas Kaufhold
Rechtsanwalt 
Kanzlei am Ärztehaus
Dorpatweg 10
Germania Campus
48159 Münster
www.kanzlei-am-aerztehaus.de

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