Der Durchbruch der mRNA-Impfstoffe

Die durch das SARS-CoV-2 (Severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2) ausgelöste COVID-19 (Corona virus disease-19)-Pandemie hat das menschliche Zusammenleben nachhaltig verändert. Einmalig sind auch die weltweiten Bemühungen einen Impfstoff gegen das Virus zu entwickeln. Hunderte verschiedener Projekte laufen aktuell und eine große Zahl unterschiedlicher Ansätze wird ausgetestet. Den ersten großen Durchbruch schafften Vakzine, die zu den mRNA-Impfstoffen (messenger ribonucleic acid oder Boten Ribonukleinsäure) gehören. Wie funktionieren diese neuen mRNA-Impfstoffe?

 

Seit ihren Anfängen im 18. Jahrhundert hat die Impfstoffentwicklung eine lange und erfolgreiche Geschichte hinter sich. Damals zeigte Edward Jenner, dass Menschen vor der gefürchteten Pockenvirusinfektion geschützt sind, wenn sie vorher den Kuhpocken ausgesetzt wurden. Dank Impfungen gelten die Pocken mittlerweile als ausgerottet. 

Das Ziel einer jeden Impfung ist es, das Immunsystem auf den Kontakt mit einem Pathogen vorzubereiten und es spezifischen Antigenen des Erregers auszusetzen. Heute gibt es eine große Zahl zugelassener Impfstoffe gegen verschiedenste durch Viren und Bakterien ausgelöste Infektionskrankheiten. Dabei kommen inaktivierte oder abgeschwächte Erreger, gereinigte Toxoide und Kapselpolysaccharide oder rekombinant hergestellte Antigene zum Einsatz. Im Kampf gegen SARS-CoV-2 macht jetzt eine neue Art von Vakzinen auf sich aufmerksam, die nicht mehr das Antigen selbst beinhalten, sondern nur noch den Bauplan dieses Antigen herzustellen. Die Technologie basiert auf vor gut 20 Jahren veröffentlichten Erkenntnissen, dass die Injektion von RNA (Ribonukleinsäure) eine humorale und zellbasierte Immunantwort gegen das von der RNA codierte Antigen hervorrufen kann.1,2

Mit den beiden COVID-19-Impfstoffen BNT162b2 (Comirnaty) von Biontech/Pfizer und mRNA-1273 von Moderna sind erstmalig mRNA-Impfstoffe von der EMA (Europäische Arzneimittel-Agentur), FDA (US Food and Drug Agency) und weiteren Arzneimittelbehörden weltweit zugelassen worden. In ihren jeweiligen Phase-3-Studien konnten beide Impfstoffe mit beachtlichen Zwischenergebnissen überzeugen. Eine relative Wirksamkeit von 95 % (BNT162b2)3 bzw. 94.5% (m-1273)4, die im Vorfeld nur kühne Optimisten erwartet hätten, weißt auf einen hohen Schutz vor der COVID-19 Erkrankung hin.

Curevac, eine weitere Firma die sich auf die Entwicklung von mRNA-basierten Impfstoffen spezialisiert hat, erwartet erste Ergebnisse der Phase-3-Studie ihres Impfstoffkandidaten CVnCoV im ersten Quartal dieses Jahres und nach den Ergebnissen der Konkurrenz sind jetzt auch hier die Erwartungen hoch.
 

 

Aufbau von mRNA-Impfstoffen

Bei Eukaryoten ist die Erbinformation in Form der doppelsträngigen DNA (Desoxyribonukleinsäure) im Zellkern gespeichert. Die Gene werden bei der Transkription durch die RNA Polymerase abgelesen. Die resultierende mRNA ist aufgrund der Struktur ihrer Bausteine, den Ribonucleinsäuren, im Gegensatz zur DNA einzelsträngig.

Die mRNA durchläuft einen Reifeprozess und wird dann aus dem Nukleus in das Zytoplasma der Zelle ausgeschleust, wo die Ribosomen im Prozess der Translation anhand der vorliegenden genetischen Information Proteine herstellen.

Der Aufbau der mRNA-Vakzine orientiert sich an dem der natürlich vorkommenden mRNAs. Der zentrale Bestandteil ist die codierende Region, auch ORF (open reading frame, offenes Leseraster) genannt, die die Information für das herzustellende Antigen enthält. Oberhalb des ORF befindet sich die 5‘ UTR (untranslated region). Sie beinhaltet eine Cap Struktur, die zur Stabilität der mRNA beiträgt und verschiedene Elemente, die die Bindung der Ribosomen und deren Translationsaktivität regulieren. Unterhalb des ORF schließt sich die 3‘ UTR an, die mit dem Poly(A)-Schwanz zusätzlich für Stabilität des Moleküls von Bedeutung ist.


Ein Unterschied zu den natürlich vorkommenden mRNAs ist die Verwendung von sogenannter modRNA, bei deren Synthetisierung in vitro modifizierte Nukleoside wie z. B. Pseudouridin verwendet werden. Diese schützen die mRNA vor Abbau durch Ribonukleasen und verhindern die Aktivierung des angeborenen Immunsystems über die Toll-like-Rezeptoren 7 und 8. Außerdem reduziert der Einsatz von mod­RNA die immunogene Wirkung der mRNA auf das Immunsystem. Trotzdem ist die stimulierende Wirkung noch stark genug, so dass auf den Einsatz von Adjuvantien wie z. B. Aluminiumsalzen zur Verstärkung der Immunantwort verzichtet werden kann. Während Biontech/Pfizer und Moderna modRNAs in ihren Impfstoffen verwenden, setzt Curevac auf nicht-modifizierte, natürliche mRNA in seinen Vakzinen.


Um den Transport der mRNA in die Zelle zu ermöglichen und deren Stabilität zu erhöhen, ist diese bei den Vakzinen in Lipid-Nanopartikeln (LNP) verpackt. ­Diese enthalten unter anderem Cholesterin und Polyethylenglykol (PEG). Die genaue Zusammensetzung unterscheidet sich bei den verschiedenen Herstellern.
 

Selektion des Antigens

Für die Entwicklung des mRNA-Impfstoffs stellt sich die Frage nach dem idealen Antigen, das im ORF des Vakzins codiert werden sollte. Viren sind aus nur wenigen Proteinen aufgebaut, so dass die Auswahl der putativen Antigene limitiert ist. Das Virusgenom codiert zum einen die nichtstrukturellen Proteine, die für die Virusreplikation in der Wirtszelle zuständig sind, zum anderen die Strukturproteine, von denen es bei Coronaviren vier verschiedene gibt.

Die beiden jetzt zugelassenen mRNA-Impfstoffe codieren das Spike Protein des SARS-CoV-2-Virus, das über Bindung an das humane Transmembranprotein ACE-2 den Eintritt in die Wirtszelle ermöglicht. Es befindet sich auf der Oberfläche des Viruspartikels und ist damit zugänglich für neutralisierende Anti­körper, die das Virus unschädlich machen können. Die Verwendung des ganzen Spike Proteins in den Vakzinen zeigte bei Biontech/Pfizer eine stärkere Immunantwort als Vakzine, die nur die Rezeptor-bindende ­Domäne (RBD) des Spike Proteins codieren. Außerdem hat ein größeres Antigen mit einer höheren Anzahl an Epitopen potenziell den Vorteil, dass ein solcher Impfstoff weniger empfindlich auf Mutationen im Virusgenom reagiert. Trotz Wegfall einzelner Antikörper-Bindungsstellen im Zielprotein des Virus würde noch eine ausreichende Anzahl von Epitopen übrigbleiben, die im Rahmen der Immunantwort erkannt werden. Dies müsste, wie bei der aktuell in Großbritannien aufgetretenen Virusvariante von SARS-CoV-2, allerdings experimentell überprüft werden.

 

Wirkungsweise von mRNA-Impfstoffen 

Der Impfstoff wird intramuskulär injiziert und die mRNA wird durch Endozytose in die Zellen aufgenommen. Hier gelangt sie ins Zytoplasma und wird – wie auch die zelleigenen mRNAs – von den Ribosomen abgelesen. Eine Interaktion des mRNA-Impfstoffes mit der DNA im Zellkern findet nicht statt, so dass keinerlei Veränderung oder Manipulation des Erbguts möglich ist.

Anhand der Information der mRNA wird das Antigen, das Spike Protein von SARS-CoV-2, hergestellt. Dieses gelangt dann über die MHC-Klasse-I und MHC-Klasse-II Wege auf die Zelloberfläche. Durch die Präsentation der Antigene dort kann jetzt das körpereigene Immunsystem in Aktion treten und wird aktiviert. In der humoralen Immunantwort werden von B Zellen spezifische Antikörper gegen das Spike Protein von SARS-CoV-2 gebildet, während in der zellulären Immunantwort spezifische CD4 und CD8 T-Zellen gebildet werden.

mRNA ist intrazellulär sehr kurzlebig und wird relativ schnell abgebaut, so dass die Herstellung der Antigene in der ­Zelle zum Erliegen kommt. Im Rahmen der präklinischen und klinischen Testung wird die optimale Konzentration des mRNA-Impfstoffs ermittelt, der eine ausreichende Antigenproduktion ermöglicht, um die gewollte Immunreaktion herbeizuführen.

 

1 Hoerr I et al. In vivo application of RNA leads to induction of specific cytotoxic T lymphocytes and antibodies. Eur. J. Immunol. 30, 1-7 (2000).
2 Zhou WZ et al. RNA melanoma vaccine: induction of antitumor immunity by human glycoprotein 100 mRNA immunization. Hum. Gene Ther. 10, 2719-2724 (1999).
3 Polack FP et al. Safety and Efficacy of the BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine. N Engl J Med 2020 Dec 10: NEJMoa2034577. Published online 2020 Dec 10. doi: 10.1056/NEJMoa2034577 (2020).
4 Presseerklärung Moderna vom 16 Nov 2020

Dr. rer. nat. Christoph Rohde
Molekularbiologe
 

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