Berufsbezogener Stress und atopische Dermatitis: Ergebnisse aus der SOLAR-Studie

Tobias Weinmann et al. Die vorliegende Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen berufsbezogenem Stress und dem Risiko, an atopischer Dermatitis (AD) zu erkranken. Hierzu wurden Fragebogendaten von 1.240 jungen Erwachsenen (61 % weiblich) aus den ersten drei Erhebungsphasen (2002 bis 2003, 2007 bis 2009, 2017 bis 2018) der longitudinalen „Studie zu beruflichen Allergierisiken in West- und Ostdeutschland“ (SOLAR) ausgewertet. Die Analysen lieferten kaum Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen berufsbezogenem Stress und atopischer Dermatitis.

Zitierweise: HAUT 2023;34(6):270-274.

Spielt chronischer Stress bei der Arbeit eine Rolle für AD?

Chronischer Stress am Arbeitsplatz hat in modernen Gesellschaften eine hohe und steigende Prävalenz1 und kann sowohl zu psychischen als auch zu körperlichen, z. B. kardiovaskulären, Erkrankungen führen2,3. Sein Einfluss auf Hautkrankheiten im Allgemeinen und atopische Dermatitis im Speziellen wurde bisher jedoch kaum untersucht, obwohl ein solcher Zusammenhang biologisch denkbar erscheint4. Ziel der vorliegenden Analyse war es daher, den vermuteten Zusammenhang zwischen arbeitsbedingtem chronischem Stress und atopischer Dermatitis bei jungen Erwachsenen mittels einer bevölkerungs­basierten Kohortenstudie zu untersuchen.

Fragebogendaten aus 3 Erhebungsphasen

Es wurden Fragebogendaten von 1.240 jungen Erwachsenen (61% weiblich) aus den ersten drei Erhebungsphasen (2002 bis 2003, 2007 bis 2009, 2017 bis 2018) der in Dresden und München durchgeführten SOLAR-­Studie5 ausgewertet. Berufsbedingter Stress wurde mittels der Skalen „Arbeitsunzufriedenheit“ (Range: 0 bis 20 Punkte) und „Arbeitsüberlastung“ (Range: 0 bis 32 Punkte) gemessen, verwendet wurde dazu die erste Version des Trierer Inventars für chronischen Stress (TICS). Atopische Dermatitis wurde für alle drei Zeiträume basierend auf Selbstberichten über eine ärztliche Diagnose im Laufe des bisherigen Lebens erfasst, außerdem Krankheitssymptome in den letzten 12 Monaten vor der jeweiligen Erhebung.

Um den Zusammenhang zwischen den beiden TICS-Skalen und AD zu bewerten, wurden in der statistischen Analyse mittels generalisierter Schätzgleichungen Odds Ratios (OR) mit 95 % Konfidenzintervallen (KI) berechnet. Hierbei wurden Arbeits­unzufriedenheit und Arbeitsüberlastung zunächst als kontinuierliche und dann als kategoriale Expositionsvariablen (Quartile) behandelt. Die Modelle wurden für potenzielle Störvariablen (z. B. Geschlecht, AD in der Familiengeschichte) adjustiert.

Ergebnisse

Die meisten Teilnehmenden waren weiblich (61 %), hatten einen hohen sozioökonomischen Status (69 %) und waren Nichtraucher (66 %). Die Werte für Arbeitsunzufriedenheit (Mittelwert: 7,4 bis 8,5 Punkte) sowie Arbeitsüberlastung (Mittelwert: 12,2 bis 13,2 Punkte) lagen in allen drei Erhebungsphasen im Durchschnitt im unteren bis mittleren Bereich. Die Prävalenz von AD betrug zum Zeitpunkt der ersten und zweiten Erhebungsphase jeweils 4 % sowie 3 % in der letzten Erhebungsphase (Tab. 1).

Im adjustierten Modell mit kontinuierlichen Expositionsvariablen war ein Anstieg des Wertes für Arbeitsunzufriedenheit um einen Punkt mit einem Anstieg der Odds für AD von 5 % (OR: 1,05; 95 % KI 1,00 – 1,10) assoziiert. Der entsprechende Anstieg des Wertes für Arbeitsüberlastung führte zu einer OR für AD von 1,03 (95 % KI 0,99 – 1,06).

In der kategorialen Analyse gab es keinen statistisch signifikanten Hinweis auf ein erhöhtes Erkrankungsrisiko in der höchsten gegenüber der niedrigsten Expositionsgruppe (4. Quartil vs. 1. Quartil: OR: 1,53; 95 % KI: 0,92 – 2,53 für Arbeitsunzufriedenheit; OR: 1,38; 95 % KI: 0,83 – 2,27 für Arbeitsüberlastung), auch wenn die Effektschätzer mit zunehmendem Expositionslevel anstiegen (Tab. 2).

Variable

n

%

Geschlecht

 

 

      weiblich

751

60,6

Studienzentrum

 

 

      Dresden

702

56,6

AD in der Familiengeschichte

 

 

      ja

188

15,2

sozioökonomischer Status1

 

 

      hoch

851

68,6

Rauchen1

 

 

      ja

315

25,4

atopische Dermatitis

 

 

1. Erhebungsphase (2002 – 2003)

50

4,0

2. Erhebungsphase (2007 – 2009)

48

4,0

3. Erhebungsphase (2017 – 2018)

42

3,4

 

MW

SD

Arbeitsunzufriedenheit2

 

 

1. Erhebungsphase (2002 – 2003)

8,5

3,4

2. Erhebungsphase (2007 – 2009)

7,4

3,4

3. Erhebungsphase (2017 – 2018)

7,5

3,5

Arbeitsüberlastung3

 

 

1. Erhebungsphase (2002 – 2003)

12,2

5,6

2. Erhebungsphase (2007 – 2009)

12,6

5,9

3. Erhebungsphase (2017 – 2018)

13,2

6,3

MW: Mittelwert; SD: Standardabweichung

1 zum Zeitpunkt der 3. Erhebungsphase

2 Range: 0 – 20

3 Range: 0 – 32

Tab. 1: Charakteristika der Studienpopulation (n = 1.240). 

 

Arbeitsunzufriedenheit

Arbeitsüberlastung

rohes Modell

OR

95% KI

OR

95% KI

1. Quartil

1,00 (Referenz)

1,00 (Referenz)

 

 

2. Quartil

1,08

0,65 – 1,79

1,05

0,63 – 1,76

3. Quartil

1,28

0,79 – 2,08

1,07

0,68 – 1,69

4. Quartil

1,53

0,92 – 2,53

1,41

0,86 – 2,30

adjustiertes Modell*

OR

95% KI

OR

95% KI

1. Quartil

1,00 (Referenz)

1,00 (Referenz)

 

 

2. Quartil

1,05

0,63 – 1,75

1,03

0,61 – 1,74

3. Quartil

1,27

0,78 – 2,09

1,04

0,65 – 1,66

4. Quartil

1,53

0,92 – 2,53

1,38

0,83 – 2,27

OR: Odds Ratio; KI: Konfidenzintervall

* adjustiert für Geschlecht, Studienzentrum, Familiengeschichte AD, sozioökonomischer Status, Rauchen, berufliches Risiko für AD

Tab. 2: Ergebnisse der generalisierten Schätzgleichungen für den Zusammenhang zwischen Arbeitsunzufriedenheit und Arbeitsüberlastung als kategoriale Variablen mit atopischer Dermatitis (n = 1.240). 

Diskussion und mögliche Interpretationen

Die Ergebnisse unserer Analyse ergaben nur begrenzte Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Stress am Arbeitsplatz und dem Risiko, an atopischer Dermatitis zu erkranken. Hierfür erscheinen zwei Erklärungsansätze denkbar. 

Zum einen könnten die Zahlen so interpretiert werden, dass es tatsächlich keinen oder nur einen sehr schwachen Zusammenhang zwischen berufsbezogenem Stress und atopischer Dermatitis gibt. Für diese Interpretation spricht unter anderem die Tatsache, dass atopische Dermatitis sich üblicherweise zum ersten Mal im Kindesalter manifestiert, also zu einem Zeitpunkt, zu dem berufliche Faktoren noch keine Rolle spielen. 

Der zweite Erklärungsansatz für unsere Ergebnisse ist, dass es in Wahrheit einen stärkeren Zusammenhang zwischen Arbeitsstress und atopischer Dermatitis gibt, den unsere Studie jedoch aus methodischen Gründen nicht aufdecken konnte – insbesondere durch unzureichende statistische Präzision, bedingt durch die relativ geringe Anzahl an Erkrankten sowie Probandinnen und Probanden mit hohem Stresslevel. 

Literatur

Referat zu: Weinmann T, Forster F, Hell K et al. Work-related stress and atopic dermatitis: Results from the study on occupational allergy risks. J Occup Environ Hyg. 2023;20(2):109-119. doi: 10.1080/15459624.2022.2151604 . Epub 2023 Jan 24.

1. Rigó M, Dragano N, Wahrendorf M et al. Work stress on rise? Comparative analysis of trends in work stressors using the European working conditions survey. Int Arch Occup Environ Health 2021;94(3):459-474.
2. Madsen IEH, Nyberg ST, Magnusson Hanson LL et al. Job strain as a risk factor for clinical depression: systematic review and meta-analysis with additional individual participant data. Psychol Med 2017;47(8):1342–1356.
3. Nabi H, Kivimäki M, Batty GD et al. 2013. Increased risk of coronary heart disease among individuals reporting adverse impact of stress on their health: the Whitehall II prospective cohort study. Eur Heart J 2013;34(34):2697-2705.
4. Gieler U, Gieler T, Peters EMJ et al. Skin and Psychosomatics - Psychodermatology today. J Dtsch Dermatol Ges. 2020;18(11):1280-1298.
5. Forster F, Kreißl S, Wengenroth L et al. Third Follow-Up of the Study on Occupational Allergy Risks (SOLAR III) in Germany: Design, Methods, and Initial Data Analysis. Front Public Health 2021;9:591717.

Korrespondenzadresse

PD Dr. Tobias Weinmann, MSc, Dipl.-Psych.
LMU Klinikum
Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin
AG Angewandte Medizin und Psychologie in der Arbeit (AMPA)
Campus Innenstadt
Ziemssenstr. 5, 80336 München
E-Mail: tobias.weinmann(ett)med.lmu.de

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