Neue Leitlinie Neurodermitis unterscheidet zwischen Diagnosesicherung und Diagnostik von Triggerfaktoren

Atopische Dermatitis (Neurodermitis) ist eine verbreitete chronische Hautkrankheit mit starkem Einfluss auf die Lebensqualität der Erkrankten. Diagnostik und Therapie sind komplex. Bei moderaten bis schweren Formen, die mit topischer Therapie allein nicht zu behandeln sind, stellen moderne Systemtherapien mit Biologika und JAK-Hemmern einen deutlichen Fortschritt für die Behandlung bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen dar. Einen aktuellen Überblick zu Diagnose und Therapie gibt die unter der Federführung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft e. V. (DDG) entstandene Leitlinie „Atopische Dermatitis“, an deren Erstellung zahlreiche medizinische Verbände und Selbsthilfeorganisationen beteiligt waren.

Zitierweise: HAUT 2023;34(6):266-268.

Neurodermitis/ atopische Dermatitis (AD)/ atopisches Ekzem gehört zu den häufigen chronischen Erkrankungen in Deutschland. Sie betrifft alle Altersgruppen, tritt aber meist bereits im Kindesalter auf. Hierzulande leiden etwa 13 % aller Kinder und etwa 2 % aller Erwachsenen unter Neurodermitis. Der Verlauf der AD ist chronisch und die Symptome sind belastend: trockene, eingerissene und entzündete Haut, intensiver Juckreiz sowie Schmerzen. Bei der Mehrheit der Betroffenen ist die AD leicht ausgeprägt. Je nach Lokalisation und Ausdehnung kann sich jedoch eine schwere Hauterkrankung entwickeln. „Die Neurodermitis schränkt die Lebensqualität stark ein, betrifft viele Alltagsbereiche und geht häufig mit einer Stigmatisierung der Betroffenen einher“, sagt Prof. Thomas Werfel, Direktor der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie an der Medizinischen Hochschule Hannover und Mitglied im Vorstand der DDG. 

Neue Optionen berücksichtigt

Eine Aktualisierung der S2k-Leitlinie zur Neurodermitis aus 2016 war dringend not­wendig, da neue medikamentöse Be­hand­lungsoptionen das Management der Er­kran­kung verändert haben. Im Bereich der Sys­tem­therapie führt der Einsatz von Bio­lo­gi­ka und Januskinase (JAK) -Inhibitoren zur The­rapie der moderaten bis schweren AD zu Behandlungserfolgen, was zusammen mit verschiedenen Indi­kationserweiterungen in der Leitlinie the­matisiert wird. „Das Leitlinien-Update im Jahr 2020 zum speziellen Aspekt der Systemtherapie war übergangsweise Hilfe und Orientierung. Jetzt konnten wir die Leit­linie auf S3-Niveau anheben, da wir einen grö­ßeren Teil der aufwendigen methodischen Vorarbeiten aus der kürzlich finalisierten europäischen Leitlinie übernehmen konnten“, erklärt Werfel.

Der hohe Stellenwert der topischen Be­hand­lung bei Kindern, Jugendlichen und Er­wach­senen mit Neurodermitis wird in der Leitl­­inie differenziert dargestellt und bewertet. Es bleibt bei den meisten Pa­tientinnen und Pa­tienten dabei, dass die Lokaltherapie zu­sammen mit der Basis­therapie die wichtigsten Bausteine für das Management der Er­kran­kung sind. 

Ist die AD schwerer ausgeprägt, können die in den letzten Jahren zugelassenen System­therapien bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen eingesetzt werden. Die neueren Systemtherapeutika werden im Detail be­wertet. Die Expertinnen und Experten sind sich einig: Da diese Therapeutika gut wirken und die Lebensqualität der Betroffenen deutlich erhöhen, sollten sie ihnen nach ge­nauer Prüfung der Indikation nicht vor­enthalten werden.

Psychoedukative Programme ausdrücklich empfohlen 

„Wichtig war dem interdisziplinär zu­sam­men­gesetzten Leitlinien-Gremium, auch die nicht­medikamentösen Verfahren inklusive Psycho­the­rapie und Schu­lungs­programme zu be­­werten“, hebt PD Dr. Annice Heratizadeh, Ober­ärztin an der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie an der Me­dizinische Hochschule Hannover und Leiterin des Neurodermitis-Schu­lungs­teams, hervor. Psychoedukative Programme mit nach­ge­wiesener Wirksamkeit, z. B. die Schu­lungs­programme AGNES (für Eltern AD-kranker Kinder, erkrankte Kinder selbst und für Ju­gend­liche mit AD) sowie ARNE (für Er­wachsene), werden ausdrücklich empfohlen.

Triggerfaktoren identifizieren

Neu in der Leitlinie ist die Unterscheidung zwischen der allgemeinen Diagnostik zur Si­cherung der Diagnose Neurodermitis und der Diagnostik individueller Triggerfaktoren inklusive allergologischer Auslöser und be­rufs­dermatologischer Aspekte, was im Ma­nage­ment der Erkrankung nach wie vor nicht ver­nachlässigt werden darf. Prof. Hagen Ott, Chefarzt der Pädiatrischen Dermatologie und Allergologie am Kinder- und Jugend­krankenhaus Auf der Bult in Hannover, betont, dass es weder im Kindesalter noch bei Er­wach­senen einen „Königsweg“ im Umgang mit vermuteten Auslösefaktoren der Erkrankung gibt. Dazu muss man wissen, dass Nah­rungs­mittelallergien bei Kindern mit moderater bis schwerer AD deutlich häufiger sind als in der Allgemeinbevölkerung und bei 15 bis 40 % der Patientinnen und Patienten vorkommen. Die Komorbidität ist mit dem Schweregrad der AD asso­ziiert. „Die Trig­ger­faktoren müssen in­di­viduell identifiziert werden, bevor kon­krete Em­­pfehlungen etwa zu Diäten aus­gesprochen werden“, so Ott, der die Leitlinie zusammen mit Werfel koordinierte. Eine sogenannte Eli­minationsdiät könne hilfreich sein. „Die Zahl unnötiger Diäten muss aber reduziert werden, da mit ihnen immer auch die Ge­fahr der Fehl­ernährung und emotionale Be­las­tungen ein­hergehen“, mahnt der Kinder- und Hautarzt.

Praxisorientierte Darstellung

Im Anhang der Leitlinie finden sich praxis­orientierte Checklisten, die für jedes Alter konsentiert wurden. Sie sind hilfreich, um die Schwere der Erkrankung einzuschätzen und um die Indikation für eine System­therapie zu stellen. Die Tabellen zeigen die allgemeinen Empfehlungen (inklusive Empfehlungsgrad) zur topischen sowie zur antiinflammatorischen systemischen Langzeittherapie. 

Die aktualisierte Leitlinie soll Ärztinnen und Ärzte bestmöglich bei der Behandlung von AD-Patientinnen und -Patienten unterstützen. Hilfreich ist dabei zudem die von der Division of Evidence based Medicine (­dEBM) erstellte Kurzpräsentation der Leit­linie, die als Schulungsmaterial in Mittagsvisiten, Qualitätszirkeln oder bei sonstigen Weiterbildungen eingesetzt werden kann.

Literatur    

1. S3-Leitlinie „Atopische Dermatitis“ (AWMF-Registernr. 013-027) 2023. 
2. Wollenberg A et al. European guideline (EuroGuiDerm) on atopic eczema – part I – systemic therapy. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2022 Sep;36(9):1409-1431. doi: 10.1111/jdv.18345 . PMID: 35980214.
3. Wollenberg A et al. European guideline (EuroGuiDerm) on atopic eczema – part II: non-systemic treatments and treatment recommendations for special AE patient populations. J Eur Acad Dermatol Venereol. 2022 Nov;36(11):1904-1926. doi: 10.1111/jdv.18429 .

Quelle: Dagmar Arnold, Deutsche Dermatologische Gesellschaft (DDG).

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