Supplemente und Mikrobiom: relevant für perioperative und ästhetische Medizin? (Teil 2*)

Sara V. Schnettler, Timm J. Filler. Für die Korrektur von Störungen im Makronährstoff-, Vitalstoff- und Mikronährstoffhaushalt gibt es im operativ- und ästhetisch-interventionellen Gebiet hervorragende Möglichkeiten. Statt Blutwerte zu behandeln, müssten Nahrungsergänzungsmittel aber unter Kenntnis der Zusammenhänge und Wechselwirkungen evidenzbasiert eingesetzt werden. Ein einfaches „Was nehme ich bei…?“ gibt es leider nicht.

Schlüsselwörter: Biom, Darm-Haut-Achse, Haut-Darm-Achse, kommensale Keime, mikrobielle Endokrinologie, Mykobiom

Zitierweise: HAUT 2022;33(6):308-314.

Abstract

To correct disturbances in the balance of macronutrients, vital substances, and micronutrients, there are outstanding options in the field of surgical and aesthetic interventions. Instead of treating blood levels, dietary supplements would have to be applied in an evidence-based way, considering coherences and interactions. Unfortunately, there are no simple causalities.
Key words: biome, gut-skin-axis, skin-gut-axis, commensal germs, microbial endo­crinology, mycobiome

Haut-Darm-Achse

*Teil 1 finden Sie HIER .

Die Darm-Haut-Achse ist bidirektional. Durch Störungen der Haut können sich also auch Veränderungen im Darm manifestieren – und dann sekundär aus dem Darm heraus wieder Störungen in der Haut auftreten. Das hierin erkennbare Henne-Ei-Problem macht Kausalitätsketten schwer durchschaubar. Für die Wirkrichtung von der Haut auf den Darm ist neben dem Immunsystem (z. B. Th2-­Zellen, IgE und Histamin bzw. Mastellen) auch das (neuro-) endokrine System ein Effektor. Mikrobiotische Endokrinologie ist für den Menschen bisher so gut wie nicht etabliert. Die vorhandenen Untersuchungen stammen von Tieren, vorzugsweise angestoßen von der Nahrungsmittelindustrie20

Mikrobiotische Endokrinie ist als Resultat einer langen Evolution selbst bidirektional. Eine ganze Reihe der neurochemischen Kommunikationsstoffe, über die das Endokrinum mit Mikroben interagiert, dürfte überhaupt erst durch diese Co-Evolution hervorgetreten sein. Stress-Katecholamine gehören gemäß Analogieschlüssen von Tieren in diese Kategorie. Von Stress-Katechol­aminen ist bekannt, dass sie die Empfänglichkeit gegenüber infektiösen Mikroorganismen erhöhen, also Infektionen begünstigen. Die durch diese Botenstoffe bedingten Veränderungen im Abwehrstatus der Haut haben Mikroorganismen zu nutzen gelernt. Das wiederum führt zu endokrinen Anpassungsreaktionen usw. Diese Co-Evolution mit gegenseitigen Anpassungen von Endokrinie und Mikroorganismen ist nicht nur in der Haut, sondern auch z. B. in Darm oder Lunge zu finden. Die Veränderungen reichen also weit über die lokale Situation hinaus. 

Darm-Hirn-Achse

Darüber hinaus kommt es zu einer Antwort aller und nicht nur der opportunistischen oder pathogenen Mikroorganismen. Dieses Wechselspiel ist für Tiere und Pflanzen nachgewiesen. Bei Tieren sind darüber hi­naus Verhaltensänderungen bekannt, die durch die hormonellen Reaktionen bedingt sind. Diese werden derzeit beim Menschen noch vor allem über die Darm-Hirnachse erforscht. Stress ist bei den Menschen in der heutigen westlichen Kultur kaum noch durch die Stress-Kompensationsmechanismen auszubalancieren. Stress zeigt sich damit in allen Lebensaltern auch in der Reaktion der Haut. Somit spielen in die Wechselwirkungen der Haut-Darm-Achse auch die unterschiedlichen Reifestadien hi­nein – eine schwer zu beherrschende und bislang völlig unzureichend beschriebene Komplexität. 

Die Rolle der Pilze: relevant, aber kaum erforscht

Pilze sind für ein funktionierendes Öko­system von zentraler Bedeutung. Das gilt für die Sauerstoffproduktion des Planeten, für Nutzpflanzen unserer Nahrung und für die Haut und die Schleimhäute. Die Haut stellt für Pilze Nischen und Nährstoffe zur Verfügung21. Für Pilze gibt es besondere immunologische Funktionen. Sie sind entsprechend involviert bei zahlreichen Hauterkrankungen22-24, für die ihrerseits auffällige Mi­kronährstoff-Profile existieren. Die meisten bekannten Pilze sind typischerweise bei 37° C nicht hinreichend vermehrungsfähig. Damit sind nur sehr wenige Pilze human­pathogen. Die Zahl der Antimykotika ist vor diesem Hintergrund sehr überschaubar. Das heißt nicht, dass es nur wenige Pilze gibt, die den Menschen als Besiedlungsraum nutzen. Es ist aber zwischen Besiedelung und Infektion zu unterscheiden25. Pilze sind entweder kommensal oder pathogen. Pilzinfektionen weisen daher typischerweise auf Störungen der Wechselwirkungen zu Bakterien und/ oder dem Körper hin. Die in den letzten Jahren völlig neu auftretenden Pilzbesiedelungen des Menschen mit hoher Letalität treten vor allem bei Immun­geschwächten auf. In der medizinischen Ausbildung sind Pilze bisher nur eine Randnotiz. Mit wenigen Ausnahmen, etwa in der Dermatologie. Das liegt daran, dass bei den 10 % der Deutschen, die unter Pilzinfektionen leiden, der weit überwiegende Teil Haut- oder Nagelmykosen aufweist26

Humanotrope Wirkungen der Pilze

Wahrscheinlich beeinflusst das mykotische Mikrobiom, z. B. durch Produktion von neurotrop wirkenden Substanzen oder Subs­tanzen, die das Immunsystem beeinflussen, unsere Biologie weit mehr, als wir wissen. In der Biomforschung spielen Pilze als eukaryotische und damit eher tierische Mikro­organismen eine untergeordnete Rolle, obwohl sich hier ein wesentlicher Einfluss auf die Steuerung unserer Gesundheit abzeichnet. Pilze sind neben Tieren und Pflanzen die dritte große Gruppe in Ökosystemen, wobei erst 5 bis 10 % der Pilz-Arten bekannt sind. Wenn diesen dann der Sprung auf den Menschen gelingt, wird die Diagnose nicht selten zu spät und wahrscheinlich oft auch gar nicht gestellt. 

Ein wesentliches allgemeines Charakteristikum von Pilzen ist ihre Wirkung auf die Umgebung durch Abgabe von steuernden oder enzymatisch wirkenden Substanzen, die in dieser Vielfalt und Intensität nirgends sonst zu finden ist. Neben den weithin bekannten Penicillinen manipulieren z. B. Cyclosporine das Immunsystem oder wirken Statine auf den Cholesterin-Stoffwechsel. Auch Immunstimulanzien aus Pilzen werden immer bedeutender für die Medizin. Diese humanotropen Wirkungen lassen sich mit der langen Koexistenz von Pilz und Mensch erklären. Antibiotika auf der Haut greifen nach dem Kahlschlag-Prinzip in das komplizierte Wechselspiel der Mikroorganismen ein, in dem die Pilze oft Kontrolleure sind. Beim Darmbiom verdichten sich die Zeichen, dass solche Störungen nicht selten chronische Erkrankungen einschließlich psychiatrischer Beeinträchtigungen verursachen oder unterhalten27. Auch der Stoffwechsel des Menschen beeinflusst die Situation der Pilze. 

Klimawandel begünstigt neue pathogene Pilze

Unser Verständnis für die Wechselwirkung der Mikroben untereinander28 und mit dem Wirt ist eher schlicht, verglichen mit der Realität. Es reicht im hohen Druck des medizinischen Tagesgeschäftes vielfach gerade einmal so weit, dass Diabetes mit seinem hohen Zuckergehalt in den Körperflüssigkeiten als kausale Pathogenese für Mykosen verstanden wird. Es gibt Schätzungen, wonach es noch Jahrhunderte dauern wird, bis das System der Wechselwirkung des Bioms mit dem Menschen verstanden ist. Bei diesem geringen Wissensstand sind neue pathogene Pilze ein Problem. Daher bleibt aktuell nur der Versuch, das Mikro­biom in die Lage zu versetzen, sich selbst zu heilen, und das evolutionär an Pilze angepasste Abwehrsystem zu fördern. Denn die erkennbare Erderwärmung ist nicht nur wegen ihres mittleren Temperaturanstiegs ein Problem. Die Spitzenwerte erzeugen für Pilze einen Evolutionsdruck, der sie auch bei höheren Temperaturen überleben lässt. Das versetzt bislang harmlose Spezies plötzlich in die Lage, auch Säugetiere zu besiedeln. Durch die Reiseaktivitäten des Menschen können sich solche Mutanten aus fernen Gebieten auch über gesunde Menschen verbreiten. Dies kann das derzeit zu beobachtende rätselhafte gleichzeitige Auftreten solcher neuen Infektionen auf verschiedenen Kontinenten erklären. So etwas vermutet man beispielsweise bei Candida auris29 oder Fusarium musae30, einem Pilz, der eigentlich nur auf Bananen wächst.

Immunmodulation durch Candida albicans

Candida albicans ist ein wesentlicher Modulator von menschlichen Immunreaktionen. Von diesem Pilz werden Th-17 Zellen aktiviert. Diese T-Helferzellen sind auch von zentraler Bedeutung bei chronischen Entzündungen oder Autoimmunerkrankungen. Die Candida-Interaktion könnte chronische Entzündungen oder andere Überreaktionen eindämmen. Eine übermäßige Besiedelung mit Candida albicans erhöht demgegenüber den Stress-Level im Körper und beeinflusst das Immun­system ungünstig. Umgekehrt gibt es für Pilz-spezifische Moleküle eigene Rezeptoren an Immunzellen. Jedenfalls muss sich unser Immunsystem für seine Reifung und sein Training auch mit dem Mykobiom auseinandersetzen. Eine Veränderung des Bioms ist also relevant. Eine Antibiose ist vor diesem Hintergrund reichlich abzuwägen, da die damit verbundene Reduktion der Bakterien den Pilzen ganz anderen Raum lässt.

Mikronährstoffe: Es ist kompliziert! 

Hinsichtlich der Mikronährstoffe sind die Zusammenhänge kompliziert. Ein Beispiel: Kalzium sorgt für eine reduzierte Eisenaufnahme, etwa durch verminderte Expression des Eisensensors HapX – eine häufig übersehene Nebenwirkung in der undifferenzierten, reflektorischen Osteoporose-Therapie mit hohen Kalzium-Dosen. Eisenmangel erzeugt zudem eine intrazelluläre Kalzium-Überladung, was wiederum zu einer vermehrten Produktion von Sauerstoffradikalen führt. Die so insgesamt gestörte Ionen-Homöostase hemmt Pilzwachstum und bietet in dieser Kombination zumindest kurzfristig sogar eine Therapieoption31.

Fazit

Ein in der industrialisierten, urbanisierten Gesellschaft meist in seiner Vielfalt reduziertes Biom (gegenüber einem angenommenem Biom unserer Vorfahren) stört nicht nur die Aufnahme lebenswichtiger Substanzen, sondern produziert auch wenig Vitamine und andere Vitalstoffe. Zudem ist das Immun­system unter solchen Bedingungen meist weniger ausgereift und vor allem weniger trainiert. Eine Darm-Dysbiose kann über Auto-Antikörper oder kreuzreagierende Antikörper, B-Zell-Überaktivierung, Imbalance der Helferzellen und Interleukine, gestörte Mikronährstoffaufnahme und erhöhten Verbrauch Hauterkrankungen unterhalten, erleichtern oder auslösen. Die sehr zahlreichen und meist nicht sehr individualisierten Diäten einschließlich unkritisch übernommener Fasten-Empfehlungen verändern das Biom zusätzlich. 

Allein in Deutschland erkranken jährlich über 70 Millionen Menschen an Magen-Darm-Erkrankungen, wobei Infektionen, Toxine (z. B. Amalgam) oder Medikamente (z. B. Protonenpumpen-Inhibitoren) und die Ernährungsweise die Hauptursachen sind. Die kommerziellen Angebote, die mit Bakterienzufuhr gegensteuern wollen, zeigen nicht immer günstige Zusammensetzungen – einmal abgesehen von der oft nicht ausreichend hohen Bakterienzahl sowie ungünstigen Zusatzstoffen – und gehen mit der allgemeinen Unkenntnis über die notwendige Dauer der Einnahme einzelner Produkte einher. Eine Anpassung an die unterschiedlichen individuellen Situationen ist so nicht gegeben. Selbst günstig zusammengesetzte Produkte nützen nur wenig, wenn die Ernährung nicht entsprechend angepasst wird. 

Eine bekannte Strategie, das Biom zu regulieren und die Artenzahl zu vermehren, ist eine faserreiche Ernährung, idealerweise mit Rohkost. Allerdings sind die darunter im Darmbiom zu findenden Bakterien sehr divers und stimulieren das Immunsystem individuell. Sie dienen aber vor allem dem Abbau der pflanzlichen Kohlenhydrate, ohne die Zytokin-Antworten zu modulieren. Hochfermentierte Produkte erhöhen die bakterielle Diversität wesentlich stärker und gehen gleichzeitig mit einer Reduktion der Entzündungsmarker einher32.

Unkenntnis und Missverständnisse in der täglichen Praxis

Mit der Betrachtung und Korrektur von Störungen im Makronährstoff-, Vitalstoff- und Mikronährstoffhaushalt stehen den Therapierenden im operativ- und ästhetisch-interventionellen Gebiet hervorragende Möglichkeiten zur Verfügung. Diese müssten aber jenseits eines reinen Bilanzierens einzelner Substanzen – unter Kenntnis der Zusammenhänge und Wechselwirkungen – evidenzbasiert eingesetzt werden. 

Aber auch die wissenschaftliche Literatur ist kritisch zu betrachten. Sehr viele handwerklich hochwertige Publikationen leiden unter einem grundlegenden Missverständnis, wenn sie versuchen, Nahrungsmittel – und nichts anders sind Nahrungsergänzungsmittel – mit Medikamenten zur vergleichen und als Therapeutika in einem monokausalen Denkgefüge einzusetzen. 

Für ein besseres Verständnis ist es notwendig, zu begreifen, dass zwischen Krankheit und Gesundheit ein Graubereich existiert, den zu behandeln die Chance bietet, Erkrankungen zu vermeiden und vollständiges körperliches, geistiges und soziales Wohlbefinden zu erreichen. Benötigt wird ein interprofessioneller Ansatz, der mehr Faktoren bis hin zu den Lebens- und Ernährungsumständen der Behandelten zu Rate zieht und im Sinne des Wortes ganzheitlich korrigierend eingreift. Werden also alle Nährstoffe, Alter, Wirkzeit-Faktoren, intrazelluläre Stoffwechselverfügbarkeit (und nicht nur Bioverfügbarkeit) etc. justiert, die z. B. in proinflammatorische Stoffwechsel- oder Aging-Prozesse involviert sind, zeigen sich Nahrungsergänzungsmittel als hervorragendes Korrektiv. Die einfache Empfehlung „Was nehme ich bei…?“ gibt es leider nicht.

Literatur    

20. Lyte JM, Lyte M. Review: Microbial endocrinology: intersection of microbiology and neurobiology matters to swine health from infection to behavior. Animal 2019;13(11):2689-2698.
21. Flowers L, Grice EA. The Skin Microbiota: Balancing Risk and Reward. Cell Host Microbe 2020; 28(2):190-200.
22. Kanda N et al. The skin fungus-induced Th1- and Th2-related cytokine, chemokine and prostaglandin E2 production in peripheral blood mononuclear cells from patients with atopic dermatitis and psoriasis vulgaris. Clin Exp Allergy 2002;32(8):1243-50.
23. Lunjani N, Hlela C, O‘Mahony L. Microbiome and skin biology. Curr Opin Allergy Clin Immunol 2019;19(4):328-333.
24. Bjerre RD et al. Skin dysbiosis in the microbiome in atopic dermatitis is site-specific and involves bacteria, fungus and virus. BMC Microbiol 2021;21(1):256.
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29. Wagener J, Kurzei O. Candida auris: Steckbrief eines neuen Pilzes. Dtsch Arztebl International, 2019;116:4-7.
30. Triest D et al. Fusarium musae infected banana fruits as potential source of human fusariosis: May occur more frequently than we might think and hypotheses about infection. Commun Integr Biol 2016;9(2):e1162934.
31. Ye J et al. Synergistic Antifungal Effect of a Combination of Iron Deficiency and Calcium Supplemen-tation. Microbiol Spectr 2022.
32. Wastyk HC et al. Gut-microbiota-targeted diets modulate human immune status. Cell 2021;184(16):4137-4153 e14.

Korrespondenzadresse

MSc. Dr. rer. med. Sara V. Schnettler
Zaluto.Med
Werkstr. 8, 59494 Soest
E-Mail:  info(ett)zaluto-med.de

Prof. Dr. med. Timm J. Filler
Institut für Anatomie
Heinrich-Heine-Universität
Universitätsstr. 1, 40225 Düsseldorf

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