Gesundheit, Geschlecht und Digitales

Akademisch ist die Gendermedizin etabliert. Im medizinischen Alltag spielen genderspezifische Aspekte jedoch kaum eine Rolle – zum Schaden von Patientinnen und Patienten. Die rasante Entwicklung im Bereich der Künstlichen Intelligenz erfordert nun eine schnelle Kurskorrektur.

Seit fast 30 Jahren ist die Weiterentwicklung der Geschlechteraspekte in der Medizin ein Thema, um das sich der Deutsche Ärztinnenbund (DÄB) kümmert. So veranstaltete er einen der ersten Kongresse dazu in Deutschland: in Gießen mit der Überschrift „Schlagen Frauenherzen anders“? Das Themenfeld hieß eine ganze Weile Gendermedizin, heute schreiben wir oft prägnanter: Genderaspekte in der Medizin oder genderspezifische Medizin. 

In den ersten Jahren wurden die Bemühungen, die tatsächlich meist von Frauen ausgingen, die unterschiedlichen Aspekte von Krankheiten bei Frauen und Männern aufzuzeigen, teilweise belächelt und von vielen – Männern, aber auch Frauen – als „Frauenkram“ abgetan. Inzwischen ist die genderspezifische Medizin etabliert und in den Grundlagen der Weiterbildungsordnung für alle Fächer aufgenommen. In den Plänen für die zukünftige Approbationsordnung sollen die Gender­aspekte bis hin in die Prüfungsfragen einen festen Platz erhalten. Auch Lehrstühle für Gendermedizin gibt es nun nicht nur in Berlin, an der Charité, sondern auch in Bielefeld.

tiftungsprofessuren, Juniorprofessuren und universitäre Arbeitsgruppen haben das Thema an weiteren Universitäten auf die Agenda gesetzt. Auch in der Gesellschaft ist die Notwendigkeit des Umdenkens angekommen. Aber wenn man die beiden Lehrstühle in Deutschland betrachtet und in Beziehung setzt mit der Anzahl der Universitäten insgesamt, dann erkennt man noch viel Luft nach oben.

Flächendeckend Bewusstsein schaffen

Warum ich das Thema zum wiederholten Male anspreche, hat damit zu tun, dass der Transfer der genderspezifischen Erkenntnisse in den medizinischen Alltag sehr schleppend verläuft. In der Weiterbildung liefern einige Fächer gute Vorbilder, aber es fehlt die flächendeckende Umsetzung, das flächendeckende Bewusstsein. Der sehr langsame Wechsel der Sichtweise auf die unterschiedlichen Genderaspekte steht im direkten Kontrast mit der Schnelligkeit bei der Weiterentwicklung der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz (KI). 

Wenn wir davon ausgehen, dass die KI-Systeme die vorliegenden, weitgehend nicht-genderspezifischen Daten aus Wissenschaft und Forschung als Grundlage ihrer algorithmischen Weiterentwicklungen übernehmen, wissen wir, dass in der Zukunft die Ergebnisse KI-gestützter Medizin nicht stimmen können. Die Fehlerquote ist hoch und das wird so bleiben, solange die KI-Systeme an diesen verzerrten Daten trainiert werden.

uch die Nutzung der Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs), die seit rund zwei Jahren in der Versorgung eingesetzt werden, sind zu hinterfragen, solange nicht bei deren Beschreibung erkennbar wird, ob und wie Genderaspekte berücksichtigt werden. 

Von der Diagnostik bis zur Medikation

Erst wenn bei digitalen Anwendungen und aus KI-Systemen grundsätzlich differenzierte Ergebnisse nach unterschiedlichen Gruppen sichtbar werden und auch so veröffentlicht werden, dann sind wir als Gesellschaft auf dem richtigen Weg! Bis dahin ist es notwendig, Ärztinnen und Ärzte immer wieder darauf aufmerksam zu machen, dass die Geschlechter-Differenzierung – bei der Diagnosestellung, der Medikation, der Nutzung von medizinischen Geräten, etc. – so wichtig sein kann, dass sie sogar den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen kann.

Patientinnen und Patienten müssen aufgerufen werden, sich ebenfalls aktiv um die Differenzierung zu bemühen. Sie können bei der Behandlung nachfragen, ob es Erkenntnisse gibt, die für das jeweilige Geschlecht wichtig sind. Das wird zwar etwas aufwändiger sein, aber es ist auch ein Schritt zu einer größeren Sicherheit.


„Mir liegt die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen am Herzen, aber auch die Erhaltung eines Gesundheitssystems, in dem sowohl der Mensch als auch die ärztliche Freiberuflichkeit im Mittelpunkt steht. Menschlichkeit heißt, auch in selbständiger Praxis Privatleben und Beruf zu vereinbaren. Renditeerwirtschaftung durch Hedgefonds und Aktiengesellschaften und Rosinenpickerei bei gut honorierten Einzelleistungen stehen für mich im Widerspruch zu einem solidarisch finanzierten System.“


Dr. Christiane Groß, M.A.
Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes

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