Schwangerschaftsadaptierte L-Thyroxin-Substitution senkt die Frühgeburtenrate

In einer retrospektiven Kohortenstudie wurde untersucht, ob eine regelmäßige Überwachung des mütterlichen freien Thyroxinspiegels und eine schwangerschaftsadaptierte L-Thyroxin-Substitution vor und während der Schwangerschaft bei Patientinnen mit bestehender oder neu diagnostizierter latenter und manifester Hypothyreose sowie Hypothyroxinämie die Frühgeburtenrate beeinflussen können.

 

Frühgeburten betrachtet man gegenwärtig als klinische Endstrecke unterschiedlicher pathophysiologischer Kaskaden, deren Komplexität eine kausale Therapie bis heute verhindert. Trotz intensivster Anstrengungen ist es nicht gelungen, die Frühgeburtenrate zu reduzieren. Deutschland hat mit einer Prävalenz von 8,6 % eine der höchsten Frühgeburtenraten in Europa. Schilddrüsenfunktionsstörungen haben bei Frauen im gebärfähigen Alter eine hohe Prävalenz. Insbesondere die manifeste bzw. latente Hypothyreose und die Hypothyroxinämie sind vor und während der Schwangerschaft von besonderer Bedeutung, da diese mit einer geringen Symptomatik einhergehen.

Pathophysiologisch ist ein möglicher Zusammenhang von Thyroxinmangel und Frühgeburtsrisiko wenig erforscht. Als sicher gilt, dass die mütterliche Schilddrüse östrogenbedingt erheblich mehr belastet wird. So steigt der Schilddrüsenhormonbedarf während der Schwangerschaft um ca. 25–50 % an. Schilddrüsenhormone sind zu über 99 % im Serum an Transportproteine gebunden und dadurch inaktiv. Das dominierende Bindungsprotein ist das Thyroxin-bindende Globulin (TBG), dessen Konzentration östrogenabhängig bis zur 12.–14. Schwangerschaftswoche um das Zwei- bis Dreifache der Ausgangswerte ansteigt. Dieses zusätzlich entstandene TBG senkt die Konzentration der freien aktiven Schilddrüsenhormone um durchschnittlich 10–15 % ab, sodass sie dem Stoffwechsel entzogen werden. Um eine mütterliche Euthyreose aufrechtzuerhalten, wird die Schilddrüsenhormonsynthese um ca. 30–100 % erhöht. Da während der Schwangerschaft der Östrogenspiegel kontinuierlich ansteigt, führt dies zur maximalen Dauerstimulation der mütterlichen Schilddrüse. Bei einer gesunden und präkonzeptionell mit Jod aufgefüllten Schilddrüse wird vorwiegend Thyroxin synthetisiert und sezerniert. Es entwickelt sich eine physiologische euthyreote maternale Hyperthyroxinämie, die erst 14 Tage nach der Entbindung abklingt. In der S2k-Leitlinie zur „Prävention und Therapie der Frühgeburt“ werden Schilddrüsenerkrankungen als Risiko­faktoren nicht erwähnt. 

Retrospektive Kohortenstudie

In einer retrospektiven Kohortenstudie unter Verwendung von 1.440 pseudonymisierten Erhebungsfrage­bögen zur Evaluation von Frühgeburtsrisiken wurde untersucht, inwieweit eine schwangerschaftsadaptierte L-Thyroxin-Substitution in der Lage ist, die Frühgeburtenrate zu senken.1 Hierfür wurden zwei Gruppen (A und B) aus einer Einzelpraxis mit einer bundesweit erhobenen Kontrollgruppe verglichen. Gruppe A hatte bereits vor der Schwangerschaft L-Thyroxin eingenommen, während in der Gruppe B die L-Thyroxin Substitution erst mit der Schwangerschaft begonnen wurde. In beiden Gruppen wurde während der Schwangerschaftsvorsorge der TSH- und der freie Thyroxin-Spiegel (fT4) regelmäßig kontrolliert und die L-Thyroxin-Substitution so angepasst, dass der fT4-Spiegel im hoch normalem Referenzbereich für das Schwangerschaftstrimenon gehalten wurde. Unter Berücksichtigung anderer Risikofaktoren wurde mittels logistischer Regressionsanalyse der Einfluss einer schwangerschaftsadaptierten L-Thyroxin-Substitution auf die Frühgeburtenrate ermittelt.

Ergebnis: weniger Frühgeburten

Im Vergleich zur Kontrollgruppe war die Frühgeburtenrate in der Gruppe A um 70 % (p < 0,0001) und in der Gruppe B um 42 % (p = 0,0086) niedriger, wobei die Odds Ratio mit 3,46 besonders in der Gruppe A hoch signifikant war. Bluthochdruck (Odds Ratio 5,21), BMI (kg/m2) (Odds Ratio 0,91) und Zustand nach Frühgeburt konnten als weitere unabhängige Risiko­faktoren identifiziert werden.

Die Ergebnisse zeigen eine Assoziation von intensivierter Schilddrüsendiagnostik und schwangerschaftsadaptierter L‑Thyroxin-Substitution mit einer Abnahme von Frühge­burten.


1 Torremnte P, Berge NK, Weiss C. Reduktion der Frühgeburtenrate durch frühzeitige Diagnostik und schwangerschaftsadaptierte Therapie der Schilddrüsenunterfunktion. Geburtshilfe Frauenheilkd 2023;83(11):1361–70. DOI: 10.1055/a-2103-8143

 

Dr. med. Pompilio Torremante
Frauenarzt/Spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin 
Marktplatz 29, 88416 Ochsenhausen
dr.torremante@onlinemed.de

 

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