Schmerzen bei chronischen Wunden
Als Wunde wird der Barriereverlust zwischen dem Körper und der Umgebung durch Zerstörung von Gewebe an äußeren oder inneren Körperoberflächen bezeichnet.
Eine Wunde, die nach acht Wochen nicht abgeheilt ist, wird als chronisch bezeichnet. Unabhängig von dieser zeitlich orientierten Definition, gibt es Wunden, die von Beginn an als chronisch anzusehen sind, da ihre Behandlung eine Therapie der weiterhin bestehenden Ursache erfordert.
Hierzu gehören beispielsweise
- das diabetische Fußsyndrom
- Wunden bei pAVK
- Ulcus cruris venosum
- Dekubitus
Die oben aufgeführten Definitionen wurden 2016 von der interdisziplinären Fachgesellschaft ICW e.V im Journal der Deutschen Gesellschaft für Dermatologie (JDDG) veröffentlicht.1 In Deutschland leiden ca. eine Million Patienten unter chronischen Wunden. Die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung für diese Patientengruppe betragen ca. vier Milliarden Euro im Jahr. Der durchschnittliche Wundpatient ist um die 70 Jahre alt, zu 60 Prozent sind die Patienten weiblich, der Anteil von Patienten mit Diabetes mellitus ist in allen Gruppen der chronischen Wunde hoch – ca. 40 Prozent (Patienten mit Diabetischem Fußsyndrom stellen einen kleinen, aber hoch kostenrelevanten Teil dieses Klientels dar).
Die durchschnittliche Behandlungszeit einer chronischen Wunde ist zum großen Teil abhängig von der Entität (z. B. venöses Unterschenkelgeschwür) und natürlich auch von der durchgeführten Therapie, die vor allem kausal, also an der entsprechenden Ursache ausgerichtet sein sollte. Sie beträgt meist mehrere Monate, manchmal auch Jahre.
Ulcus cruris venosum
Das Problem der „offenen Beine“ ist in der Medizin natürlich seit langem bekannt, wenn es auch bis in die letzte Zeit hinein von der ärztlichen Seite eher vernachlässigt und der häuslichen Krankenpflege bzw. den Patienten selbst und deren Angehörigen überlassen wurde. Das hieraus folgende Kommunikationsdefizit führte auch dazu, dass die mit chronischen Wunden verbundenen Schmerzen kaum diskutiert wurden.
D. Krasner (USA) führte 1999 die ersten großangelegten Patientenbefragungen zu diesem Thema durch.2 Zur Überraschung der Autoren gaben 70 Prozent der Patienten, die unter einem vermeintlich schmerzarmen venösen Ulcus zu leiden hatten an, dass die Schmerzen ihr größtes Problem seien und nicht etwa die offene Wunde als solche.
Raunstrup und Karle veröffentlichten 2003 eine Befragung von Patienten mit verschiedenen chronischen Wunden und konnten die Schmerzintensitäten differenzieren.
Diabetisches Fußsyndrom
Nicht überraschend berichteten die Patienten mit Diabetischen Fußsyndrom über die niedrigste Intensität. Hier macht sich die Polyneuropathie in ihrer sensorischen Form bemerkbar.
Betrachtet man den Anteil der Patienten, die über schwerste Schmerzen klagten, so waren dies
- in der Gruppe der Patienten mit DFS aber immer noch 19 Prozent
- in der Gruppe derjenigen die unter einem Dekubitus litten 25 Prozent
- in der Gruppe mit venösem Unterschenkelgeschwür 28 Prozent
- in der Gruppe der Patienten mit einer infizierten Wunde 51 Prozent
Über gar keine Schmerzen konnten nur die Patienten mit DFS (17 %) und die mit einem Dekubitus (1 %) berichten.
Keinen unmittelbaren Einfluß auf die Stärke der Schmerzen hat die Wundtiefe. Die Schmerzrezeptoren der Haut liegen ausschließlich in der Epidermis, sodass oberflächliche Wunden (z.B. Schürfverletzungen oder Spalthautentnahmestellen) größere Schmerzen verursachen können als sehr tiefe Wunden. Auch die Fläche der Wunde ist zweitrangig. Ulcera in Hautbezirken mit einer Atrophie blanche können auch bei nur sehr geringer Ausdehnung massive Schmerzen verursachen.
Schmerzassessment
Unverzichtbar ist ein sorgfältiges Schmerzassessment. Patienten setzen häufig voraus , dass die Behandler angesichts der Wunde von einem hohen Schmerzlevel ausgehen und wollen nicht „klagen“. Die Behandler stehen in der Regel unter einem erheblichen Zeitdruck (der auch der völlig ungenügenden Honorierung von Verbandwechseln geschuldet ist) und wollen keine zusätzlichen Probleme ansprechen. Am besten wird daher bei jedem Verbandwechsel der Schmerzscore anhand einer visuellen Analogskala (VAS) ermittelt und dokumentiert.
Im zeitlichen Auftreten der Schmerzen können zwei Phasen unterschieden werden. Zum einen der Schmerz unter dem liegenden Verband, zum anderen der Schmerz beim Verbandwechsel.
Therapie
In der Therapie sollten sowohl systemische wie auch lokale Gesichtspunkte Beachtung finden. Medikamente werden nach dem bekannten Stufenschema der WHO (by the mouth, by the clock, by the ladder) eingesetzt. Dabei gelangen durchaus auch hochpotente Opioide zur Anwendung.
Kompressionstherapie
Einen hohen Stellenwert haben physikalische Verfahren. Gerade beim venösen Ulcus zeigt die Entstauung der betroffenen Extremität durch eine adäquate Kompressionstherapie, eventuell unterstützt durch manuelle Lymphdrainage, gute Effekte.
Exsudatmanagement
In der Lokaltherapie hat insbesondere das Exsudatmanagement Bedeutung. Häufig sezernieren chronische Wunden große Menge von entzündlichem Exsudat. Dieses kann auf der wundumgebenden Haut wie in der Wunde zu Schmerzen führen. Verbände mit hoher Absorptionskapazität können das Exsudat entfernen und dadurch die Schmerzen lindern.
Austrocknung der Wunden und Haften trockener Verbände an der Wundoberfläche verursachen Schmerzen beim Verbandwechsel. Nichthaftende Wundauflagen (z. B. mit Silikon) oder das Abdecken der Wunde mit sogenannten Distanzgittern sind hier hilfreich.
Entscheidend ist die Kommunikation mit den Betroffenen. Das Bewusstsein, mit den Schmerzen ernstgenommen und als ganzer Mensch, nicht nur als „Hautdefekt“ respektiert zu werden, hilft, über die Schmerzen auch zu reden.
Dr. Christian Münter
1 Definitionen für die Wundbehandlung, J.Dissemond, A. Bültemann, V. Gerber, B. Jäger, K. Kröger, C. Münter, JDDG 1/2016.
2 D.Krasner Ed. In Chronic Wound care – the Essentials, HMP Communications, 2014.
3 Raunstrup /Karle 2003, zitiert in www.wundakut.de/Dokumente/Das Ulcus cruris Venosum 21.03.2012 pdf.