Sexualität kommt in der Altersmedizin noch zu kurz

Mit den Babyboomern, die gerade in die Jahre kommen, wird das Thema Sexualität im Alter zunehmend enttabuisiert: Viele Silver Ager wollen noch ein erfülltes Sexleben haben, und zwar bis ins hohe Alter. Wie kann man damit umgehen in der Geriatrie und in Pflegeheimen? Wie lässt sich dieser Wunsch mit Krankheiten und anderen Einschränkungen in Einklang bringen? Mit dieser Thematik setzt sich Dr. Annette Ciurea, Leitende Ärztin an der Universitären Klinik für Akutgeriatrie im Stadtspital Waid in Zürich, auseinander.

Aus ganzheitlicher Perspektive beleuchtete sie das Thema in ihrer Keynote „Sexualität im Alter: Rien ne vas plus!?“ beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG), der vom 5. bis 7. September 2019 in Frankfurt am Main stattfand.

„Jeder Mensch hat einen eigenen persönlichen Zugang zur Sexualität, auch Ärztinnen und Ärzte. Wir befragen unsere Patientinnen und Patienten zu allen möglichen gesundheitlichen Problemen, über ihre Sexualität wissen wir aber meist kaum etwas“, sagt Dr. Annette Ciurea und fährt fort: „Der WHO-Report ‚Alter und Gesundheit‘ umfasst insgesamt 260 Seiten – gerade einmal eine Seite widmet sich dem Thema Sexualität. Für Menschen mit Demenz gibt es zahlreiche Fragebögen zur Erfassung von auffälligem Verhalten, aber keinen zu sexueller Auffälligkeit.“

Wunsch nach Intimität ist auch bei Hochbetagten noch ausgeprägt

In ihren Augen ist Sexualität aber ein wichtiger Baustein des „Successful Aging“, der bisher zu kurz kommt. „In der Berliner Altersstudie BASE hat man etwa festgestellt, dass die sexuelle Aktivität im Alter zurückgeht, der Wunsch nach Intimität aber durchaus bestehen bleibt“, so Ciurea. Dabei gehe es nicht nur um den Geschlechtsakt selbst, sondern vor allem um das Bedürfnis nach Zärtlichkeit und Berührung. Der körperliche Kontakt von vielen Patientinnen und Patienten in Pflegeheimen und geriatrischen Abteilungen beschränke sich aber meist auf Dinge wie Körperpflege und Essenseingabe.

Erkrankungen und Medikamente: zahlreiche Barrieren behindern Sexualität im Alter

Hinzu kommen viele Barrieren, die mit dem Älterwerden zu tun haben. Der Körperbau verändert sich, die Menopause tritt ein, chronische Erkrankungen wie Diabetes nehmen zu. Medikamente gegen bestimmte Krankheiten können wiederum die Libido negativ beeinflussen. „Auch die fortschreitende Demenz eines Partners oder einer Partnerin kann in der Beziehung zur großen Belastung werden“, so Annette Ciurea.

Intimes Beisammensein: in der Schweiz werden auch Sexualbegleiterinnen eingesetzt

Während die Sexualität in den eigenen vier Wänden gelebt werden kann, bestehen in Pflegeinstitutionen erhebliche Einschränkungen. Dürfen Bewohnende miteinander Beziehungen eingehen? Sollen für ein intimes Beisammensein Räume eingerichtet werden? Was löst das bei Angehörigen aus? Wie gehen wir mit sexuellen Verhaltensstörungen bei Demenz um? – Das sind Fragen, mit denen Altersmediziner vor allem im Hinblick auf die selbstbewussten Silver Ager zunehmend konfrontiert sind. Hier spielen auch die kulturellen Rahmenbedingungen eine Rolle. In der Schweiz etwa, die als eher liberal gilt, werden in der Praxis bereits sogenannte Berührerinnen oder Sexualbegleiterinnen eingesetzt.

Erfolgreiches Altern: mögliche Strategien im Umgang mit Sexualität in der Geriatrie

Dr. Annette Ciurea will  für das immer wichtiger werdende Thema sensibilisieren. „Geriater und Geriaterinnen sollten das Thema offen ansprechen und nach Bedürfnissen fragen.“ Auch sei es wichtig, Sexualität als einen Bestandteil von Successful Aging zu begreifen. „Wir Altersmediziner sollten uns außerdem bewusst sein, dass unsere eigene Sexualität den Umgang mit diesem Thema in Bezug auf unsere Patientinnen und Patienten beeinflusst.“

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG)

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