Entzündliche Polyneuropathie – Warum wirkt die Therapie nicht?

Auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie im November 2023 wurde die Behandlung von Neuropathien thematisiert. So beschäftigte sich der Vortrag von Prof. Dr. Helmar Lehmann (Leverkusen) mit der Frage „Eskalation oder Erhaltungstherapie bei entzündlicher Polyneuropathie“. Dr. Luisa Kreß (Würzburg) beleuchtete den Zusammenhang von Small Fiber Neuropathie und Prädiabetes.

Prof. Helmar Lehmann stellte eine 40-jährige Patientin vor, mit der Erstdiagnose chronisch inflammatorisch demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP), die unter einer sensomotorischen Polyneuropathie mit distalen Paresen, Tremor und hochgradiger sensibler Ataxie litt.

Die Patientin erhielt über drei Monate alle vier Wochen intravenös Immunglobuline (IVIg) (1 g/kg Körpergewicht (KG)). Nach dieser Therapie verbesserte sich ihr Zustand nicht merklich und Lehmann stellte Ursachen für das mögliche Nichtansprechen einer IVIg-Therapie bei CDIP vor.

So beschrieb er eine Studie von Nobile-Orazio et al., in der sich gezeigt hatte, dass mehr als 50 % der mit IVIg erstbehandelten CIDP-Patientinnen und -Patienten erst nach zwölf Wochen eine Verbesserung verspürten, sodass eine verlängerte Behandlung notwendig war.1 Zwei weitere Untersuchungen, die er vorstellte, verdeutlichten, dass 47 % bzw. 54 % der mit CDIP vordiagnostizierten Patientinnen und Patienten eigentlich an anderen Erkrankungen litten, z. B. diabetischer Polyneuropathie oder Amyotropher Lateralsklerose, und deshalb die falsche Therapie bekamen.2,3

Immunglobuline wirken nicht bei Paranodopathien

Ebenso, so Lehmann, sprächen Paranodopathien nicht gut auf IVIG an. Bei ihnen handelt es sich um überwiegend motorische Polyneuropathien, bei denen Antikörper gegen die Ranvierschen Schnürringe (AK gegen Neurofascin-155, Contactin-1 und Caspr) vorliegen. Auch gäbe es Patientinnen und Patienten, die eine höhere Dosis von mehr als 2 g/kg KG an IVIg benötigten, um eine gute Wirkung zu erzielen, betonte er.4,5 Zur objektiven Beurteilung der Effektivität der Therapie ständen verschiedene Scores zur Verfügung, wie INCAT, IRODS, mISS, MRC oder die Dynamometrie, von denen er den Patientenfragebogen IRODS sehr hilfreich fand.6

Zur Second-line-Behandlung bei Refraktärität auf First-line-Therapien, wie Ig s. c/i. v, Steroide oder Plasmaaustausch, stünden, so Lehmann, weitere Wirkstoffe zur Verfügung, z. B. Azathioprin, Cyclophosphamid, Cyclosporin A, Methotrexat oder Rituximab. In einer Studie von Motte et al. wurden therapieresistente CIDP-Erkrankte mit Cyclophosphamide (CYP), Rituximab (RTX) und Bortezomib (BTZ) behandelt.7

Es habe sich gezeigt, sagte Lehmann, dass ein frühzeitiger Therapiebeginn innerhalb von 24 Monaten nach der Diagnose effektiver war als ein späterer Behandlungsstart.7

Kein Goldstandard bei der SFN-Diagnostik

Dr. Luisa Kreß beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit der Small Fiber Neuropathie (SFN), bei der dünn myelinisierter Aδ-Fasern und/oder unmyelinisierter C‑Fasern geschädigt sind. Es kommt zu neuropathischen Schmerzen, Sensibilitätsstörungen und autonomen Symptomen.

„Hautbiopsie und klinische Untersuchung eignen sich am besten für die Diagnostik“, so Kreß.8 Neue Kleinfasertests wie PREP (pain related evoked potentials) und CCM (korneale konfokale Mikroskopie) würden die diagnostische Treffsicherheit von 57 % auf 85 % erhöhen.8 In 10 % der Fälle sei die Ursache hereditär bedingt, in 40 % metabolisch (v. a. Prädiabetes) und in 60 % ideopatisch.8  

Kreß stellte Ergebnisse einer eigenen noch unveröffentlichten Untersuchung an 119 SFN-Erkrankten vor (23 % idiopatisch, 64 % Prädiabetes, 32 % andere sekundäre Ursache): Bei der Hautbiopsie gab es keinen Unterschied im Verteilungsmuster der Nervenfasern, allerdings zeigte sich eine niedrigere Faserdichte bei der prädiabetischen SFN als bei der idiopatischen.

Auch konnte man bei den Probanden keinen Unterschied hinsichtlich Schmerzanam­nese, symptomatischer Therapie (Effekt/Rate), CCM und QSART (quantitativer sudomotorischer Axonreflextest) erkennen. Sie zog das Fazit, dass es zurzeit noch keinen Goldstandard bei der Diagnostik der SNF gäbe und die Ätiologie keinen Rückschluss auf den Phänotyp zulasse. Auch seien die Symptome bei der SFN sehr unterschiedlich. „Bei SFN-Patientinnen und -Patienten sollte man aber immer an einen Prädiabetes denken“, betonte sie.

Literatur:
1 Nobile-Orazio E et al. J Peripher Nerv Syst 2020;25(4):356–365. 
2 Allen JA et al. Neurology 2015;85(6):498–504.
3 Kaplan A et al. Muscle Nerve 2017;55(4):476–482.
4 Debs R et al. Int J Neurosci 2017;127(10):864–872.
5 Kapoor M et al. Int J Neurosci 2022;132(4):352–361.
6 Van den Bergh PYK et al. J Peripher Nerv Syst 2021;26(3):242–268.
7 Motte J et al. Ther Adv Neurol Disord 2021:14:1756286421999631.
8 Egenolf N et al. Ther Adv Neurol Disord 2021:14:17562864211004318.

Quelle: Vorträge „Behandlung entzündlicher Polyneuropathien: Eskalation oder Erhaltungstherapie?“ von H. Lehmann sowie „Prädiabetes und Small Fiber Neuropathie – eine eigene Entität der Kleinfaserneuropathien?“ von L. Kreß anlässlich des DGN-Kongresses 08.–11.11.2023 in Berlin.

Interessiert an neuen Fortbildungen oder Abrechnungstipps?

Abonnieren Sie unseren Infoletter.
 

Zur Infoletter-Anmeldung

x
Newsletter-Anmeldung