DiGA in der Praxis – Herausforderungen, Chancen und Inspiration

Die ersten Hürden sind genommen und Instanzen wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) oder die Kassenärztlichen Vereinigungen haben Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) integriert. Aber nicht einmal 20 % aller Ärzte* haben jemals eine DiGA verschrieben. Kann da jemand von einem flächendeckenden Versorgungsangebot sprechen? Was braucht die Ärzteschaft und was nicht? Im Beitrag wollen wir uns Lösungsansätzen nähern.

Agnes Eva Uhr
Vice President und Mitglied der Geschäftsleitung von BFS health finance

Warum stehen Verschreiber DiGA offenbar skeptisch gegenüber?

Uhr:

„Das Produkt DiGA an sich ist akzeptiert und die Wirkung belegt. Die Crux liegt woanders. Es fehlt an Wissen über die einzelnen Anwendungen und deren Integration in den Praxisalltag. Diese Probleme gilt es zuerst zu lösen, damit DiGA den flächendeckenden Weg in die Versorgung finden. DiGA werden zudem häufig mit Medikamenten verglichen. Wenn der Patient z. B. einen bestimmten Kopfschmerz beschreibt, kann der Mediziner gut einschätzen, in welcher Dosierung er das Medikament verordnen sollte. Aber wie skaliert sich das bei einer DiGA? Hier gilt es, sich mit den jeweiligen Angeboten auseinanderzusetzen und einzuschätzen, welche Anwendung welchem Patienten am besten helfen kann. Aber: Welcher Arzt hat schon die Zeit sich durch rund 47 DiGA zu lesen? Klar ist: DiGA sind noch nicht im Alltag angekommen, weil Informationen fehlen, was welche DiGA kann und was Patientenstudien in ihrer Wirksamkeit zeigen – denn nur das kann ein Arzt transferieren, um zu entscheiden, ob die Lösung seinem Patienten helfen kann.“

Ist es nicht attraktiv, wenn meine Praxis State of the Art ist?  

Uhr:

„Viele Ärzte haben volle Praxen und müssen sich nicht um neue Patienten bemühen. Unterm Strich fehlt die Zeit. Es gibt natürlich auch die grundlegende Praxislandschaft, in der sich zwei Situationen abspielen: Die Praxis, die sich in ihrer gewachsenen Struktur elementar anpassen müsste und die Praxis, die es seit fünf Jahren oder weniger gibt und in der diese Voraussetzungen bereits weitgehend erfüllt sind. Außerdem spielt das Mindset eine Rolle: Ein Medizinier, der offen für alles ist, was zum Heilungsprozess beiträgt, wird sich vermutlich eher neuen Lösungsansätzen öffnen.“ 

Wie können Berührungsängste abgebaut werden?

Uhr:

„Aktuell gibt es für die verschiedenen Fachgebiete noch nicht sehr viele Angebote. Es reicht, wenn Ärzte die DiGA, die zu ihrer Expertise passen, kennenlernen und sich mit ihnen beschäftigen. So lässt sich beispielsweise eine kleine Übersicht mit drei bis fünf Optionen erstellen und dem Patienten an die Hand geben. Mit der vorselektierten Auswahl kann der Patient einen Favoriten wählen und erhält über diese DiGA ein Rezept. Dies ist ein hoch interessanter, neuer Ansatz: Der Arzt ist kompetenter Empfehler, der Patient wird aktiv in sein Behandlungskonzept einbezogen. DiGA insbesondere als patientenzentrierter Ansatz können den Weg bereiten, um ein dahingehend ausgerichtetes Gesundheitssystem zu etablieren. Auch im weiteren Anwendungsverlauf kann eine gute Vorbereitung Ärzte, Praxisangestellte und Patienten helfen. Denn wie geht es weiter mit dem Rezept? Ein Infoblatt ist schnell erstellt und bietet eine schrittweise Anleitung auf dem Weg zu Nutzung der DiGA.“ 

Ein Schritt Richtung patienten-­zentriertem Gesundheitswesen?

Uhr:

„Ob nun im Gesundheitswesen oder in anderen Bereichen unserer Gesellschaft – wir neigen leider oft dazu an Altbewährtem festzuhalten. Doch die größte Herausforderung ist gleichzeitig unsere Stärke: Im Gesundheitsbereich geht es letzten Endes immer um den Menschen, der Hilfe benötigt und diese bekommen soll. Auf dem Weg zu einem funktionierenden System von morgen, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt, sollten alle Beteiligten des Marktes sehen, wie sie dazu beitragen können. Wie können wir besser informieren, abholen und begeistern, um eine Versorgung zu schaffen, die wir uns selbst für uns oder unsere Angehörigen wünschen? Schließlich sitzen wir alle im gleichen Boot und mir gefällt die Vorstellung von Arzt und Patient, die gemeinsam im besten Interesse handeln. Ihnen nicht auch?“


*Zur besseren Lesbarkeit kann in Texten das ­generische Maskulinum verwendet werden. ­Nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Anne-Katrin Kohlmorgen

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