COVID-19 aktuell: Impfempfehlung oder Impfpflicht?

Vor etwas mehr als einem Jahr begann die Impfkampagne gegen SARS-CoV-2 in Deutschland. Ein Großteil der Bevölkerung hat die Impfangebote angenommen. Auch wenn die Infektionen mit der Omikron-Variante generell leichter verlaufen, haben die Impfungen sicher dazu beigetragen, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu vermeiden. Was ist darüber hinaus sinnvoll und erforderlich? Dieser Frage gingen Fachleute im Rahmen der 152. Bad Nauheimer Gespräche am 7. März 2022 nach.

Derzeit stagniert der Impffortschritt in der Bevölkerung. Reichen die Impf­empfehlungen aus oder brauchen wir eine Impfpflicht? Diese Frage erörterten Prof. Dr. Fred Zepp, Arzt und Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) aus Mainz, Prof. Dr. Malte Thießen, Historiker aus Münster und Prof. Dr. iur. Steffen Augsberg, Jurist und Mitglied des Deutschen Ethikrates aus Gießen. Sie haben das Thema aus medizinischer, historischer, rechtlicher und ethischer Sicht beleuchtet.

Impfungen als effektivste Mittel

Alle Referenten waren sich einig: Impfungen zählten zu den besten Errungenschaften der Menschheit und könnten nicht hoch genug bewertet werden. Die Frage, die sich stelle, ist laut Zepp: Welches Impfziel könne mit einer allgemeinen Impfpflicht ab dem 18. Lebensjahr aktuell überhaupt erreicht werden? Angesichts des hohen Anteils an gegen SARS-CoV-2 Geimpften einschließlich der Genesenen in der Bevölkerung ergebe eine Impfpflicht keinen Sinn mehr, nicht zuletzt auch wegen der kurzen Schutzwirkung der derzeit verfügbaren und nur bedingt zugelassenen Impfstoffe. Sein Fazit: „Wir liegen eigentlich gar nicht so schlecht.“ Man mag an der einen oder anderen Stelle darüber diskutieren, ob eine Impfpflicht bei medizinischem Personal generell ein gutes Konzept sei, es sei aber dahingestellt, wie sinnvoll das in einer Phase wäre, in der man den größten Teil des Problems schon gelöst hat.

Was lehrt die Geschichte? 

Aus historischer Sicht gelten Impfpflichten als wenig zielführend, wie Thießen veranschaulichte: Die Impfpflicht gegen Pocken rief seit Beginn im 19. Jahrhundert große Widerstände hervor, Impfpassfälschungen und Freistellungen waren häufig, Impfverweigerer wurden aus verschiedenen Gründen weder im Kaiserreich noch im Dritten Reich oder auch nach dem Zweiten Weltkrieg verfolgt, sodass am Ende die Impfraten bei den freiwilligen Impfungen stets deutlich über denen der Pflichtimpfung gegen Pocken lagen. Im gegenwärtigen Klima sieht uns Thießen mit einem sogenannten „Come­back der Sehnsucht nach einer Impfpflicht“ konfrontiert. Woher kommt sie? Diese „Sehnsucht“ sei nachvollziehbar, weil die Gesundheitspolitik unter großem Handlungsdruck stehe. Drei Faktoren könnten diesen Druck erklären: Historische Ängste der Menschen um Gene (z. B. vor dem neuen mRNA-­Verfahren bei Impfstoffen). Die Immunität als „Relativitätstheorie“, weil Impfungen nur einen relativen Schutz bieten. Allerdings hätten Fachleute bereits zu Pandemiebeginn da­rauf hingewiesen, dass die Effektivität der Impfstoffe erst beobachtet werden müsse. Nicht zuletzt dränge ein Wandel von Gesundheitskonzepten in der Gesellschaft die soziale Dimension des Impfens aus dem Blickfeld. Er sei skeptisch, ob sich soziales Gewissen und Solidarität per Impfpflicht verordnen ließen.

Alle Dimensionen betrachten

Statt aus medizinischer bzw. naturwissenschaftlicher Sicht unsinnige „wahrscheinliche Szenarien für den Herbst“ zu proklamieren und durch Übertreibungen „politics of fear“ zu betreiben, sei es nicht zuletzt auch aus rechtlichen und ethischen Gründen erforderlich, evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen, meinte Augsberg. Diese müssen auch die gesellschaftlichen Folgen berücksichtigen. Vordringlich aber sei eine begleitende, ehrliche und offene Risikokommunikation, die die Bürgerinnen und Bürger in ihrer Eigenverantwortung anspreche. Den Gedanken, dass man mit der Maßnahme einer Impfpflicht allein das Pandemieproblem lösen könne, finde er zu kurz gegriffen. „Wir werden lernen müssen, mit diesem Virus zu leben und die Risiken, die damit einhergehen, handhabbar zu machen“ – dabei seien Impfungen zweifellos ein wesentliches Mittel. 

Impfempfehlung oder Impfpflicht aus medizinischer, historischer, rechtlicher und ethischer Sicht.

medizinisch

„Nichts in der Geschichte der modernen Medizin ist jemals erfolgreicher gewesen als das moderne Impfen.“ 
Die Gewichtung der Impfung und die Sinnhaftigkeit einer Impfempfehlung hängt davon ab, wie groß der Vorteil ist und wie gering die Nachteile für die Personengruppe sind. Eine Impfempfehlung muss immer einen Vorteil für die Personengruppe haben, die die Impfung nutzt.


historisch

Aus historischer Sicht machen Impfpflichten wenig Sinn, da sie Widerstände hervorgerufen haben. Höhere Impfquoten konnten eher auf der Basis der Freiwilligkeit erreicht werden.
Die Geschichte zeigt, dass sich das soziale Gewissen der Gesellschaft und Solidarität bisher nicht mit Impfpflichten verordnen ließen.


rechtlich und ethisch

Es sollten evidenzbasierte Entscheidungen getroffen werden, die auch die gesellschaftlichen Auswirkungen einbeziehen. Es gibt nicht den einen Lösungsweg aus der Pandemie. 


Kommunikation und Aufklärung könnten in allen drei Bereichen das bessere Mittel sein als eine Impfpflicht.

Quelle: Landesärztekammer Hessen, „COVID-19 aktuell: Impfempfehlung oder Impfpflicht?“, Online Veranstaltung, 07.03.2022.

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