IGeL überzeugend kommunizieren: Grundlagen und Hemmnisse

Patienten sind heutzutage immer besser informiert und erwarten eine kompetente Beratung und Behandlung. Vielen ist auch bekannt, dass nicht alle ärztlichen Leistungen von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden und sie möglicherweise einen Teil selbst zu zahlen haben. Gleichzeitig müssen sich immer mehr Praxen überlegen, wie sie ihre Existenz durch Erweiterung des Leistungsspektrums in Form von individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) sichern können. Wie kann ich als Arzt* oder Praxismitarbeiter den Spagat zwischen Nutzen für den Patienten und wirtschaftlichem Interesse der Praxis schaffen? Wie kann ich dem Patienten ein vertretbares Angebot in einem angemessenen Zeitrahmen unterbreiten, ohne dass er sich übervorteilt fühlt?

Der folgende Beitrag bietet einen kleinen Ausschnitt daraus, wie man IGeL überzeugend und patientengerecht kommunizieren kann.

Was sind IGeL?

IGeL sind ärztliche, zahnärztliche und psychotherapeutische Leistungen, die der Patient selbst bezahlen muss (Selbstzahlerleistungen). Dabei handelt es sich um verschiedene Diagnose- und Therapieverfahren, die nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gehören, da sie über das „ausreichende, zweckmäßige, wirtschaftliche und notwendige“ hinausgehen. Das ist im Wirtschaftlichkeitsgebot des Sozialgesetzbuches festgelegt (§ 12 Abs. 1 SGB V). Daher müssen diese Leistungen von der GKV auch nicht bezahlt werden. Die IGeL müssen allerdings medizinisch sinnvoll sein. Welche medizinischen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungskatalog der GKV aufgenommen werden, bestimmt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das zentrale Entscheidungsgremium des Gesundheitswesens. 

Das Konzept der IGeL und die Erstellung eines entsprechenden Katalogs geht auf Dr. med. Lothar Krimmel in den 90er Jahren zurück.

Begrifflichkeiten

Bevor wir weiter in die Thematik einsteigen, ist es sinnvoll, sich einige Begriffe, die im Zusammenhang mit IGeL verwendet werden, anzuschauen:

„IGeL“ fallen unter den Begriff „Wunschleistungen“. Hierzu gehören aber auch „sonstige Wunschleistungen“, z. B. kosmetische/ästhetische Leistungen, die medizinisch nicht notwendig sind. Dies betrifft beispielsweise auch einen Kaiserschnitt auf Wunsch. Solche Leistungen sind dann umsatzsteuerpflichtig. Der Begriff „Selbstzahlerleistung“ nimmt Bezug auf das Versichertenverhältnis, also darauf, ob etwas von der Krankenversicherung erstattet wird oder die Kosten selbst zu tragen sind (ggf. auch weil kein Versichertenverhältnis vorliegt). 

Die Auswahl und das Anbieten von IGeL werden kontrovers diskutiert. Weitere Details dazu würden den Rahmen dieses Artikels sprengen. Interessant zu wissen ist, dass „medizinisch notwendig“ nicht immer gleichbedeutend ist mit „GKV-notwendig“: so gibt es durchaus medizinisch sinnvolle Leistungen, die sich (noch) nicht im Katalog der GKV befinden. 

Verteilung privat angebotener Leistungen bei Vertragsärzten

Allen voran handelt es sich dabei um Leistungsangebote wie Ultraschalluntersuchungen bei Frauenärzten und Glaukomfrüherkennung bei Augenärzten (s. Abb.).

An dieser Stelle kann man sich fragen, ob es nicht sogar unethisch wäre, dem Patienten eine für ihn sinnvolle medizinische, von der GKV nicht übernommene Leistung nicht anzubieten und sie ihm hiermit – auch zu seiner Entscheidungsfindung – vorzuenthalten.

Abb.: Verteilung privat angebotener Leistungen bei Ärzten in der ambulanten Versorgung*

Art der Leistung

Verteilung bei Ärzten in %

Ultraschalluntersuchungen

 26,9

Glaukomfrüherkennung

 18,1

Blutuntersuchungen/Laborleistungen

 11,1

Verordnung Medikament bzw. Heil- und Hilfsmittel

 9,9

Ergänzende Krebsfrüherkennung bei Frauen

 7,0

Bestimmung des PSA-Werts (Prostata)

 4,5

Hautkrebsfrüherkennung

 4,2

Knochendichtemessung

 2,5

Akupunktur

 1,8

Elektrokardiogramm

 1,2

Kosmetische Leistungen

 1,0

Sonstige Leistungen

 11,5

n = 581; *667 angebotene oder nachgefragte Leistungen (ohne zahnärztliche Leistungen) 
Quelle: WIdO-monitor 2019.1

 

Fünf Gründe, die am „IGeLn“ hindern könnenAuf der Grundlage von durchgeführten IGeL-Seminaren lassen sich fünf typische Gründe heraus­stellen, die am Anbieten von Selbstzahlerleistungen in der Praxis hindern können: 

1. Diskrepanz in der Motivation

Häufig liegt eine Diskrepanz zwischen der Motivation des Chefs und der Praxismitarbeiter (z. B. MFA) vor: Entweder der Chef möchte IGeLn und die Mitarbeiter nicht oder umgekehrt: die Mitarbeiter stehen hinter dem Anbieten von IGeL, aber der Chef hat Bedenken, sich einzubringen.

2. Fehlende Überzeugung

Es gibt Gedanken, die am IGeLn hindern können. Sie können z. B. etwa so lauten: „Wir wollen nicht abzocken/die Patienten über den Tisch ziehen. Wir möchten alle Patienten gleich behandeln/keine Zwei-Klassen-Medizin“ etc. Solche Gedankengänge können auch unbewusst und unausge­sprochen wirken. Es kann sich zudem hinderlich auswirken, wenn der Praxis­inhaber bzw. seine Mitarbeiter selbst von einer bestimmten IGeL nicht überzeugt ist bzw. sind.

3. Keine Identifikation mit dem Begriff

Ein hemmender Einfluss kann zum Tragen kommen, wenn man sich mit dem Begriff „IGeL“ nicht identifizieren kann. Obwohl der Begriff sich mittlerweile etabliert hat, wird er dennoch mit dem stacheligen Tier assoziiert oder mit der in diesem Kontext oft negativen Presse. Es ist wichtig, sich dies bewusst zu machen und ggf. einen andere, zur Praxis passende, individuelle Bezeichnung zu wählen. 

4. Mangelndes Fachwissen

Ein entscheidender Hinderungsgrund besteht häufig darin, dass die oder einige der angebotenen Leistungen insbesondere vom Personal nicht richtig erklärt werden können. Dabei kann es sich um lückenhaftes inhaltliches Fachwissen oder mangelndes Knowhow bezüglich einer patienten­gerechten Beschreibung handeln, aber auch um nicht klar kommunizierte Abläufe etc. im Zusammenhang mit dem IGeL-Angebot. Manche Praxismitarbeiter trauen sich möglicherweise nach längerer Zeit auch nicht mehr, den Chef zu fragen, um sich nicht bloßzustellen. So geht man der Situation aber aus dem Weg. Ein Angebot wird dem Patienten erst gar nicht unterbreitet – aus Angst, er könnte nachfragen. Man hofft, dass er das Thema „Selbstzahlerleistung“ nicht von selbst anspricht.

5. Praxisorganisation 

Es gibt aber auch die Situation, dass sich die Praxis einig ist, „IGeLn“ zu wollen, aber nicht so recht weiß, wie man ein Angebot vermitteln und professio­nell kommunizieren kann.

Zusätzlich zu den genannten Gründen, die am IGeLn hindern können, ist es auch möglich, dass „Fehler“ hinzukommen. Dazu zählen fehlende Verträge, Kassenbücher oder Recallsysteme. Auch Vermischungen von GKV- und Selbstzahlerleistungen, zu lange Wartezeiten und ein wenig ansprechendes Ambiente in den Praxisräumen kommen vor. Manchmal wissen die Patienten gar nicht, was die Arztpraxis anbietet, weil eine Präsentation der Leistungen fehlt (z. B. in Broschüren, auf der Homepage etc.).

 

Vertrauensverhältnis

Von zentraler Bedeutung ist es, das Vertrauen des Patienten zu gewinnen und auch zu erhalten. Das bedeutet, ihm nicht per Gießkannenprinzip theoretisch mögliche IGeL, eventuell noch unter Druck und mit ausschließlichem Blick auf den eigenen, wirtschaftlichen Vorteil angedeihen zu lassen. Vielmehr bedeutet dies, ihm maßgeschneiderte und transparente Angebote zu unterbreiten, die man im Zweifel auch einem eigenen Angehörigen empfehlen würde. 

► Nur unter dieser Prämisse des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient biete ich selbst seit mehr als 20 Jahren meinen Patienten selbstzuzahlende Leistungen an und kann hinter meinen Seminaren und Artikeln zu Thema „IGeL“ stehen.


1 Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO). WIdO-monitor 2019; 16(1): 1 – 12

* Zur besseren Lesbarkeit kann in Texten das ­generische Maskulinum verwendet werden. ­Nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter.

Dr. med. Birgit Hickey
Fachärztin für Allgemeinmedizin
Diplom-Biologin. Niedergelassen in eigener Praxis seit 1992, Tätigkeitsschwerpunkt: Systemische Medizin und -Familientherapie, Systemische Kommunikation und -Mediation. Durchführung von Kommunikationstrainings für Praxen und Kliniken seit 1993. Praxis in Münster: VitalCenter, Gasselstiege 23, 48159 Münster, 0251/3220031
www.birgit-hickey.de 

Interessiert an neuen Fortbildungen oder Abrechnungstipps?

Abonnieren Sie unseren Infoletter.
 

Zur Infoletter-Anmeldung

x
Newsletter-Anmeldung