Ausfallhonorar – in der Praxis umsetzbar?

In der medizinrechtlichen Praxis klagen Mandantinnen und Mandanten häufig darüber, dass Patientinnen und Patienten ohne Absage zu vereinbarten Behandlungsterminen nicht erscheinen. Dies kann – je nach Praxisorganisation und insbesondere auch Umfang der geplanten Behandlungsmaßnahmen – zu sehr ärgerlichen Konsequenzen führen. Häufig wird daher die Frage aufgeworfen, ob und unter welchen Voraussetzungen einer Patientin bzw. einem Patienten Ausfallhonorar berechnet werden kann.

Zunächst einmal existierte bis vor Kurzem keinerlei höchstrichterliche Rechtsprechung dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen Ausfallhonorar rechtskonform in Ansatz gebracht werden kann. Die verschiedenen Amts- und vereinzelten Landgerichte waren sich jedoch über einige Punkte einig, die jedenfalls erfüllt sein müssen, um eventuell ein Ausfall­honorar geltend zu machen.

Exklusive Terminvereinbarung als Voraussetzung für Verzug

Einigkeit besteht zunächst darüber, dass es sich bei der fraglichen Praxis zwingend um eine sogenannte Bestellpraxis handeln muss, also eine Praxis, in der Termine exklusiv für einzelne Patientinnen und Patienten vergeben und die entsprechenden Zeiträume nur für diese freigehalten werden. Dies muss für die Patientin bzw. den Patienten auch erkennbar sein.

Nachweislicher Schaden

Weiterhin muss dargestellt und im Zweifel auch belegt werden können, dass im fraglichen Zeitraum tatsächlich keine anderen Patientinnen und Patienten behandelt werden konnten. Ist dies der Fall, muss auch die Höhe des Ausfallhonorars nachvollziehbar belegbar sein. Insoweit wird zum Teil die Auffassung vertreten, dass dargelegt werden muss, was abgerechnet hätte werden können, wenn die Patientin bzw. der Patient zum Termin erschienen wäre. Eine andere Auffassung bemisst den Schaden hingegen danach, was durchschnittlich pro Stunde in der betreffenden Praxis erwirtschaftet wird. Sollte man also Ausfallhonorar geltend machen und gegebenenfalls sogar eine zivilgerichtliche Auseinandersetzung in Kauf nehmen, sollte man zumindest darauf vorbereitet sein, Unterlagen des Steuerberatungsbüros vorlegen zu müssen.

Ausgestaltung: Vereinbarung oder Anspruch aus § 615 BGB 

Zumeist wird Ausfallhonorar auf der Grundlage einer entsprechenden Vereinbarung geltend gemacht und die Vereinbarung häufig in den Anamnesebogen integriert. Ein Ausfallhonoraranspruch kann sich jedoch gegebenenfalls auch unmittelbar aus dem Gesetz ergeben, namentlich aus § 615 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) (s. Infokasten).

§ 615 Satz 1 BGB
„Kommt der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein.“

 

Im Rahmen der Vereinbarung: Kein Verstoß gegen AGB-Recht

Wie bereits ausgeführt, gibt es die – zumeist gebräuchliche – Möglichkeit, mit der Patientin bzw. dem Patienten einen Anspruch auf Ausfallhonorar zu vereinbaren, was den Vorteil bietet, die Patientin bzw. den Patienten möglichst sogleich auf die Eigenschaft der Praxis als Bestellpraxis aufmerksam zu machen. Wird eine solche Vereinbarung allerdings, wie in der Praxis üblich und auch pragmatisch, vorformuliert in einer Vielzahl von Fällen gegenüber Patientinnen und Patienten verwendet, handelt es sich um sogenannte Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB). AGB unterliegen einem besonderen, strengen Kontrollregime. Verstößt die Vereinbarung gegen sogenanntes AGB-Recht, kann sie unwirksam sein.

BGH-Urteil
An dieser Stelle möchten wir auf das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 12.05.2022 (Az. III ZR 78/219) hinweisen. Erstmalig hat sich der BGH überhaupt mit der Frage des Vorliegens eines Anspruchs auf Ausfallhonorar beschäftigt. Als positiv hervorzuheben ist, dass der BGH bestätigt, dass bei der Vergabe exklusiver Behandlungstermine Verzug der Patientin bzw. des Patienten bei Nichtwahrnahme oder gegen Vereinbarung verstoßende zu kurzfristige Absage eintreten kann und diese Annahme auch nicht – was in der Vergangenheit umstritten war – im Widerspruch zum jederzeitigen Kündigungsrecht der Patientinnen und Patienten im Rahmen des Behandlungsvertrags stünde. Allein in der – zu kurzfristigen – Absage oder dem Nichterscheinen ist laut BGH keine Kündigung zu sehen.
Offengelassen hat der BGH bedauerlicherweise die Frage, ob der im konkreten Fall genutzte Vereinbarungswortlaut einer AGB-Kontrolle standgehalten hätte (hierzu im Folgenden).

 

Recht, kann sie unwirksam sein.

Die vom BGH offengelassene Frage (s. Infokasten) ist unter mehreren Gesichtspunkten zu berücksichtigen, da verschiedene Fallstricke lauern.

1. Unangemessen lange Frist zur Terminabsage 

Zunächst kann nach Auffassung verschiedener Gerichte – und auch nach hier vertretener Auffassung – eine sogenannte unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB darin zu sehen sein, wenn eine unangemessen lange Frist zur Terminabsage vereinbart wird (beispielsweise zwei Tage oder mehr). Viele Ausfallhonorarklauseln sehen jedoch vor, dass ein vereinbarter Termin bis zu 24 Stunden vor dem Termin noch abgesagt werden kann. Da das Amtsgericht Nettetal (Urteil vom 12.09.2006, Az. 17 C 71/03) sogar eine Frist bis 48 Stunden vor dem Termin noch nicht als unangemessene Benachteiligung ansah, dürfte eine 24-Stunden-Frist jedenfalls als angemessen anzusehen sein.

2. Keine Exkulpationsmöglichkeit 

Zum Teil wird auch die Auffassung vertreten, dass die in einer Vereinbarung fehlende Möglichkeit der Patientin bzw. des Patienten, sich auf eine unverschuldete Verhinderung, wie beispielsweise eine Erkrankung, berufen zu können, eine Vereinbarung wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam mache. Gerade in dem vom BGH entschiedenen Fall war streitig, ob dem so ist. Bedauerlicherweise ließ der BGH eben diese Frage offen, obgleich im konkreten Fall die Nichtwahrnahme des Termins auf dem Verdacht einer Infektion mit Corona beruhte. Vorsichtshalber sollte daher eine sogenannte Exkulpationsmöglichkeit, also die Möglichkeit, sich durch unverschuldete Umstände entschuldigen und so kein Ausfallhonorar zu schulden, in eine Verein­barung aufgenommen werden.

Aktuell: Auswirkungen des SARS-CoV-2-Virus nach dem BGH-Urteil

Hochaktuell ist der Grund, weshalb der BGH im fraglichen Fall den Ausfallhonoraranspruch an anderer Stelle „scheitern ließ“ und daher nicht mehr über die Frage der AGB-rechtlichen Konformität entscheiden musste. Der BGH verneinte den Verzug des Patienten trotz dessen Nichterscheinen, da der Leistungserbringer (in dem Fall ein Ergotherapeut), aufgrund der in Rede stehenden Corona-Erkrankung des Patienten ohnehin nicht im Stande war, dem Patienten die Leistung anzubieten, da die Behandlung nach der zum fraglichen Zeitpunkt geltenden Coronaschutzverordnung unzulässig war. Insoweit gilt es, auch in diesem Zusammenhang die Entwicklung der Coronaschutzverordnungen im Blick zu behalten.

Fazit
Die Geltendmachung von Ausfallhonorar ist möglich, sollte jedoch sorgfältig vorbereitet und abgewogen werden und bietet keine Erfolgsgarantie. Insoweit ist eine rechtliche Beratung unbedingt zu empfehlen. Da mit der Vorbereitung und Geltendmachung unter Umständen ein nicht unerheblicher Aufwand verbunden sein kann, bietet sich diese Möglichkeit vor allem für Fälle an, in denen große Zeiträume für aufwändige Behandlungsmaßnahmen (z.B. ambulante OPs oder implantologische Behandlungen in der Zahnmedizin o. Ä.) „geblockt“ werden. Dann sollte idealerweise jedoch auch gut dokumentiert sein, was geplant war und dass die Patientin bzw. der Patient sich der Behandlungsplanung und des Ausmaßes des eingeplanten Zeitraums bewusst war.

 

Svenja Brungert
Rechtsanwältin
Lehrbeauftragte der Hochschule Osnabrück
Kanzlei am Ärztehaus
Dorpatweg 10
Germania Campus
48159 Münster
0251 270 76 88 – 0
s.brungert@kanzlei-am-aerztehaus.de
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