Unterlassungszwang gestrichen, aber Stärkung der Prävention: neues im Berufskrankheitenrecht für Dermatologen

Wolfgang Römer. Zum 1.1.2021 ist eine Reihe von Änderungen im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung in Kraft getreten, die für Dermatologinnen und Dermatologen von Bedeutung sind. Wesentliche Neuerungen ergeben sich insbesondere durch den Wegfall des Unterlassungszwangs bei der Berufskrankheit (BK) Nr. 5101.

Zitierweise: HAUT 2022;33(6):334-335.

Streichung des Unterlassungszwangs

Die Streichung des sogenannten „Unterlassungszwangs“ in § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII betrifft neben den Hauterkrankungen (BK Nr. 5101) acht weitere Berufskrankheiten. Die BK Nr. 5101 lautet nun nur noch „Schwere oder wiederholt rückfällige Haut­erkrankungen“. Damit sind ab dem 1.1.2021 alle schweren oder wiederholt rückfälligen Hauterkrankungen als BK anzuerkennen, auch wenn die Betroffenen weiter die gefährdende Tätigkeit ausüben. 

Im Jahr 2020 standen 18.345 gemeldeten Verdachtsfällen der BK Nr. 5101 lediglich 381 Anerkennungen gegenüber. 2021 kam es dagegen zu 3.939 Anerkennungen. Die Zahl der anerkannten Fälle hat sich damit mehr als verzehnfacht. Deutlich geringer fiel der Anstieg der Fälle mit einer Rentenzahlung aus, diese haben sich von 88 auf 191 mehr als verdoppelt.

Schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankung

Mit dem Wegfall des Unterlassungszwangs kommt dem Tatbestandsmerkmal der Schwere oder der wiederholten Rückfälligkeit der Hauterkrankung nun erhebliche Bedeutung zu. Eine schwere Hauterkrankung im Sinne der BK Nr. 5101 zeichnet sich durch ausgedehnte, dauerhaft bestehende oder chronisch-rezidivierende Hautveränderungen mit erheblichem Krankheitswert aus, z. B. ein chronisches Ekzem mit Befall der gesamten Haut der Hände mit tiefen Rhagaden und ausgeprägter Infiltration. Sie liegt im Regelfall dann vor, wenn selbst nach ununterbrochenen angemessenen Therapie- und Präventionsmaßnahmen über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten weiterhin behandlungsbedürftige Hauterscheinungen vorliegen. Eine angemessene Behandlung ist eine pharmakologisch wirksame Therapie nach den jeweils aktuell gültigen Standards, z. B. den medizinischen Leitlinien. Die regelmäßige Anwendung von basistherapeutischen Maßnahmen sowie der gelegentliche Einsatz von harnstoff- oder gerbstoffhaltigen Externa wird in diesem Zusammenhang nicht als aktive pharmakologische Therapie verstanden1

Eine Hautkrankheit ist wiederholt rückfällig, wenn mindestens drei Krankheitsschübe, das heißt Ersterkrankung und zwei Rückfälle, vorliegen. Dabei setzt ein Rückfall eine Abheilung des vorangegangenen Krankheitsschubes – ohne aktive pharmakologische Therapie nach eingetretener Abheilung – sowie den Zusammenhang mit der Ersterkrankung voraus. Liegt der letzte Krankheitsschub mehr als 12 Monate zurück, wird dieser nicht als Rückfall, sondern als Neu-Auftreten der Erkrankung und damit nicht in Zusammenhang mit dem vorherigen Erkrankungsschub gewertet2

Erstattung von BK-Anzeigen und Hautarztbericht

Mit dem Wegfall des Unterlassungszwangs besteht nun in deutlich mehr Fällen als bisher der begründete Verdacht des Bestehens einer BK mit der Verpflichtung, eine ärztliche BK-Anzeige zu erstatten (§ 202 SGB VII). Um weiterhin möglichst frühzeitig den gegenüber der BK-Anzeige deutlich aussagekräftigeren Hautarztbericht für die Einleitung des Hautarztverfahrens zu erhalten, wurde in § 41 Abs. 2 des Vertrages „Ärzte/ Unfallversicherungsträger“ (Ärzte/ UVT) zum 1.1.2021 ausdrücklich klargestellt, dass der Hautarztbericht F 6050 auch zu erstatten ist, wenn zum Zeitpunkt der Untersuchung bereits der begründete Verdacht auf das Vorliegen einer BK Nr. 5101 besteht. Gleichzeitig wurden der Hautarztbericht und der Verlaufsbericht F 6052 aktualisiert3.

Stärkung der Prävention

Zur Stärkung des Präventionsgedankens nach Wegfall des Unterlassungszwangs schuf der Gesetzgeber einen neuen Abs. 4 in § 9 SGB VII. Er verpflichtet die Unfallversicherungsträger, darauf hinzuwirken, dass die Versicherten die gefährdende Tätigkeit unterlassen, sofern die Gefahr besteht, dass bei Fortsetzung der versicherten Tätigkeit die Krankheit wiederauflebt oder sich verschlimmert und sich diese Gefahr nicht durch andere geeignete Mittel beseitigen lässt. Des Weiteren sind die Versicherten über die Gefahren einer weiteren Tätigkeit aufzuklären. Sie sind zur Teilnahme an Maßnahmen zur Individual- und Verhaltensprävention verpflichtet. 

Gesetzliche Rückwirkungsregelung

In einem ebenfalls neuen Abs. 2a des § 9 SGB VII wurde erstmals die rückwirkende Anerkennung von Berufskrankheiten gesetzlich geregelt. Werden BK-Tatbestände neu eingeführt, gelten diese nun kraft Gesetzes auch für Versicherte, die bereits vor deren Inkrafttreten erkrankten. Entschädigungen sind aber für zurückliegende Zeiten ausgeschlossen. 

Einschätzung der MdE

Bei Vorliegen einer BK sind von den Unfallversicherungsträgern neben den Maßnahmen zur Prävention im Rahmen von § 3 BKV Leistungen zur Heilbehandlung, Rehabilitation und Teilhabe zu erbringen sowie Entschädigungsleistungen in Form von Verletztengeld und Rentenleistungen zu prüfen. 

Ist eine Rente zu zahlen, richtet sich deren Höhe unter anderem nach der durch die Berufskrankheit bedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), die sich wiederum abstrakt an jenen dem Versicherten durch die Hauterkrankung verschlossenen Teilen des Arbeitsmarktes orientiert. Um eine einheitliche MdE-Bewertung zu ermöglichen, werden vom Dachverband der Unfallversicherungsträger (DGUV) zu ausgewählten Berufskrankheiten Begutachtungsempfehlungen herausgegeben. Für arbeits­bedingte Hautkrankheiten ist dies die „Bamberger Empfehlung“, die zurzeit überarbeitet wird. Die allgemein akzeptierten MdE-Sätze der Bamberger Empfehlung kamen allerdings bisher aufgrund des Unterlassungszwangs nur für Versicherte zur Anwendung, die ihre schädigenden Tätigkeiten aufgegeben hatten. Werden die hautbelastenden Tätigkeiten weiter ausgeübt, obwohl aus präventiven Gesichtspunkten eine Unterlassung angezeigt wäre, sind die Hautbefunde meist ausgeprägter als nach einer Tätigkeitsaufgabe. Eine unkritische Anwendung der bisherigen MdE-Sätze würde in diesen Fällen in der Regel zu einer zu hohen Einschätzung der MdE führen. Von den Mitgliedern der Arbeitsgruppe zur Überarbeitung der Bamberger Empfehlung wird daher zur Korrektur dieser (neuen) Inkonsistenz in der Tabelle – im Sinne einer Übergangslösung – empfohlen, bei Fortsetzen der hautbelastenden Tätigkeiten für die MdE-Einschätzung einen jeweils um einen Grad geringeren Schweregrad anzunehmen. Damit wird dem allgemeinen Erfahrungssatz Rechnung getragen, dass bei Wegfall von hautbelastenden Einwirkungen eine wesentliche Besserung der arbeitsbedingt verursachten oder verschlimmerten Hautschädigung eintritt und den Betroffenen damit ein größerer Teil des Arbeitsmarktes zur Verfügung steht. Diese Einschätzung sollte allerdings im jeweiligen Einzelfall durch eine individuelle Beurteilung der Reversibilität der Beschwerden bei Aufgabe der schädigenden Tätigkeit untermauert werden. Anhaltspunkte hierfür sind z. B. der wechselnde Verlauf der Haut­erscheinungen, insbesondere in expositionsfreien oder -armen Zeiten. Auch sollte diese Besserung in absehbarer Zeit, das heißt maximal in sechs Monaten, eintreten. Damit erfolgt eine vergleichbare Einschätzung der MdE wie bei einem Versicherten, der aus präventiven Gründen die schädigende Tätigkeit aufgegeben hat4

Literatur    

1. Skudlik et al. Berufskrankheit Nr. 5101 – Rechtsbegriff der schweren oder wiederholt rückfälligen Hautkrankheit - Prüfalgorithmus und Fallbeispiele. DBU 1/2021, S. 6-10.
2. Ebenda.
3. Krohn et. al. DGUV Hautarztverfahren – Update Hautarztbericht 2021. DBU 2/2021, S. 97-100.
4. Krohn et al. Rechtsänderungen bei Berufskrankheiten – Auswirkungen auf die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bei arbeitsbedingten Hautkrankheiten im Sinne der BK-Nr. 5101. DBU 3/2021, S. 103-107.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Wolfgang Römer (Hochschule der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Bad Hersfeld)
Gonsbachblick 54
55122 Mainz
E-Mail: w.rom(ett)web.de

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