Zulassung und Anstellung im Sonderbedarf

Insbesondere in ländlichen Regionen wird der Fachärztemangel bekanntermaßen immer mehr zum Problem. Dies liegt aber nicht allein am Fehlen von Fachärztinnen und Fachärzten, die eine Niederlassung anstreben, sondern auch an nicht vorhandenen Niederlassungsmöglichkeiten.

Während gerade in größeren Planungsbereichen die Überversorgung in den Städten den Versorgungsgrad insgesamt anhebt und so zu einer rechnerischen Überversorgung und Sperrung des Planungsbereichs führt, bestehen in der Fläche lokal immer wieder Versorgungsdefizite, ohne dass weitere Niederlassungsmöglichkeiten bestünden. 

Sonderbedarf
Für diese Fälle steht als Instrument der Feinsteuerung der Sonderbedarf nach § 101 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB V in Verbindung mit den §§ 36, 37 Bedarfsplanungs-Richtlinie (BPRL) – als Zulassung oder Anstellung – zur Verfügung. Mit der Feststellung eines Sonderbedarfs durch die zuständigen Zulassungsgremien sollen in Einzelfällen die Versorgungslage verbessert und die Vorgaben der BPRL lokal korrigiert werden können. Anwendung soll dieses Instrument insbesondere für die allgemeine und spezialisierte fachärztliche Versorgung finden, wo sich das skizzierte Problem einer rechnerischen Überversorgung trotz Versorgungsdefiziten in der Fläche realisiert. 

 

Lokaler oder qualifikationsbezogener Sonderbedarf?

Die Feststellung eines Sonderbedarfs setzt einen bestehenden lokalen (§ 36 BPRL) oder einen qualifikationsbezogenen Versorgungsbedarf (§§ 36 und 37 Abs. 1 bis 3 BPRL) voraus (s. Infokasten). 

Lokaler Sonderbedarf

Qualifikationsbezogener Sonderbedarf

Wenn die ausnahmsweise Besetzung eines zusätzlichen Vertragsarztsitzes unerlässlich ist, um die vertragsärztliche Versorgung in einem Versorgungsbereich zu gewährleisten und dabei einen zusätzlichen Versorgungsbedarf zu decken, ist ein zusätzlicher lokaler Sonderbedarf festzustellen, § 36 Abs. 1 S. 1 BPRL.

Voraussetzung für eine Sonderbedarfszulassung wegen eines zusätzlichen lokalen Sonderbedarfs ist nach § 36 Abs. 4 S. 3 BPLR, dass ein zumutbarer Zugang der Versicherten zur vertragsärztlichen Versorgung nicht gewährleistet ist und Versorgungsdefizite bestehen. Das ist bei einer in Bezug auf die Bedürfnisse der Versicherten unausgewogenen Verteilung der zugelassenen Fachärztinnen und Fachärzte einer Arztgruppe im Planungsbereich der Fall. Maßgeblich ist, ob sich für die Versicherten Versorgungsangebote in zumutbarer Entfernung befinden. Die Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 17.03.2021, Az. B 6 KA 2/20 R) hält bei der hausärztlichen und der allgemeinen fachärztlichen Versorgung Entfernungen von 25 km für zumutbar. In der spezialisierten fachärztlichen Versorgung sollen den Versicherten auch Wege von über 25 km zumutbar sein, wobei längere Wegzeiten als 45 Minuten nur im Ausnahmefall überschritten werden dürfen. Weil der Versorgungsanspruch jedem einzelnen Versicherten zusteht, sind insoweit auch abgelegen wohnende Versicherte zu berücksichtigen.

Wenn die in dem betreffenden Planungsbereich zugelassenen Vertragsärztinnen und Vertragsärzte die ärztlichen Tätigkeiten des qualifizierenden Inhalts nicht oder nicht ausreichend anbieten, ist ein qualifikationsbezogener Sonderbedarf festzustellen, § 37 Abs. 1 BPRL.

Die Ärztin bzw. der Arzt, die bzw. der die Zulassung begehrt oder angestellt werden soll, muss die für den besonderen Versorgungsbereich erforderlichen Qualifikationen anhand des Inhalts des Schwerpunkts einer fakultativen Weiterbildung oder einer besonderen Fach­kunde nachweisen (vgl. § 37 Abs. 2 BPRL). Daneben muss ein dieser besonderen Qualifikation entsprechender besonderer Versorgungsbedarf bestehen, § 37 Abs. 1 lit. b), Abs. 3 BPRL, wobei die Subspezialisierung Leistungen umfassen muss, die die gesamte Breite des spezialisierten Versorgungsbereichs ausfüllen.

 

Gemeinsame Voraussetzungen

Neben den allgemeinen Voraussetzungen für die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung bzw. die Genehmigung zur Anstellung einer Ärztin oder eines Arztes – u. a. die persönliche Eignung – setzen sowohl die Zulassung bzw. Anstellung aufgrund lokalen als auch aufgrund qualifikationsbezogenen Sonderbedarfs voraus, dass ein Bedarf anhand der Morbidität bzw. einer der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung unterfallenden Behandlung festgestellt wird. Andere Bedarfserwägungen (z. B. Sprachkenntnisse oder das Geschlecht der Ärztin bzw. des Arztes) sind nicht zu berücksichtigen. Die Antragstellerin bzw. der Antragsteller muss ferner über die notwendige medizinisch-technische Ausstattung verfügen. Die Ärztin bzw. der Arzt, die bzw. der im Rahmen des Sonderbedarfs tätig werden soll, muss zudem die erforderlichen persönlichen Qualifikationen nachweisen. Darüber hinaus müssen die Prüfung und Feststellung eines Sonderbedarfs in Bezug auf eine zu benennende Bezugsregion erfolgen und der Praxisstandort muss für die beantragte Versorgung geeignet sein. Schließlich kommt die Feststellung eines Sonderbedarfs nur in Betracht, wenn er dauerhaft erscheint. 
 

Umfang der Zulassung oder Anstellungsgenehmigung

Die Feststellung eines Sonderbedarfs ist nach der Rechtsprechung nur möglich, wenn der Versorgungsbedarf mindestens einem halben Versorgungsauftrag entspricht. Dies wird daraus gefolgert, dass § 101 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB V, der zu den konkreten Voraussetzungen für die Feststellung eines Sonderbedarfs auf die Bedarfsplanungs-Richtlinie verweist, „die ausnahmsweise Besetzung zusätzlicher Vertragsarztsitze“ in Bezug nimmt. Weil eine Zulassung am Vertragsarztsitz nur mit mindestens hälftigem, einem dreiviertel oder mit vollem Versorgungsauftrag möglich ist, könne ein Sonderbedarf nur in diesem Umfang festgestellt werden.

Bis zuletzt war vielfach umstritten, ob daraus folge, dass Anstellungsgenehmigungen im Sonderbedarf nur mit den entsprechenden Anrechnungsfaktoren 0,25, 0,5 bzw. 1,0 erteilt werden können. Die Spruchpraxen der Zulassungsgremien waren insoweit uneinheitlich. Das Bundessozialgericht hat sich nun zu dieser Frage geäußert (BSG, Urteil vom 06.04.2022, Az. B 6 KA 7/21 R). Die Richterinnen differenzieren zwischen der Feststellung des Sonderbedarfs einerseits und der Deckung des Sonderbedarfs durch die Erteilung von Anstellungsgenehmigungen andererseits. Während die Feststellung eines Sonderbedarfs erfordere, dass ein Versorgungsbedarf mindestens im Umfang eines halben Versorgungsauftrags vorliege, so könne der festgestellte Bedarf gleichwohl dergestalt gedeckt werden, dass zwei (oder mehrere) Sonderbedarfsanstellungen mit jeweils einem Anrechnungsfaktor 0,25 genehmigt werden.

Nachbesetzung

Die Nachbesetzung einer Sonderbedarfszulassung oder -anstellung ist nur nach Feststellung des Fortbestehens des Sonderbedarfs möglich. § 103 Abs. 3a S. 3 und 11 SGB V, die die Nachbesetzung durch privilegierte Personenkreise sowie die Entschädigung im Fall der Ablehnung der Nachbesetzung regeln, finden nach § 36 Abs. 7 BPRL im Falle des Sonderbedarfs keine Anwendung. Eine wirtschaftliche Verwertung der Zulassung, die Nachbesetzung einer Anstellungsgenehmigung oder eine Verlegung der Praxis sind daher bei Sonderbedarfszulassungen stets mit erheblichen Unwägbarkeiten verbunden. Ob eine Anstellungsgenehmigung im Sonderbedarf nach § 95 Abs. 9b SGB V umwandlungsfähig in eine Zulassung ist, hat die Rechtsprechung bislang offengelassen (vgl. LSG NRW, Urteil vom 11.05.2022, Az. L 11 KA 17/20).

Fazit
Bestehen in einem gesperrten Planungsbereich trotz rechnerischer Überversorgung lokal oder qualitativ Versorgungsdefizite, kann die Feststellung eines Sonderbedarfs neue Niederlassungsmöglichkeiten oder Möglichkeiten zur Erweiterung einer bestehenden Praxis eröffnen. Ein entsprechender Antrag sollte sorgfältig vorbereitet und begründet werden, um den Versorgungsbedarf in der durch den Zulassungsausschuss durchzuführenden Bedarfsprüfung belegen zu können. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gestattet es inzwischen, einen festgestellten Sonderbedarf mit mehreren Anstellungen mit jeweils dem Anrechnungsfaktor 0,25 zu decken, was neue Gestaltungsspielräume eröffnet. In die Planungen einer im Wege des Sonderbedarfs zu gründenden oder zu erweiternden Praxis sollte aber von Anfang an einbezogen werden, dass jede Änderung an der personalen Struktur oder des Standorts einer Praxis mit erheblichen Unwägbarkeiten für den Fortbestand der Zulassung oder Anstellungsgenehmigung verbunden ist. Weil die Zulassung bzw. Anstellung im Sonderbedarf immer nachrangig gegenüber regulären Zulassungen bzw. Anstellungen ist, besteht zudem stets das Risiko von Drittwidersprüchen mit aufschiebender Wirkung. Legt eine Konkurrentin bzw. ein Konkurrent gegen die Zulassung bzw. Anstellung Widerspruch ein, kann von dieser bis zu einer Entscheidung über den Widerspruch oder über eine anschließende Klage kein Gebrauch gemacht werden. 

 

Jonas Kaufhold
Rechtsanwalt 
Lehrbeauftragter der Hochschule Osnabrück
Kanzlei am Ärztehaus
Dorpatweg 10,  Germania Campus
48159 Münster
0251 270 7688 - 0
www.kanzlei-am-aerztehaus.de

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