Steuerliche Risiken bei der Gründung einer Zweigpraxis

Aus steuerlicher Sicht stellt der Betrieb einer Zweigpraxis immer noch eine gewisse Herausforderung dar. Trägt die ärztliche Zweigpraxis nämlich nicht den „Stempel der Persönlichkeit“ des Praxisinhabers, droht Gewerbesteuerpflicht. Der damit zwingend einhergehende Wechsel der Praxis von der Einnahme-­Überschuss-Rechnung zur Bilanzierung kann wirtschaftliche Nachteile zur Folge haben.

Das am 01.01.2007 in Kraft getretene Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) hatte das Ziel, die vertragsärztliche Berufsausübung effizienter und wettbewerbsfähiger zu machen und Versorgungsengpässe zu vermeiden. Demnach sollte es für den Praxisinhaber leichter werden, eine Zweigpraxis außerhalb seiner Hauptniederlassung zu betreiben. Rechtsgrundlage ist § 24 Abs. 3 der Ärzte-­Zulassungsverordnung (Ä-ZV). Danach ist die Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit außerhalb des Vertragsarztsitzes, also außerhalb der „Hauptniederlassung“ (gemäß § 24 Abs. 1 Ä-ZV) „an weiteren Orten“ zulässig.

Angestellter Arzt gleicher Fachrichtung Pflicht

Mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz, das am 01.01.2012 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen des § 24 Abs. 3 Ä-ZV weiter gelockert. Die Errichtung von Zweigpraxen in unterversorgten Gebieten sollte so erleichtert werden. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber klargestellt, dass es nicht erforderlich ist, dass die in der Zweigpraxis angebotenen Leistungen in ähnlicher Weise auch in der Hauptpraxis angeboten werden.
Aber das Fachgebiet eines in der Zweigpraxis tätigen Arztes muss auch in der Hauptpraxis vertreten sein. Besteht die Versorgungsverbesserung zum Beispiel darin, dass spezielle Leistungen erbracht werden, für die eine qualifikations- bzw. standortgebundene Genehmigung erforderlich ist, dann muss diese spezielle Genehmigung zuvor vorliegen, ehe der Betrieb der Zweigpraxis gestattet werden kann. Zum Beispiel: Die Genehmigung zur psychosomatischen Grundversorgung.

► Bundessozialgericht, Urteil vom 05.06.2013, B 6 KA 29/12 R

Steuerliche Herausforderungen

Die berufsrechtlichen Voraussetzungen sind klar formuliert, aber mit Blick auf die Gewerbesteuer kann es zu Problemen kommen. Warum? Mit dem Tatbestand der Gewerblichkeit, die eine Gewerbesteuerpflicht zur Folge hat, werden im Steuergesetz Tätigkeiten erfasst, mit denen durch die Kombination von Arbeit, Boden und Kapital Einkommen bzw. Wertschöpfung erzielt wird (z. B. Handwerks-, Industrie- oder Handelsbetriebe). Davon zu unterscheiden sind Einkommen, die durch eine selbstständige Berufstätigkeit aus freiberuflicher Tätigkeit erzielt werden. Dazu zählen Vertragsärzte, gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Ein Praxisinhaber in einer Einzelpraxis ist also unstrittig nicht gewerbesteuerpflichtig.

Praxisinhaber darf fachlich vorgebildete Arbeitskräfte beschäftigen

Ein Angehöriger eines freien Berufs ist nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG auch dann freiberuflich tätig, wenn er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte (z. B. angestellter Ärzte) bedient.
Voraussetzung ist jedoch, dass er aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird. Fachlich vorgebildet ist sowohl der angestellte Vertragsarzt, der dieselbe Qualifikation wie der Betriebsinhaber erworben hat, als auch derjenige, der eine weniger qualifizierte Berufsausbildung aufzuweisen hat.
► Bundesfinanzhof (BFH) Urteil vom 03.11.2015, VIII R 62/13

Unter Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte ist eine Tätigkeit zu verstehen, welche die Arbeit des Berufsträgers jedenfalls in Teilbereichen ersetzt und nicht nur von untergeordneter Bedeutung ist.
► BFH Urteil vom 31.08.2005, IV B 205/03

Da die Zweigpraxis typischerweise durch einen angestellten Vertragsarzt betrieben wird, stellt sich die Frage, ob die Anforderungen an Leitung und Eigenverantwortlichkeit in Bezug auf diese Zweigpraxis überhaupt erfüllt werden können.

Uneingeschränkte fachliche Verantwortung des Praxisinhabers

„Leitende“ Tätigkeit

Eine leitende Tätigkeit kann bei der Zuhilfenahme von fachlich vorgebildeten Arbeitskräften durch den Berufsträger und Betriebsinhaber dann angenommen werden, wenn dieser:

  • die Grundzüge für die Organisation des Tätigkeitsbereichs und für die Durchführung der Tätigkeiten festlegt
  • den Arbeitsablauf nach den festgelegten Grundsätzen persönlich überwacht
  • grundsätzliche Fragen selbst entscheidet

► BFH Urteil vom 01.04.1982, IV R 130/79

„Eigenverantwortliche“ Tätigkeit

Von einer eigenverantwortlichen Tätigkeit des Betriebsinhabers kann nur dann gesprochen werden, wenn er seine eigene Arbeitskraft so einsetzt, dass er in der Lage ist, für die von seinen Mitarbeitern erbrachten Leistungen die uneingeschränkte fachliche Verantwortung zu übernehmen.
► BFH Urteil vom 25.11.1975, VIII R 116/74

Dazu muss er in ausreichendem Umfang an der praktischen Arbeit teilnehmen; gelegentliche fachliche Überprüfungen der Mitarbeiter genügen nicht.
► BFH Urteil vom 20.12.2000, XI R 8/00

Maßgebend ist vielmehr, dass auch die von den qualifizierten Mitarbeitern erbrachten Leistungen oder das zusammen mit diesen Mitarbeitern geschaffene Werk noch „den Stempel der Eigenpersönlichkeit des Berufsträgers“ tragen.
► BFH Urteil vom 14.03.2007, XI R 59/05

Die steigende Zahl an Patienten erfordert mehr Mitarbeiter und gefährdet die geforderte sorgfältige Mitarbeit des Praxisinhabers. Bedeutet das zwangsläufig, dass die Einkünfte des Arztes gewerbesteuer­pflichtig werden?

BFH stärkt Position der Betreiber von Zweigpraxen

Mit seiner Entscheidung vom 16.07.2014 hat der BFH die steuerliche Position von Praxen mit angestellten Ärzten tendenziell gestärkt.
► BFH Urteil vom 16.07.2014, VIII R 41/12

Die Finanzverwaltung hatte die Vorgabe, dass die Leistung des Angestellten den „Stempel der Persönlichkeit“ des Praxisinhabers tragen muss, regelmäßig sehr eng ausgelegt: „Es ist eine permanente Kontrolle des angestellten Arztes erforderlich, um Gewerblichkeit zu vermeiden.“ Damit wurde das vom Gesetzgeber gewollte arbeitsteilige Arbeiten durch Anstellung von qualifizierten Mitarbeitern steuerlich nicht akzeptiert. Die Ausrichtung des BFH ist wichtig und praktisch bedeutsam, weil sie die Finanzverwaltung bremst.

Die Finanzverwaltung überdehne die gesetzlichen Anforderungen und schließe damit gegen den Willen des Gesetzgebers den Einsatz fachlich vorgebildeten Personals im Bereich der Heilberufe faktisch aus. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass ein hinreichender Einfluss auf die Behandlung des Patienten auch durch Vorgaben im Vorfeld sichergestellt werden kann, die der angestellte Arzt übernimmt. In diesem Sinne urteilt der BFH, dass die notwendige (patientenbezogene) leitende Eigenverantwortlichkeit des Praxisinhabers auch durch von ihm durchgeführte Voruntersuchungen bei den Patienten und eine Festlegung der Behandlungsmethode erfolgen kann, soweit er sich die Selbstbehandlung „problematischer Fälle“ vorbehält.

Gewerblichkeit des angestellten Arztes

Was passiert, wenn die Finanzverwaltung bei einer Praxis trotz allem zum Schluss kommt, dass die Vorgaben von Leitung und Eigenverantwortlichkeit bei der betriebenen Zweigpraxis nicht erfüllt sind?

Einzelpraxis

Bei einer Einzelpraxis wäre zumindest die Tätigkeit des angestellten Arztes als gewerbliche Tätigkeit zu sehen. In der Folge würde auf die zugehörigen Einkünfte Gewerbesteuer anfallen, die jedoch grundsätzlich bis zu einem Gewerbesteuerhebesatz von 400% auf die Einkommensteuer angerechnet wird.

Gewerbesteuer auf gesamte Einkünfte einer BAG

Gravierender können die Auswirkungen bei einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) sein. Denn eine BAG wird mit ihren gesamten Einkünften gewerblich, wenn mehr als drei Prozent ihrer Praxiseinnahmen gewerblich sind und eine Bagatell­grenze von 24.500 Euro an gewerblichen Praxiseinnahmen der BAG pro Jahr überschritten wird.

so lässt sich die Gewerblichkeit vermeidenWegen der nicht eindeutigen steuerlichen Rechtslage sollten, um die Gewerblichkeit zu vermeiden, die folgenden Kriterien in Arbeitsverträgen erfüllt sein:
1. Der Praxisinhaber gewinnt eine Vorstellung von den Rahmen­bedingungen der Behandlung
(z.B. durch eine selbst durchgeführte Voruntersuchung)
2. Der Praxisinhaber macht dem angestellten Arzt eine Rahmenvor­gabe (z.B. die Definition der Behandlungsmethode)
3. Der Praxisinhaber behält sich die Selbstbehandlung
problematischer Fälle vor

Umstellung auf Bilanzierung

Als Folge der Umqualifizierung von freiberuflichen zu gewerblichen Einkünften muss die Praxis auf Bilanzierung umstellen, also eine vollkaufmännische Finanzbuchhaltung und einen Jahresabschluss fertigen. Diese sind in der Erstellung teurer als die Einkommen-Überschuss-Rechnung (EÜR) (§ 4(3) EStG) und für eine Arztpraxis meist überdimensioniert. Außerdem können bei der Umstellung der Gewinn­ermittlungsart Übergangsgewinne entstehen, die versteuert werden müssen. Entscheidend ist jedoch, dass der Praxisinhaber die legale Möglichkeit verliert, zum Jahresende Einnahmen und Ausgaben im Rahmen der EÜR zu „schieben“, um die Steuerlast gezielt zu steuern.

Fazit

Wer eine Zweigpraxis eröffnen will, hat zumindest berufsrechtlich viele Möglichkeiten. Steuerlich ist nach wie vor Achtsamkeit geboten. Denn obwohl die Entscheidung des BFH aus dem Jahr 2014 die Betreiber von Zweigpraxen stärkt, achten die Finanzverwaltungen bei Zweigpraxen ganz genau auf die Einhaltung des „Stempels der Persönlichkeit“. Es ist also in jedem Fall dazu zu raten, sich bei dem Vorhaben der Gründung einer Zweigpraxis und der Gestaltung von Arbeitsverträgen für Angestellte rechtliche und steuerrechtliche Unter­stützung zu sichern.

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Prof. Dr. Johannes Georg Bischoff
Steuerberater, vereid. Buchprüfer und seit 1985 geschäftsführender
Mehrheitsgesellschafter der Unternehmensgruppe Prof. Dr. Bischoff & Partner® in Köln, Chemnitz und Berlin.
www.bischoffundpartner.de 

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