Die ärztliche Zweigpraxis und andere Orte der Leistungserbringung

Die eigene berufliche Tätigkeit nicht nur am ursprünglichen Vertragsarztsitz auszuüben, kann unter verschiedenen Gesichtspunkten attraktiv sein. Welche Möglichkeiten bestehen, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, welche Konstellation sich für wen anbietet – ein Überblick.

Grundsätzlich sieht das Vertragsarztrecht vor, dass der Vertragsarzt* seine berufliche Tätigkeit am Vertragsarztsitz im Sinne einer konkreten Praxisadresse ausübt. Dementsprechend wird dem Arzt bei der Zulassung ebendiese zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung an einem ganz konkreten Sitz erteilt. Von diesem Grundsatz gibt es Ausnahmen, welche zuletzt mit dem seit Anfang 2012 gültigen Versorgungsstrukturgesetz noch erweitert wurden.

Grundlegendes
Wesentliche Regelungen dazu, unter welchen Umständen und Voraussetzungen (auch) an anderen Orten als dem ursprünglichen Vertragsarztsitz eine ärztliche Tätigkeit ausgeübt werden darf, sind im Fünften Sozial­gesetzbuch (SGB V), der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) sowie im Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) enthalten. Danach wird zunächst zwischen zwei Arten der Ausübung der ärztlichen Tätigkeit an anderen Orten unterschieden: die Leistungserbringung „an weiteren Orten“ (sog. ausgelagerte Praxisräume) und die Leistungserbringung in einer Zweigpraxis. Während die Leistungserbringung an weiteren Orten nur für die Erbringung spezieller Untersuchungs- und Behandlungsleistungen vorgesehen ist, mithin nicht das Leistungsspektrum einer „normalen“ Praxis abbilden soll oder darf, ist eine Zweigpraxis grundsätzlich als „vollwertige“ Praxis gestaltbar. Es handelt sich also um zwei völlig unterschiedliche Konzeptionierungen, welche dementsprechend für gänzlich andere Zielgruppen von Interesse sind.

 

Ausgelagerte Praxisräume

Die Möglichkeit, sogenannte ausgelagerte Praxisräume zu betreiben, ist in § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV vorgesehen. Danach kann der Vertragsarzt spezielle Untersuchungs- und Behandlungsleistungen an weiteren Orten in räumlicher Nähe zum Vertragsarztsitz erbringen. Er hat in diesem Fall Ort und Zeitpunkt der Aufnahme der Tätigkeit seiner Kassenärztlichen Vereinigung lediglich unverzüglich anzuzeigen; es besteht insoweit keine Genehmigungspflicht. Das Betreiben ausgelagerter Praxisräume entbindet jedoch nicht von der Pflicht, die Kerntätigkeiten der vertragsärztlichen Verpflichtungen am eigentlichen Praxissitz zu erbringen, das heißt, dass insbesondere die Sprechstunden nur am originären Vertragsarztsitz erfolgen dürfen. In der Konsequenz kann jedwede Erstanamnese auch nur dort stattfinden. Das Betreiben ausgelagerter Praxisräume bietet sich an für Großgeräte­leistungen sowie beispielsweise für die Durchführung ambulanter Operationen. Wichtige Voraussetzung für die Zulässigkeit des Betreibens ausgelagerter Praxisräume ist die räumliche Nähe zum Praxissitz. Das Bundessozialgericht (BSG) hat zuletzt klargestellt, dass es – auch bei einer Entfernung von mehr als nur wenigen Kilometern; im Streitfall 9 km – darauf ankommt, ob die ausgelagerten Praxis­räume binnen maximal 30 Minuten zu erreichen sind (Urteil vom 06.04.2022 – 
B 6 KA 12/21 R).

Zweigpraxis

Der Betrieb einer Zweigpraxis als echte Nebenbetriebsstätte ist in § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV geregelt und ist im Gegensatz zu ausgelagerten Praxisräumen genehmigungspflichtig. 

Für die Erteilung der Genehmigung ist die eigene Kassenärztliche Vereinigung zuständig (KV); soll die Zweig­praxis im Bezirk einer anderen KV geführt werden, müssen die Zulassungs­gremien eine Ermächtigung erteilen. 

Voraussetzungen

Die Voraussetzungen für die Genehmigung oder Ermächtigung sind indes identisch: 

  1. Zum einen muss die Zweigpraxis eine quantitative oder eine qualitative Versorgungsverbesserung bewirken. Eine qualitative Versorgungsverbesserung wäre beispielsweise darin zu sehen, wenn durch die Zweigpraxis ein differenzierteres oder ergänzendes Leistungsspektrum (z. B. bei Vorliegen von Zusatzweiterbildungen) angeboten wird, das andere Leistungserbringer im Einzugsgebiet der projektierten Zweigpraxis nicht vorhalten. Demgegenüber kann eine quantitative Versorgungsverbesserung vorliegen, wenn durch das Hinzutreten weiterer Behandler der Versorgungsumfang in relevantem Maß erhöht wird. Zu beachten ist insoweit jedoch, dass das Hinzutreten eines weiteren Behandlers durch den Betrieb der Zweigpraxis nicht stets eine Versorgungsverbesserung bedeutet, sondern eine Verbesserung des Versorgungsangebots „von einigem Gewicht“ gegeben sein muss (BSG, Urteil vom 09.02.2011, B 6 KA 3/10 R). Insoweit hat das Sozialgericht Hamburg gar die Erweiterung des psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgungsumfangs um zusätzliche zwölf Stunden als nicht ausreichend angesehen (SG Hamburg mit Urteil vom 09.11.2022, S 3 KA 166/20); dies erscheint jedoch eine sehr weitgehende Interpretation der Rechtsprechung des BSG in Bezug auf das Kriterium „von einigem Gewicht“ zu sein und ist aus unserer Sicht kritisch zu sehen, zumal die verfahrensbeteiligte KV die Ermächtigung für die Zweig­praxis befürwortet hatte. 
  2. Weitere Voraussetzung für die Errichtung einer Zweigpraxis ist die Sicherstellung/Aufrechterhaltung der ordnungsgemäßen Versorgung am Vertragsarztsitz. Dies bedeutet, dass der Arzt zu von ihm angegebenen Behandlungszeiten präsent sein muss und im Fall der Abwesenheit seiner Person die Versorgung der Patienten am Vertragsarztsitz weiterhin gesichert sein muss, indem beispielsweise ein in Berufsausübungsgemeinschaft oder anderer Konstellation tätiger, anwesender Mitgesellschafter oder ein angestellter Arzt dort die Versorgung gewährleistet. Geprüft wird insoweit vorrangig, inwieweit der Zweigpraxisbetrieb die Anwesenheit des Vertragsarztes am eigentlichen Vertragsarztsitz beeinträchtigt, wobei geringfügige Beeinträchtigungen für die Versorgung am Ort des Vertragsarztsitzes unbeachtlich sind, wenn sie durch die Verbesserung der Versorgung an dem Zweigsitz aufgewogen werden.

Vor- und Nachteile

Wenn beispielsweise neue Medizingeräte angeschafft werden sollen, die Praxis selbst dafür jedoch keine ausreichenden Kapazitäten aufweist, dann bieten in räumlicher Nähe zum Vertragsarztsitz ausgelagerte Praxisräume gemäß § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV eine Möglichkeit zur Erbringung der Leistung. Im Unterschied zur Zweigpraxis sind ausgelagerte Praxisräume nur anzeige- nicht jedoch genehmigungspflichtig. Sollte sich nach Anzeige und tatsächlichem Betrieb der ausgelagerten Praxisräume jedoch herausstellen, dass die zuständige KV die Räume nicht als ausgelagerte Praxisräume anerkennt, könnte es sein, dass dort erbrachte Leistungen nicht vergütet werden. In der Praxis ist es daher ratsam, die Anerkennung im Vorfeld mit der zuständigen KV zu klären.

Bei größeren Entfernungen, aber auch wenn an dem weiteren Standort Sprechstunden angeboten werden sollen, scheiden ausgelagerte Praxisräume hingegen aus, sodass hier nur die Zweigpraxis gemäß § 24 Abs. 3 Ärzte-­ZV in Betracht kommt. Begrenzte Sprechzeiten sind für die Genehmigung der Zweigpraxis nicht zwangsläufig schädlich. 
Ein Nachteil im Hinblick auf den Betrieb einer Zweigpraxis kann jedoch darin bestehen, dass – je nachdem, wie die Honorarverteilung in der jeweiligen KV geregelt ist – möglicherweise kein zusätzliches Honorar in der vertragsärztlichen Versorgung erwirtschaftet werden kann, beispielsweise weil keine Erhöhung des Punktzahlgrenzvolumens für die Zweigpraxis gewährt wird oder auch keine Erhöhung der Fallzahlbegrenzung vorgesehen ist, wenn die Hauptpraxis am Vertragsarztsitz und die Zweigpraxis nach dem jeweiligen Honorarverteilungsmaßstab unter Umständen als Einheit gelten. Diese Punkte sind zwingend vorab zu klären. Bei der Anstellung eines Arztes in der Zweigpraxis ist zudem zu berücksichtigen, dass dies das Risiko der Gewerbesteuerpflicht begründen kann, da dann in Frage steht, ob der Praxisinhaber noch leitend seine Überwachungsfunktion wahrnehmen kann. 

Die Gründung einer Zweig­praxis kann indes auch strategische und/oder finanzielle Vorteile bergen. Einerseits vergrößert sich der Einzugsbereich der Praxis, was zumeist dann auch mit der Erschließung neuen Patientenklientels einhergeht. Das kann die eigene Marktposition festigen und weiter ausbauen, ggf. auch Konkurrenz abhalten. Andererseits können sich, je nachdem wie die Honorarverteilung in der KV geregelt ist, neue Umsatzpotenziale auch in der vertragsärztlichen Versorgung erschließen. Demzufolge gilt es, vor Gründung einer Zweigpraxis regulatorische Vorgaben im Bereich der maßgeblichen KV genau zu überprüfen und eine betriebswirtschaft­liche- Standort- sowie Marktanalyse vorzunehmen, um Risiken, Kosten und zukünftige Einnahmen gegeneinander abwägen zu können.

Privatarzttätigkeit

Privatärztlich kann eine Zweigpraxis übrigens genehmigungsfrei geführt werden; insoweit besteht ausschließlich eine Anzeige­pflicht gegenüber der zuständigen Ärzte­kammer. Das privatärztliche Potenzial spielt selbstverständlich eine – erfahrungsgemäß nicht untergeordnete – Rolle bei der Standort- und Wirtschaftlichkeitsanalyse.

Fazit
Die Eröffnung einer Zweigpraxis setzt eine umfassende Planung sowie eine Kosten-Nutzen-Analyse voraus. Stimmen alle Parameter, eröffnen sich Umsatzpotenziale, von der die Praxis erheblich profitieren kann. Eine Zweigpraxis bietet sich insbesondere dann an, wenn der niedergelassene Arzt seine Praxistätigkeit nicht nur in seiner eigentlichen Praxis, sondern zugleich an einem anderen Ort ausüben und dabei seine ärztliche Leistung umfassend erbringen möchte. Wenn demgegenüber lediglich spezielle Untersuchungen und Behandlungsleistungen erfolgen sollen, keine Kapazitäten für eigene Sprechzeiten und eine räumliche Nähe zwischen Vertragsarztsitz und dem anderen Ort der Leistungserbringung bestehen, bieten ausgelagerte Praxisräume eine sachgerechte Alternative.

*Zur besseren Lesbarkeit kann in Texten das ­generische Maskulinum verwendet werden. ­Nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter.

Svenja Brungert
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht 
Lehrbeauftragte der Hochschule Osnabrück
Kanzlei am Ärztehaus
Dorpatweg 10, Germania Campus
48159 Münster, 0251 270 76 88 – 0
s.brungert@kanzlei-am-aerztehaus.de
www.kanzlei-am-aerztehaus.de

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