Wie wirken sich Rentendauer und Inflation auf Ihre Altersvorsorge aus?

Wird meine Altersvorsorge später reichen? Eine Frage, mit der man sich aufgrund der geänderten Zins- und Inflationssituation vermehrt beschäftigen muss. Zum vernünftig durchkalkulierten Aufbau einer Altersvorsorge, die den angestrebten Lebensstandard sichert, sind viele Rahmenfaktoren zu beachten. Dieser Artikel wird sich speziell mit den Auswirkungen der Lebenserwartung und der stark gestiegenen Inflation sowie den jetzt wieder vorhandenen Guthabenzinsen beschäftigen.

 

1. Grundlagen

Altersvorsorge, die den angestrebten Lebensstandard gewährleistet unterliegt vielen Einflussfaktoren.

  • Wie hoch soll der angestrebte Lebensstandard eigentlich sein?
  • Über welchen Zeitraum ab Renteneintritt soll aus Altersvorsorgevermögen gezehrt werden können?
  • Mit welchen Zinssätzen kann beim Aufbau des Altersvorsorgevermögens und beim Verzehr dieses Vermögens in der Rentenphase kalkuliert werden?
  • Welche Inflation steht dem gegenüber?

Wenn man sich über seine eigene Altersvorsorge Gedanken macht, muss man für sich selbst definieren: Was ist für mich eine ausreichende Altersvorsorge? Es geht also um die Fragen:

  • Was brauche ich – ganz konkret in nominalen Zahlen?
  • Womit darf ich auf Basis meiner bestehenden Altersvorsorgebausteine rechnen?

Die Differenz zwischen diesen beiden Größen nennt man dann in der Regel Versorgungslücke.

Versorgungslücke – Was ist das?

„Die Versorgungslücke ist die Bezeichnung für die nach dem Eintritt des Ruhestandes … entstehende finanzielle Lücke.“1

a) Einnahmenseite

Durch den Renteneintritt fallen die aktiven Einkünfte aus der Berufstätigkeit weg. Idealerweise kommen zu den bereits vorhandenen passiven Einkünften, z. B. aus Kapitalvermögen und vermieteten Immobilien, weitere Einkünfte hinzu, beispielsweise aus dem Versorgungswerk oder anderen Altersvorsorgeversicherungen. Und nicht zu vergessen: Das bis zu diesem Zeitpunkt aufgebaute Altersvorsorgevermögen kann durch Entnahmen sukzessive abgebaut werden und damit auch für Einnahmen sorgen.

b) Ausgabenseite

Durch den Renteneintritt verändert sich auch die Ausgabenseite deutlich. Viele Ausgaben fallen weg, wie z. B. die Sparraten zum Aufbau der Altersvorsorge und Beiträge für Risiko-Versicherungen, die mit dem 65. Lebensjahr enden, wie etwa Risiko-­Lebensversicherungen.

Wichtig ist die Erkenntnis, dass die Versorgungslücke keine Zeitpunktbetrachtung auf das 65. oder 67. Lebensjahr ist. Es geht um die Sicherstellung von liquiden Zuflüssen über den gesamten Zeitraum des Rentnerlebens.

Deshalb kann nur eine dynamische zeitraumbezogene Betrachtung der Versorgungslücke, unter Berücksichtigung von Einnahmenseite und Ausgabenseite, zu einem sinnvollen Ergebnis führen.

Unsere Definition

Um die in den einzelnen Jahren schwankenden Lücken greifbar zu machen und auf eine Zahl zu verdichten, definieren wir Versorgungslücke als den Barwert aller Ausgaben für den gewünschten Lebensstandard abzüglich Barwert der zu erwartenden Einnahmen für den Zeitraum vom Renteneintritt bis zum selbst festgelegten Endalter, das abgedeckt werden soll. Je höher man das Endalter ansetzt, desto größer ist das „Sicherheitspolster“, das in der Berechnung steckt.

 

2. Überlegungen zur Rentendauer

Vorüberlegung zur Zusammensetzung der Altersvorsorge

Grundsätzlich hat man zwei Wege Altersvorsorge zu betreiben:

Aufbau von Leibrentenansprüchen

Leibrentenansprüche können z. B. aus der Versorgungswerkrente, aus gesetzlichen Rentenansprüchen oder privaten Rentenversicherungen kommen. Diese Zahlungen laufen – wie der Name schon sagt – ein Leben lang. Die Frage „Wie alt werde ich und welchen Zeitraum muss ich abdecken?“ hat hier für einen selbst keine Relevanz.

Theoretisch kann man sich ärgern, wenn man hier viel Geld investiert hat und dann früh verstirbt. Wenn man dann rückwärtsblickend eine Rendite berechnet, wird diese sicher negativ sein. Darüber kann man sich ärgern. Man kann den Ärger aber auch den Erbinnen und Erben überlassen.

Zur Abmilderung dieses „Problems“ ist es sinnvoll, eine vernünftige Hinterbliebenenversorgung zu integrieren. Diese kostet natürlich einen Teil der Beiträge und wird deshalb die Höhe der Rentenansprüche mindern. Im Ergebnis bleibt es aber dabei: Für diesen Weg der Altersvorsorge darf man formulieren: Langlebigkeit ist eine Chance und kein Risiko.

Aufbau von Altersvorsorgevermögen

Altersvorsorgevermögen kann z. B. mit Kapital-Lebensversicherungen, Kapitalvermögen oder Immobilien aufgebaut werden. Man baut einen Vermögensstamm auf, der Erträge abwirft.

Da bei den allermeisten Menschen die Erträge nicht reichen, um daraus die notwendige Altersvorsorge zu bestreiten, wird man diesen Vermögensstamm nach und nach durch Entnahmen mindern, bis er verbraucht ist. Das ist z. B. bei Kapitalvermögen leichter zu organisieren als bei Immobilien, die man in der Regel nur im Ganzen verkauft.

Klar ist: Der Handlungsfreiheit, im Rentenalter auch mal mehr Geld entnehmen zu können, um einen Sonderbedarf abzudecken, steht das Risiko gegenüber, dass am Ende des Lebens das Geld ausgeht.

Die Überlegungen zur Festlegung einer angemessenen Rentendauer haben deshalb umso mehr Gewicht, je höher der Anteil des Altersvorsorgevermögens im Verhältnis zu den Rentenansprüchen ist.

Informationen zur Rentendauer

Über welchen Zeitraum sollte man sich Gedanken machen? Typische Informationsquelle ist dabei das Statistische Bundesamt2, das jährlich die durchschnittliche Lebenserwartung ermittelt. In der Presse wird hier oft auf die erwartete Lebensspanne der Jungen/Mädchen Bezug genommen, die in 2022 geboren wurden. Diese liegt bei 78,3 Jahren für Jungen und bei 83,2 Jahren für Mädchen.

Relevant für unsere Zwecke ist aber die sogenannte Restlebenserwartung der Menschen, die jetzt 65 Jahre alt sind. Dieser Wert liegt höher, weil alle Menschen, die vor Erreichen des Rentenalters verstorben sind, hier nicht berücksichtigt werden. Und genau darum geht es uns doch: Welchen Zeitraum wollen wir abdecken, wenn wir es schaffen, das Rentenalter zu erreichen. Hier liegt der aktuelle Wert für Männer bei 17,6 Jahren, also einem statistischen Endalter von 82,6 Jahren. Für Frauen errechnet sich daraus ein durchschnittliches Endalter von 86,0 Jahren.

Und jetzt betrachten Sie es als typische Leserin oder typischer Leser dieser Zeitschrift gerne als gute Botschaft: Für die Angehörigen der freien Berufe ist mit einer nochmal um ca. drei Jahre höheren Lebenserwartung zu rechnen (s. Tab. 1).3

Tab. 1: Als statistischer Durchschnitt ist also anzusetzen

 

Restlebenserwartung nach Renten­eintritt

Endalter in Jahren

Freiberufler männlich

21 Jahre

86 Jahre

Freiberufler weiblich

24 Jahre

89 Jahre

 

Beispiel 

(Ohne Berücksichtigung von Zinsen und Inflation)

 
Freies Vermögen zum Renteneintritt:  500.000 €
Absicherungszeitraum: 30 Jahre

Monatlich zur Verfügung stehender Betrag: 

500.000 € durch 30 Jahre durch 12 Monate

1.380 € 

 

Wenn man sich jetzt im Vergleich zum Mittelwert der Statistik ein bisschen besser absichern möchte, sollte bei Männern ein Zeitraum von 25 Jahren und bei Frauen von 30 Jahren zugrunde gelegt werden. Ein kleines Zahlenbeispiel zur Verdeutlichung (s. Infobox „Beispiel“).

Auch wenn der monatliche Betrag von 1.380 € aus einem Kapitalstock von 500.000 € wahrscheinlich kleiner ist, als man im ersten Moment erwartet, darf man nicht vergessen, dass er on top auf die Leibrentenansprüche zu verstehen ist. Und wir haben die laufenden Zins- oder Mieterträge aus dem Rest­kapital noch nicht berücksichtigt. Aber wir haben auch das Thema Inflation noch nicht berücksichtigt. Das führt uns zu den anderen beiden großen Einflussfaktoren bei der Planung der Altersvorsorge: Zins und Inflation.
 

3. Zins und Inflation

Für unsere Überlegungen ist es wichtig zu betrachten, was die deutliche Erhöhung der Inflationsraten und die zeitverzögert folgenden Zinserhöhungen bedeuten. Wenn man über Zinsen spricht, spricht man in aller Regel über Nominalzinsen – ohne Bezug zur dahinterstehenden Kaufkraft.

Wenn es um den Aufbau von Altersvorsorgevermögen im Berufsleben und den langsamen Verzehr desselben im Rentenalter geht, ist aber der Realzins wesentlich entscheidender.


Realzins = Nominalzins minus Inflationsrate


Die Bedeutung der Inflation für den Aufbau von Altersvorsorgevermögen war in der Vergangenheit nicht so hoch wie heute, weil sich die Höhe des Nominalzinses relativ parallel zur Inflationsrate verändert hat. Stieg die Inflation, stieg auch der Nominalzins. Anders formuliert: Der Realzins war ziemlich konstant. Und vor allem war er langfristig positiv.

Diese Konstante ist durch die Schulden­krise der Euroländer seit 2008 aufgebrochen worden. Durch die Überflutung der Märkte mit billiger Liquidität durch die Europäische Zentralbank (EZB), ist der Nominalzins in den Folgejahren so stark gesunken, dass in Deutschland seit 2011 der Realzins negativ ist. Aus Anlegersicht ist die Schuldenkrise der Staaten zur Zinskrise für den Aufbau der Altersvorsorge geworden.

Der Ukrainekonflikt hat dann für eine schnelle und starke Erhöhung der Inflation gesorgt, der die Zinsentwicklung nur zeitverzögert gefolgt ist.

Die Realzinssätze sind seit Anfang 2021 stetig gesunken und befanden sich Ende 2022 auf einem historischen Tief von ca. minus 7,0 % (s. Grafik 1).4

Auch wenn die Schere durch die jetzt steigenden Anlagezinsen kleiner wird, befindet sie sich immer noch im deutlich negativen Bereich.

Schlussfolgerung 

Durch den fehlenden Ausgleichs­mechanismus zwischen Inflations- und Zinsniveau, hat die Bedeutung der Inflation und die Notwendigkeit zur Generierung von Erträgen über einen sicheren Anlagezinssatz hinaus für die Höhe der notwendigen Altersvorsorge deutlich zugenommen. Der Aufbau von Altersvorsorgevermögen bedarf noch größerer Anstrengungen, weil durch einen negativen Real­zins kein positiver Zinseszinseffekt mehr genutzt werden kann.
 

4. Wirkung von negativen Realzinsen auf die notwendige Altersvorsorge

Die hauptsächliche Auswirkung der Inflation ergibt sich auf die Berechnung des Kapitalbedarfs für den gewünschten Lebensstandard. Dabei ist zu bedenken, dass die Inflationswirkung sich sowohl auf die Ansparphase bis zum Renteneintritt bezieht als auch auf die komplette Betrachtungsdauer der Rentenzeit. Dazu ein Beispiel (s. Infobox „Ausgangsfall“).

Ausgangsfall 

Unser Mandant Dr. Leopold Langes-­Leben ist heute 45 Jahre alt. Er möchte gerne mit 65 Jahren in Rente gehen. 

Wir unterstellen einen gewünschten Lebensstandard im Alter in Höhe von 3.000 € pro Monat (nach heutiger Kaufkraft). Für die Betrachtung der kumulierten Werte unterstellen wir eine Rentendauer von 25 Jahren (Endalter 90 Jahre). Der gesamte Betrachtungszeitraum beträgt damit 45 Jahre.

Langfristige Inflationsrate (Annahme): 3,0 %

Berechnung der nominalen Lebenshaltung

Wir gehen für das Jahr 2023 von einer Lebenshaltung von 3.000 € 
pro Monat aus. Welche nominalen Geldzuflüsse werden wir im Alter 
brauchen, um die heutige Kaufkraft von 3.000 € abzubilden? (s. Tab. 2)

Was passiert, wenn der Realzins negativ ist, wie man es seit 2011 tatsächlich beobachten kann?

Dann dürfen wir für unsere Berechnungen, welche Erträge man mit dem Altersvorsorgevermögen erzielen und damit auch entnehmen kann, nur einen Zinssatz zugrunde legen, der niedriger ist als die Inflationsrate.
Wir unterstellen hier 1,0 %, was einem negativen Realzins von 2,0 % entspricht.

 
Freies Vermögen:500.000 €
In 20 Jahren entspricht dies bei einem negativen Realzins von minus 2,0 % einer heutigen Kaufkraft von 66 % = 330.000 €
Absicherungszeitraum: 30 Jahre
Monatlich zur Verfügung stehender Betrag bei laufenden Erträgen von 1,0 %:1.025 €5

Tab. 2: Berechnung der nominalen Lebenshaltung

 

2043

2053

2063

2068

Lebensalter (in Jahren)

65

75

85

90

Nominale Lebenshaltung bei 3 % Inflation (in Euro)

5.418

7.282

9.786

11.345

Man kann also bei einem Realzins von 0 % sagen: Aus 500.000 € bei Renteneintritt können Sie über 30 Jahre 1.380 € pro Monat entnehmen und müssen noch 1.620 € über Renteneinkünfte abdecken. Beträgt der Realzins minus 2,0 % und ist der Renteneintritt noch 20 Jahre entfernt, muss man sagen: Ihr Altersvorsorgevermögen ist nach heutiger Kaufkraft dann nur noch 330.000 € wert und Sie werden 1.025 € pro Monat daraus entnehmen können. Um einen Lebensstandard von 3.000 € nach heutiger Kaufkraft abzudecken, brauchen Sie aber 5.418 €. Aus Leibrenten werden also ca. 4.400 € benötigt.

Was kann man selbst tun?

Verkleinern Sie soweit möglich die Schere zwischen Erträgen und Inflation. Das bedeutet:

a) Zins-Hopping: Sicherung von Neukunden-Konditionen für Tagesgelder/Festgelder durch Bankenwechsel.

b) Vermögensaufbau vermehrt in Sachwerten statt in Nominalwerten.

c) Regelmäßige Bestandsaufnahme der eigenen Altersvorsorge, um sicher zu sein, dass die Schere zwischen Wunsch und Wirklichkeit nicht zu groß wird.

Auch wenn die Zeiten für den Vermögensaufbau nicht mehr die Besten sind, die Vogel-Strauß-Politik hat noch nie geholfen.

 

Fazit

Diese mathematische Betrachtung des Themas Altersvorsorge und ihrer Einflussgrößen bringt mehrere Erkenntnisse:

  • Der Einfluss der Inflation ist über lange Zeiträume immens.
  • Der aktuell negative Realzins verschärft die Probleme beim Aufbau einer zufriedenstellenden Altersvorsorge zusätzlich.
  • Es ist davon auszugehen, dass die Politik und die EZB versuchen werden, die Inflation einzudämmen. Leider besteht wenig Interesse daran, am Problem der negativen Realzinsen etwas zu ändern. Denn was im negativen Sinne für den Aufbau von Vermögen gilt, gilt für die verschuldeten Staaten im positiven Sinne. Ein negativer Realzins führt zu einer realen Entschuldung auf dem kalten Weg.


1 Gabler Verlag (Herausgeber), Gabler Wirtschaftslexikon, wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/versorgungsluecke-53334/version-154900 
2 Statistisches Bundesamt, www.destatis.de 
3 Arbeitsgemeinschaft berufsständischer Versorgungseinrichtungen e. V. (ABV), www.abv.de/die-deutschen-werden-immer-aelter.html 
4 Bundesbank, www.bundesbank.de 
5 Eigene finanzmathematische Berechnungen

Diplom-Kaufmann Dirk Klinkenberg
Steuerberater und Geschäftsführer der CURATOR Treuhand- und Steuer­beratungsgesellschaft mbH, Fach­berater für Vermögens­gestaltung (DVVS e. V.), Hauptsitz in der Schlossstraße 20, 51429 Bergisch Gladbach, Tel.: 02204-9508-200 und eine Niederlassung in der Gohliser Str. 11, 04105 Leipzig. 
Tätigkeitsschwerpunkt der CURATOR ist die steuerliche und betriebswirtschaftliche Beratung von Ärzten, Zahnärzten und sonstigen Heilberuflern.
www.curator.de

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