Schuldenfrei in die Rente? Lösungen bei gestiegenen Anschlusszinsen

Der Beginn des Ukrainekonflikts im Februar 2022 hat zwei wesentliche Finanzgrößen massiv verändert. Zuerst stieg die Inflation – insbesondere getrieben durch die steigenden Energiepreise – dann sind die Zinsen gestiegen. Der Anstieg der Zinsen kam zwar nicht überraschend, aber in einer bis dahin kaum gekannten Geschwindigkeit und Höhe. Insbesondere wenn in den Jahren 2023 bis 2026 langfristige Darlehensverträge zur Anschlussfinanzierung anstehen, ist man von dieser Entwicklung stark betroffen und kann nicht so einfach ausweichen.

Deshalb ist es umso wichtiger, sich frühzeitig einen Überblick über die tatsächlichen monetären Auswirkungen zu verschaffen und Lösungswege zu durchdenken, damit keine Liquiditätsprobleme auftreten und das Grundsatzziel „Schuldenfrei in Rente“ nicht gefährdet wird.

Problemstellung

Froh sei der*, der sich vor kurzem langfristig das niedrige Zinsniveau bereits gesichert hat. Wenn man aber in den Jahren 2014 bis 2016 dem damals absolut richtigen Rat einer zehnjährigen Zinsbindung gefolgt ist, ist ein Problem absehbar: Der Zinssatz für die Anschlussfinanzierung ist deutlich höher als in der derzeitigen Zinsbindung. Man „springt“ von einem Zinsniveau zwischen 1,4 % und 2,5 % auf ein aktuelles Zinsniveau von ca. 4,0 % (s. Abb. 1).

Welche Konsequenzen resultieren daraus?

Um dies konkret begreifbar zu machen, müssen wir drei Fallgruppen unterscheiden:

1. Volltilgungsdarlehen sind unproblematisch

Überall dort, wo Darlehen damals als sogenannte Volltilgungsdarlehen abgeschlossen wurden, besteht kein Problem. Das Wesen dieser Darlehen liegt darin, dass man damals schon zur Vermeidung von Zinsänderungsrisiken die Tilgung so gewählt hat, dass nach zehn oder 15 Jahren Zinsbindung keine Restschuld mehr vorhanden ist. Herzlichen Glückwunsch, Sie haben alles richtiggemacht.

Gerade bei Immobiliendarlehen konnte man sich häufig gar nicht in diese komfortable Situation bringen, weil eine Tilgung in einem Zeitraum von zehn oder 15 Jahren nicht zu bezahlen war. Jetzt muss man zwischen zwei unangenehmen Alternativen wählen.

2. Gleiche Tilgungsgeschwindigkeit führt zu einem erhöhten Liquiditätsbedarf

Um die Auswirkungen greifbar zu machen, wollen wir dies an einem konkreten Zahlen­beispiel durchrechnen.

Annuitätendarlehen für das Eigenheim – aufgenommen Mitte 2015
Darlehenssumme:     500.000 €
Zins:  1,5 %

Anfängliche Tilgung:      1,5 %
Annuität im Monat:       1.250 €
Zinsbindung: zehn Jahre bis Mitte 2025
Laufzeit: ca. 43 Jahre (bis September 2058)

In Abbildung 2 kann man erkennen, dass bei einer Tilgung von nur 1,5 % p. a. im Jahr 2025 immer noch eine Restschuld von ca. 392.000 € besteht. Fast 80 % des ursprünglichen Darlehensbetrags sind vom Zinsänderungsrisiko betroffen.

In 2015 hat man sich zwar Sondertilgungsmöglichkeiten einräumen lassen, diese werden aber typischerweise in den ersten Jahren nicht in ausreichendem Maße in Anspruch genommen, weil eventuell vorhandene Liquidität für Verbesserungen des Eigenheims oder andere familiäre Themen benötigt wurden.

Alternativberechnung

Was passiert, wenn wir den Anschlusszinssatz ab dem 01.07.2025 nicht mehr mit 1,5 %, sondern mit 4,0 % kalkulieren müssen?
Wenn man die Darlehenslaufzeit konstant hält, bedeutet dies:

a) Die monatliche Annuität steigt von 1.250 € auf 1.800 €. Absolut gesehen eine Steigerung um 550 €. Prozentual sind dies 44 % mehr.
b) Die Kosten der Baufinanzierung über die Restlaufzeit ab dem 01.07.2025 steigen von ca. 106.000 € auf ca. 315.000 €. Das ist ungefähr eine Verdreifachung. Die Zinsen haben sich ja auch fast verdreifacht.

Tab. 1: Auswertungsbeispiel Vertragsübersicht

Aufstellung der Darlehen

Sortierung nach Zinsfestschreibung

Alle Werte in Euro per 31.12.2023

Gläubiger

Kontonummer

Darlehensart

Zuordnung

Besicherung

Schuldner Mandant

Schuldner Ehepartner

Schuldner Dritter

Auszahlung

Fälligkeit

Zinsfestschreibung

Nominalbetrag

Valuta

Ø lfd. Annuität

Tilgung

nom. Zinssatz

Zins gültig bis

Hausbank

Finanzierung Betriebe:

100,00 %

01.10.2013

60.000

0,00 %

2

Arztpraxis

0,00 %

 

0

1,40 %

Annuitäten­darlehen

  

30.09.2023

(quartalw.) 3.269

bis Fälligkeit

Hausbank

Finanzierung Betriebe:

100,00 %

01.07.2014

150.000

0,00 %

1

Arztpraxis

0,00 %

 

11.176

1,85 %

Annuitäten­darlehen

  

30.06.2024

(quartalw.) 5.310

bis Fälligkeit

KSK Sorgenfrei

Finanzierung Eigenheim:

50,00 %

01.07.2015

500.000

1,50 %

78798

Einfamilienhaus

50,00 %

 

405.926

1,50 %

Annuitäten­darlehen

Ja

 

30.06.2025

(mtl.) 1.250

30.06.2025

Hausbank

Finanzierung Betriebe:

100,00 %

01.04.2016

33.400

0,00 %

4

Arztpraxis

0,00 %

 

18.967

1,40 %

Annuitäten­darlehen

  

30.03.2026

(quartalw.) 2.090

bis Fälligkeit

Hausbank

Finanzierung Betriebe:

100,00 %

01.07.2020

200.000

0,00 %

3

Arztpraxis

0,00 %

 

161.744

1,00 %

Annuitäten­darlehen

  

30.06.2030

(quartalw.) 6.250

bis Fälligkeit

Hausbank

Finanzierung Betriebe:

100,00 %

30.06.2022

150.000

0,00 %

5

Arztpraxis

0,00 %

 

141.579

1,85 %

Annuitäten­darlehen

  

30.12.2031

(quartalw.) 2.789

bis Fälligkeit

Summen aufgeführter Darlehen

Valuta am 31.12.2023

liquides Ergebnis 2023

Zinsen + Gebühren 2023

Tilgung/Auszahlung 2023

Mandant

536.429

-86.333

-8.379

-77.954

Ehepartner

202.963

-7.500

-3.081

-4.419

Gesamt

739.392

-93.833

-11.460

-82.373

 

3. Verlängerung der Laufzeiten bei gleichem Liquiditätsbedarf

Wenn man sich diese Erhöhung der laufenden Annuität von 44 % nicht leisten kann, kann man die Begrenzung der Liquiditätsbelastung nur durch eine Laufzeitverlängerung erkaufen.

Welche Laufzeit ergibt sich bei einer konstanten Annuität von 1.250 €?

a) 4,0 % von 392.000 € führt zu Zinsen von 1.306 € pro Monat. Eine konstante Annuität ist rechnerisch gar nicht möglich.
b) Bei einer Mindesttilgung von 1,0 % p. a. ergibt sich eine Mindest-Annuität von 1.633 €. Diese bewirkt eine Laufzeitverlängerung um acht Jahre bis 2066 und eine weitere Steigerung der Gesamtfinanzierungskosten auf ca. 407.000 €.

Zwischenergebnis

Die Aussichten für 2025 sind problematisch. Es braucht dringend Lösungsansätze.

Die Bestandsaufnahme

Typischerweise haben Ärzte nicht nur eine Immobilienfinanzierung für das Eigenheim, sondern sie haben sinnvollerweise ihren Finanzierungsbedarf auch durch Praxisdarlehen gedeckt. Deren Zinsen kann man zumindest steuerlich als Betriebsausgaben geltend machen. Häufig gibt es eine zeitliche Nähe zwischen Praxisdarlehen z. B. aus der Existenzgründung und der Finanzierung des Eigenheims. Deshalb muss zuerst eine Bestandsaufnahme aller Finanzierungen gemacht werden.

Benötigte Daten

Um eine übersichtliche Darstellung der Darlehensverträge zu erstellen, werden die Darlehensverträge, die aktuellen Valuten sowie Infos über Sondertilgungsmöglichkeiten benötigt. Und es ist eine Annahme zu den zu erwartenden Anschlusszinsen erforderlich. Mangels besserer Kenntnis kann man hier im ersten Schritt vom aktuellen Zinsniveau ausgehen.
 

Transparente Auswertung

Die Vertragsübersicht sollte – sortiert nach auslaufender Zinsbindung – zeigen, welche Gesamtbelastung im Jahr 2023 vorliegt und welche Belastungen in den Folgejahren zu erwarten sind (s. Tab. 1 und Abb. 3).

In unserem Beispiel zeigt sich, dass in der Praxis alle Darlehen als Volltilgungsdarlehen organisiert wurden und bis Mitte 2025 zumindest zwei Praxisdarlehen endgültig getilgt sind, sodass eine liquide Entlastung von ca. 2.000 € im Monat zu erwarten ist.

Lösungsansätze

Nur die Transparenz durch eine Vertragsübersicht, wie in Tabelle 1 gezeigt, ermöglicht einen Überblick, welche Lösungsmöglichkeiten bestehen.

Nutzung von freier Liquidität

In unserem Musterbeispiel haben wir zwei Erkenntnisse:

  1. Es besteht kein Grund zur Sorge. Selbst wenn im Jahr 2025 der Zinssatz immer noch 4,0 % betragen sollte, kann die Steigerung der Rate aus der liquiden Entlastung in der Praxis abgedeckt werden. Die Praxis trägt also zur Lösung des Problems bei und verursacht selbst keine weiteren Probleme.
  2. Man könnte sogar ganz bewusst die Annuität für das Eigenheim in 2025 noch höher ansetzen, um vor dem Renteneintritt schuldenfrei zu sein. Damit würden auch die Gesamtkosten der Finanzierung deutlich gesenkt.

Nicht immer ist es so einfach. Wenn die Entwicklung der Praxis nicht zur Lösung beiträgt, sollte eine Bestandsaufnahme der freien Liquidität gemacht werden, um zu beurteilen, welchen Betrag (der sich wahrscheinlich mit weniger als 4 % verzinst) man dann als Tilgung nutzen kann, um die Anschlussfinanzierung zu reduzieren.

Flexibilität durch Sondertilgungsmöglichkeiten

Wichtigster Aspekt bei der Anschlussfinanzierung ist die Vereinbarung von umfangreichen Sondertilgungsmöglichkeiten, um in der Zukunft schnell die hohe Zinslast zu mindern. 5 % der Darlehenssumme p. a. als Sondertilgungsmöglichkeit sind dabei vertraglich üblich.

Vorausschauendes Sparen

Und wenn man jetzt schon weiß, was in ein, zwei oder drei Jahren auf einen zukommt, kann man auch jetzt schon damit beginnen, freie Liquidität zu schaffen. Durch die Bestandsaufnahme kennt man jetzt die Maßnahmen, die erforderlich sind, damit einem schuldenfreien Renteneintritt nichts im Wege steht. Ein Ziel, auf das man hinarbeiten sollte.

Fazit

Das gestiegene Zinsniveau ist eine böse Überraschung für viele, die vor einigen Jahren günstig finanziert haben und in absehbarer Zeit vor einer Anschlussfinanzierung stehen.

Wie immer hilft die „Vogel-Strauß-­Politik“ nicht. Schaffen Sie Transparenz durch eine Bestandsaufnahme und Hochrechnung der zu erwartenden Belastungen. Durch Transparenz werden Lösungsmöglichkeiten sichtbar, um die Liquiditätsbelastung so zu steuern, dass das übergeordnete Ziel „schuldenfreier Renteneintritt“ möglich bleibt.

Bestandsaufnahme und Hochrechnung kann man selbst erstellen oder über den eigenen Steuerberater erstellen lassen. Die Finanzierungs­analyse und -beratung gehören zu Kerngeschäft jedes beratungs­orientierten Steuerberaters.

* Zur besseren Lesbarkeit kann in Texten das ­generische Maskulinum verwendet werden. ­Nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter.

Diplom-Kaufmann Dirk Klinkenberg
Steuerberater und Geschäftsführer der CURATOR Treuhand- und Steuer­beratungsgesellschaft mbH, Fach­berater für Vermögens­gestaltung (DVVS e. V.), Hauptsitz in der Schlossstraße 20, 51429 Bergisch Gladbach, Tel.: 02204-9508-200 und eine Niederlassung in der Gohliser Str. 11, 04105 Leipzig. Tätigkeitsschwerpunkt der CURATOR ist die steuerliche und betriebswirtschaftliche Beratung von Ärzten, Zahnärzten und sonstigen Heilberuflern. www.curator.de

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