„Zeitenwende“ auch am Immobilienmarkt? Effekte steigender Zinsen und hoher Inflation
Das Umfeld für den Bau und den Kauf von Immobilien wird derzeit dem Anschein nach schwieriger. Was bedeuten steigende Bauzinsen und die wachsende Inflation für Investitionen in Immobilien – sowohl eigengenutzte als auch Vermietungsimmobilien? Eine wirtschaftliche Betrachtung.

Ende letzten Jahres (2021) lagen die Bauzinsen bei unter 1,0 %. Die Wertentwicklung von Immobilien lag – natürlich abhängig vom Standort – auf Rekordniveau (Häuserpreisindex 2021: plus 12,6 %1). Auch wenn die Inflationsrate in 2021 – also schon vor dem Ukrainekonflikt – gestiegen ist und bei 3,2 % lag (2020: 0,5 %)2, war dies insgesamt eine Konstellation mit der Immobilieninvestoren* und Immobilienbesitzer sehr gut leben konnten. In 2022 haben sich diese Zahlen stark verschoben. Die Bauzinsen pendeln sich aktuell bei ca. 3 % ein. Die Inflationsrate liegt bei 7,5 % (Stand: Juli 2022).3 Was bedeutet dies für Immobilieninvestitionen?
Welche Einflussfaktoren muss man überhaupt berücksichtigen?
Um diese Frage zu beantworten, muss man sich alle Einflussfaktoren anschauen, die bei der Investition in eine Immobilie eine Rolle spielen. Dazu muss man vier Grundkonstellationen unterscheiden (s. Infokasten). Im Folgenden wollen wir uns die Einflussfaktoren genauer anschauen.
Die vier Grundkonstellationen |
1. Vermietungsimmobilie kaufen 2. Immobilie zur Eigennutzung kaufen 3. Vermietungsimmobilie bauen 4. Immobilie zur Eigennutzung bauen |
In allen vier Fällen spielen das Zinsniveau und die Inflation eine Rolle.
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Steigende Zinsen – ein Problem?
Alarmistische Presseberichte suggerieren, dass der Anstieg der Zinsen dazu führt, dass der Bau oder der Erwerb von Wohneigentum unerschwinglich wird.4
Richtig ist, dass vor dem Beginn des Ukrainekonflikts Bauzinsen deutlich günstiger waren, als sie es aktuell sind. Fakt ist aber auch, dass wir in den Jahren 2020 und 2021 ein historisch niedriges Zinsniveau hatten. Alle Leser, die selbst einmal im Zeitraum vor 2010 begonnen haben, ein Eigenheim zu finanzieren, erinnern sich an deutlich höhere Zinssätze. Und trotzdem wurden Häuser gebaut und gekauft (s. Grafiken 1 und 2).
An angenehme Umstände gewöhnt man sich schnell. Nominalzinsen unter 1 % sind historisch gesehen ungewöhnlich niedrig, werden jetzt aber gerne als Referenz genommen, um zu zeigen, dass die Finanzierung von Wohnraum „unbezahlbar“ geworden ist.
Welche Bedeutung hat ein Zinsanstieg von 1,0 % auf 3,0 % über die gesamte Laufzeit einer Immobilienfinanzierung?
Um die Auswirkung des Zinsanstiegs auf die Immobilienfinanzierung zu betrachten, ziehen wir einen Beispielfall heran (s. Tab. 1).
Die laufenden Kosten für die Immobilie steigen damit um 1.665 € minus 1.380 € = 285 € pro Monat.
Über die hier unterstellte Laufzeit von 20 Jahren sind das in der Summe: 285 € x 12 Monate x 20 Jahre = 68.400 € insgesamt.
Zinsanstieg von 1,0 % auf 3,0 % über 20 Jahre Laufzeit | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Das ist für sich gesehen ein hoher Betrag. Aber in Relation zu den anderen Einflussfaktoren ist er nicht geeignet, um Immobilien als unfinanzierbar zu bezeichnen, denn bezogen auf die Gesamtinvestition sind das „nur“ knapp 14 % Kostensteigerung.
Anstieg der Inflation
Immobilien sind sogenannte Sachgüter und schützen deshalb nach landläufiger Meinung vor Inflation. Wenn Immobilien eins zu eins vor Inflation schützen würden, müsste die Preisentwicklung – unabhängig vom Standort der Immobilie und unabhängig vom Zustand der Immobilie – immer mindestens so hoch sein wie die Inflation. Das dies keine allgemeingültige Aussage sein kann, liegt auf der Hand. Unzweifelhaft ist nur der Zusammenhang: Die Inflation ist ein Einflussfaktor für die Wertentwicklung von Immobilien.
Warum ist die Inflation aktuell auf ca. 7,5 % gestiegen?
Wesentliche Preistreiber sind die Energiekosten und die Lebensmittelpreise. Dabei haben die Energiekosten indirekt eine Auswirkung auf die Preisentwicklung einer konkreten Immobilie. Moderne Niedrigenergiehäuser werden in ihrer Preisentwicklung eher profitieren, alte Häuser, die erst durch umfangreiche Investitionen auf ein akzeptables Energieverbrauchsniveau gebracht werden müssen, werden sich unterdurchschnittlich entwickeln.
Wie muss der Zusammenhang zwischen Inflation und Zinsniveau betrachtet werden?
Entscheidend ist hier der sogenannte Realzins. Dieser definiert sich als Differenz zwischen Nominalzins und Inflation. Langfristig pendelt der Realzins um die 2,0 %. Das Zinsniveau ist also ca. 2 % höher als die Inflationsrate. Das ist faktisch die Belohnung fürs Sparen.
In der langfristigen Grafik 3 seit 1967 kann man drei Phasen erkennen:
- Phase: 1967 bis 2008: Realzins pendelt um die 2 % (Normalsituation)
- Phase: 2009 bis 2019: Realzins pendelt seit dem Beginn der Finanzkrise zwischen 0 % und minus 1 %; Sparen wird durch Kaufkraftverlust „bestraft“
- Seitdem: Der Realzins stürzt ab; s. Kurzfristbetrachtung (Grafik 4)
Seit Anfang 2021 sinkt der Realzins stetig und liegt in 2022 bei minus 7 %. Dies ist genauso eine historische „Anomalie“ wie die niedrigen Bauzinsen.
Was bedeutet dies für unsere Überlegungen zum Thema Immobilieninvestition?
Was bedeuten die steigende Inflation und das Zinsniveau für unsere Überlegungen zum Thema Immobilieninvestition? |
Wenn man das Eigenkapital von 200.000 € aus unserem Beispiel ein Jahr lang liegen lässt und es nicht investiert, verliert das Geld 7 % p. a. an Kaufkraft. Das sind 14.000 €. Vergleich mit unserem Beispiel zuvor: zusätzliche Kosten der Finanzierung in einem Jahr: 285 € x 12 = 3.420 € Wenn die Immobilie nach einem Jahr nominal immer noch 500.000 € wert sein sollte, wäre auch hier ein Kaufkraftverlust eingetreten – und dies sogar in Höhe von 500.000 € x 7 % = 35.000 €. Die notwendige Wertsteigerung der Immobilie, damit kein Verlust gegenüber der Festgeldalternative eintritt, beträgt demnach: 500.000 € x 1,07 = 535.000 € Plus Zinskosten bei 3 % auf 300.000: 12 x 900 € = 10.800 € 545.800 € Minus Kaufkraftverlust Festgeld 14.000 € Zielgröße 531.800 € Notwendige Wertsteigerung 6,36 % |
Die im obigen Infokasten dargestellte notwendige Wertsteigerung liegt unterhalb der aktuellen Inflation und auch unterhalb der jährlichen Wertentwicklung für Immobilien. Diese Berechnung gilt natürlich nur bei eigengenutzten Immobilien.
Um die Berechnung für Eigennutzer zu vervollständigen, müsste man dann auch noch eine mögliche Mietsteigerung der derzeitigen Mietwohnung einbeziehen, die ja die Alternative Festgeld zusätzlich verteuert. Damit würde sich die notwendige Wertsteigerung weiter mindern.
Bei Vermietungsimmobilien wären die möglichen Mieteinnahmen einzubeziehen (und neutralisieren damit die Zinskosten). Die notwendige Wertsteigerung sinkt deutlich.
Zwischenfazit
Auch wenn die Inflation höher ist als das Zinsniveau der Baufinanzierung, muss die Immobilie eine Wertsteigerung erzielen, um den Kaufkraftverlust auszugleichen.
Bei negativem Realzins ist die notwendige Wertsteigerung aber in der Regel niedriger als die Inflationsrate.
Die Höhe der notwendigen Wertsteigerung hängt von der Quote des eingesetzten Eigenkapitals ab. Bei 100 % Eigenkapitaleinsatz ist eine Wertsteigerung nötig, die der alternativen sicheren Verzinsung der Kapitalanlage entspricht. Bei 0 % Eigenkapitaleinsatz ist eine Wertsteigerung in Höhe der Inflation plus der Zinskosten notwendig.
Wenn die Immobilie vermietet werden soll, sinkt die Höhe der notwendigen Wertsteigerung um die Höhe der Netto-Kaltmiete abzüglich Bewirtschaftungskosten.
Zukünftige Wertentwicklung von Immobilien
Niemand von uns kann wirklich in die Zukunft blicken. Deshalb kann man nur statistische Daten und Argumente für oder gegen eine Fortsetzung der positiven Wertentwicklung von Immobilien in den letzten Jahren vorstellen. Eine Meinung muss sich jeder selbst bilden.
Alle hier herangezogenen statistischen Daten beziehen sich auf Gesamtdeutschland. Die regionalen Unterschiede sind groß, können aber hier nicht im Detail dargestellt werden. Egal welchen Index man betrachtet: Im Zeitraum 2010 bis 2020 lagen die Wertentwicklungen immer oberhalb der Inflationsrate, denn diese stieg im gleichen Zeitraum nur um 14 % (s. Infokasten unten). Leider können wir jetzt die Zahlen der Vergangenheit nicht mehr einfach in die Zukunft fortschreiben.
Wertentwicklung von Immobilien im Zeitraum 2010 bis 20207 | |
⬆️ | Die Baupreise und Immobilienpreise sind seit 2010 stark gestiegen. Der Baupreisindex für Wohngebäude hat sich im Zeitraum von 2010 bis 2020 um 29 % erhöht. |
⬆️ | Die Preise für Baulandgrundstücke erhöhten sich im Zeitraum von 2010 bis 2020 um 102 %. |
⬆️ | Bundesweit haben sich die Preise für Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Eigentumswohnungen zwischen 2010 und 2020 um rund 65 % verteuert. |
⬆️ | Der Preisindex für selbst genutztes Wohneigentum ist im Zeitraum von 2010 bis 2020 um 35 % gestiegen. |
Wertentwicklung nach Häuserpreisindex
Leider stehen zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses dieses Artikels aktuelle Daten nur für das erste Quartal 2022 zur Verfügung, sodass für die Entwicklung seit April 2022 keine Daten genannt werden können. Auch hier greifen wir auf Daten des Statistischen Bundesamts zurück.
Die Preise für Wohnimmobilien (Häuserpreisindex) in Deutschland sind zum Stichtag 31.03.2022 innerhalb eines Jahres um durchschnittlich 12,0 % gestiegen. Im ersten Quartal 2022 betrug der Zuwachs im Schnitt „nur“ 0,8 %. Damit deutet sich eine leichte Abschwächung der Dynamik an.
Psychologisch lässt sich dies mit einer Kaufzurückhaltung durch die unsichere wirtschaftliche Situation erklären. Unter demografischen Gesichtspunkten gibt es noch keinen Grund für eine zurückgehende Nachfrage. Sollte sich die wirtschaftliche Situation wieder entspannen, darf deshalb von einem weiteren Anstieg der Preise ausgegangen werden.
Entwicklung der Baupreise
Immer dann, wenn es um die Schaffung von Wohnraum geht, setzen sich die Kosten aus dem Preis für das Grundstück und den Baukosten für die Immobilie zusammen.
Aktuelle Entwicklung der Baupreise8
„Die Preise für den Neubau konventionell gefertigter Wohngebäude in Deutschland sind … im Mai 2022 um 17,6 % gegenüber Mai 2021 gestiegen. Dies ist der höchste Anstieg der Baupreise gegenüber einem Vorjahr seit Mai 1970.“
Hier wirken sich der Fachkräftemangel und die bestehenden Preissteigerungen bei den Baustoffen als Preistreiber aus. Eine Lösung der Problematik ist aktuell nicht in Sicht, sodass die Baupreise auf hohem Niveau bleiben werden.
Relation von Kaufpreis und Mietentwicklung
Eine Investition sollte immer auf Basis einer wirtschaftlichen Attraktivität erfolgen. Steigen die Kaufpreise bzw. die Baukosten, ist dies für den Erwerb bzw. Bau von Vermietungsobjekten immer dann kein Problem, wenn sich die Kaltmieten im gleichen Maß erhöhen lassen.
Hier ist in den letzten Jahren allerdings eine Schere aufgegangen. Die regionalen Unterschiede sind hier sehr groß und unterscheiden sich vor allem zwischen Stadt und Land. Für ganz Deutschland ermittelte Durchschnittswerte zeigen aber den Trend: Während in den letzten drei Jahren (Anfang 2019 bis Anfang 2022) die Kaufpreise für Häuser um 44 % und für Wohnungen um 48 % gestiegen sind, konnten im gleichen Zeitraum die Mieten für Häuser „nur“ um 21 % und bei Wohnungen um 15 % zulegen.9 Hier ist für den Investitionsfall eine sorgfältige Berechnung und Standortanalyse notwendig.
Fazit |
Auch unter den geänderten Bedingungen ist die Investition in Immobilien immer noch sinnvoll. Durch die hohe Inflation ist die klassische nominal verzinste Kapitalanlage keine Alternative. Die historisch niedrige negative Realverzinsung zwingt zur Flucht in Sachwerte. Hier gibt es neben der Immobilie natürlich noch andere Alternativen. Wenn man sich mit einer Immobilieninvestition beschäftigt, gilt noch mehr als früher: „Lage, Lage, Lage“ und zwar nicht nur im Hinblick auf die aktuelle Situation am Standort der Immobilie, sondern insbesondere auf die zukünftige Situation. Beschäftigen Sie sich mit dem Wohnraumbedarf und der Arbeitsmarktsituation für den heutigen Zeitpunkt und zum Zeitpunkt in 10 oder 20 Jahren. Beurteilen Sie, ob die Wohnungsgröße zum Wohnraumbedarf am Standort passt (Universitätsstadt etc.). |
* Zur besseren Lesbarkeit kann in Texten das generische Maskulinum verwendet werden. Nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter.
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1 www.destatis.de; Häuserpreisindex
2 www.destatis.de; harmonisierter Verbraucherpreisindex
3 www.destatis.de
4 u. a. www.spiegel.de vom 22.06.2022; „Die Deutschen träumen vom Einfamilienhaus – aber für ein Drittel ist der Traum unbezahlbar“
5 www.drklein.de
6 www.bundesbank.de
7 Alle Zahlen von www.destatis.de
8 www.destatis.de; Pressemitteilung vom 08.07.2022
9 Preisatlas www.Immobilienscout.de