9 Fragen und Antworten zu Cannabis

Im März 2017 trat das sogenannte „Cannabisgesetz“ (Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften) in Kraft. Seitdem können Ärzte aller Fachrichtungen (außer Zahn- und Tierärzte) ihren Patienten cannabishaltige Arzneimittel, Cannabis-Extrakte oder Medizinal-Cannabisblüten mittels Betäubungsmittel(BtM)-Rezept zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnen. Wir beantworten hier die wichtigsten Fragen zur Verordnung und Abrechnung von medizinischem Cannabis.

1. Was ist Cannabis?

Cannabis sativa gehört zur Familie der Hanfgewächse und ist eine der ältesten Nutzpflanzen der Welt. Die wichtigsten Inhaltsstoffe von Cannabis für medizinische Zwecke sind die Cannabinoide Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Dem psychoaktiven THC wird die berauschende Wirkung des Cannabis zugeordnet, während CBD nicht psychoaktiv wirkt.

In Deutschland steht Cannabis zur medizinischen Behandlung in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität sowie als Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon zur Verfügung.


2. Wofür wird Cannabis in der Medizin eingesetzt?

Da über Wirkung und Einsatzgebiete von Cannabis bisher noch relativ wenig bekannt ist, sind im Gesetz keine Indikationen aufgeführt. Um in den kommenden Jahren weitere Erkenntnisse zur Wirkung von Cannabis gewinnen zu können, sammelt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in einer nicht-interventionellen Begleiterhebung zu jeder Cannabis-Therapie anonymisierte Daten, u. a. über Diagnose, Therapie, Dosierung und Nebenwirkungen (siehe Frage 4).

Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke geht hervor, dass 8.872 (Stand: 06.03.2020) vollständige Datensätze in der Begleiterhebung vorliegen. Hauptsächlich wird Cannabis demnach bei Schmerz verordnet, gefolgt von Spastik, Anorexie, Übelkeit/Erbrechen, Depression und Migräne (siehe Tab. 1).1

Erkrankung/Symptomatik

Fälle (n=8.872)

Prozentualer Anteil

Schmerz

6.374

ca. 72 %

Spastik

940

ca. 11 %

Anorexie/Wasting

590

ca. 7 %

Übelkeit/Erbrechen

341

ca. 4 %

Depression

259

ca. 3 %

Migräne

181

ca. 2 %

Darmkrankheit, entzündlich, nichtinfektiös

113

ca. 1 %

ADHS

111

ca. 1 %

Appetitmangel/Inappetenz

111

ca. 1 %

Epilepsie

97

ca. 1 %

Ticstörung inkl. Tourette-Syndrom

79

< 1 %

Restless-Legs-Syndrom

78

< 1 %

Insomnie/Schlafstörung

74

< 1 %

Tab. 1. Quelle: Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM); alle vollständigen Datensätze, Mehrfachnennungen möglich, Stand: 06.03.2020


3. Unter welchen Voraussetzungen übernimmt die GKV die Kosten?

Die GKV übernimmt die Kosten für eine Therapie mit Cannabis, wenn sie einen vorab gestellten Antrag dazu genehmigt hat und die folgenden Punkte zutreffen2:

1. Eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung

  • steht nicht zur Verfügung bzw. ist unwirksam oder unverträglich
  • kann im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des Arztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Patienten nicht angewendet werden.

2. Es besteht eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome.

  • Gesetzliche Grundlage hierfür ist § 31 Absatz 6 SGB V. Konkrete Indikationen, die als „schwerwiegend“ gelten, benennt der Gesetzgeber nicht.

    Vor der erstmaligen Verordnung von Cannabis muss der Patient die Genehmigung seiner Krankenkasse einholen. Dazu muss der Arzt die zuvor genannten Punkte in einer formlosen Stellungnahme darlegen, inklusive aller bisherigen nicht wirksamen oder nicht vertragenen Therapien. Die GKV darf einen solchen Antrag laut Gesetz nur in begründeten Ausnahmefällen ablehnen, was umso unwahrscheinlicher ist, je detaillierter die Begründung ist.3

    Die GKV soll innerhalb von drei bis fünf Wochen über den Antrag entscheiden. Bei spezialisierter ambulanter Palliativversorgung oder der ambulanten Fortführung einer stationär begonnenen Therapie verkürzt sich die Frist auf drei Tage.

    Soll die GKV die Therapiekosten übernehmen, ist die Teilnahme an der Begleit­erhebung verpflichtend.


4. Wie funktioniert die Begleit­erhebung?

Arzt und Patient müssen zustimmen, die Cannabis-Therapie für die Begleiterhebung des BfArM ein Jahr nach Behandlungs­beginn oder bei Abbruch der Behandlung zu dokumentieren. Dazu werden folgende Daten in anonymisierter Form übermittelt und ausgewertet1:

  • Alter und Geschlecht des Versicherten
  • Diagnose gemäß dem Diagnoseschlüssel ICD-10
  • Dauer der Erkrankung oder Symptomatik
  • Angaben zu Vortherapien und ggf. Beendigungsgründe (z. B. mangelnder Therapieerfolg, unverhältnismäßige Nebenwirkungen, Kontra­indikationen)
  • Angaben, ob eine Erlaubnis zur ärztlich begleiteten Selbsttherapie mit Cannabis vorlag und ob von dieser Gebrauch gemacht wurde
  • genaue Bezeichnung der verordneten Cannabistherapie einschließlich ­Dosierung und Art der Anwendung
  • Dauer der Cannabistherapie
  • Angabe parallel verordneter Arzneimittel nach Wirkstoffen
  • Auswirkung der Cannabistherapie auf Krankheits- oder Symptom­verlauf
  • Angabe zu aufgetretenen Neben­wirkungen unter Cannabis
  • ggf. Gründe für Beendigung der Cannabistherapie
  • Angaben zur Entwicklung der Lebensqualität des Versicherten
  • Fachrichtung des verordnenden Vertragsarztes

► Gesetzliche Grundlage: § 1 Cannabis-­Begleiterhebungs-Verordnung

Unter www.begleiterhebung.de kann der Arzt nach vorheriger Anmeldung die erforderlichen Daten in einen Erhebungsbogen eintragen. Insgesamt läuft die Erhebung über fünf Jahre, also noch bis zum 31.03.2022. Auf Grundlage der Daten soll dann entschieden werden, ob die Cannabis-Therapie zukünftig eine Regelleistung der GKV werden soll.


5. Wie wird der Mehraufwand bei der Verordnung von Cannabis vergütet?

Drei Ziffern sehen extrabudgetäres Honorar für die Aufklärung zur Begleiterhebung, das Übermitteln der Daten und die ärztliche Stellungnahme für die Krankenkasse vor (siehe Tab. 2).

GOP

Bewertung

Leistung

01460

28 Punkte / 3,08 €

Aufklärung über Begleiterhebung / Aushändigung des Infoblattes

01461

92 Punkte / 10,11 €

Datenerfassung und Datenübermittlung im Rahmen der Begleiterhebung

01626

143 Punkte / 15,71 €

Ärztliche Stellungnahme für die Krankenkasse bei der Beantragung einer Genehmigung zur Verordnung von Cannabis

Tab. 2. Quelle: Kassenärztliche Bundesvereinigung


6. Welche Angaben sind auf dem BtM-Rezept erforderlich?

Nach § 9 der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV) sind auf einem Betäubungsmittel­rezept für getrocknete Cannabisblüten, Cannabisextrakte sowie cannabishaltige Arzneimittel u. a. folgende Angaben notwendig:

Wird in Einzelfällen von der maximal zulässigen Zahl der verordneten Betäubungsmittel oder der festgesetzten Höchstmenge abgewichen, ist die Verordnung mit dem Buchstaben „A“ zu kennzeichnen.

  • Name, Vorname und Anschrift des Patienten
  • Ausstellungsdatum
  • Arzneimittelbezeichnung; die Cannabis-Sorte muss explizit genannt werden, da sich die Sorten in ihrem Wirkstoff-Gehalt unterscheiden
  • Menge des verordneten Arzneimittels in Gramm oder Milliliter, Stückzahl der abgeteilten Form
  • Gebrauchsanweisung mit Einzel- und Tagesgabe (falls dem Patienten eine schriftliche Gebrauchsanweisung überreicht wurde, genügt ein Hinweis darauf), bei Verordnung im Rahmen der Substitution zusätzlich Reichdauer des Substitutionsmittels in Tagen
  • Name des verschreibenden Arztes, Berufsbezeichnung, Anschrift und Telefonnummer sowie Unterschrift

Hier geht es direkt zur Ausfüllhilfe der KBV.


7. Wie viel Cannabis dürfen Ärzte verordnen?

Nach § 2 der BtMVV gelten innerhalb von 30 Tagen folgende Verschreibungshöchstmengen:

  • 100.000 mg Cannabis in Form getrockneter Blüten
  • 1.000 mg Cannabisextrakt (bezogen auf den THC-Gehalt)
  • 500 mg Dronabinol

Cannabisblüten werden üblicherweise in Dosen à 5 oder 10 g abgegeben. Daher empfiehlt sich eine Verschreibung in diesen Schritten.


8. Wie wird Cannabis dosiert?

Die erforderlichen Dosierungen von Cannabis können von Patient zu Patient sehr stark schwanken. Daher gibt es bisher keine genauen Angaben für jede einzelne Indikation. Grundsätzlich empfiehlt es sich, Cannabis einschleichend zu dosieren. Bei höherem THC-Gehalt (> 10 %) sollte die Anfangsdosis 25 bis 50 mg, bei geringem THC-­Gehalt maximal 100 mg Cannabisblüten pro Tag betragen. Mit Blick auf Wirksamkeit und Verträglichkeit sollte die Dosis alle ein bis drei Tage um 2,5 – 5 mg THC gesteigert werden (entspricht je nach Sorte ca. 25 – 100 mg Cannabis-Blüten). Nach bisherigen Erfahrungen liegen die Tagesdosen THC-reicher Cannabissorten oft bei 0,2–3 g (Schwankungen von 0,05–10 g).4


9. Wie wird Cannabis eingenommen?

Cannabis kann inhaliert oder oral aufgenommen werden. Zum Inhalieren wird die Verwendung eines Verdampfers (Vaporisator) empfohlen, der die Cannabisblüten über 185 °C erhitzt, sodass die Cannabinoide frei werden. Es bildet sich ein inhalierbares Aerosol. Bei der Inhalation flutet die Plasmakonzentration sehr schnell an (Maximum nach 3–10 Minuten) und sinkt ebenso schnell wieder ab.

Cannabishaltige Fertigarzneimittel sowie das Rezepturarzneimittel Dronabinol werden in der Regel oral aufgenommen, entweder als Spray, als Kapsel oder im Fall von Dronabinol in Form von Tropfen. Die Aufnahme nach peroraler Applikation ist langsam und individuell sehr unterschiedlich. Maximale Plasmaspiegel treten nach 1–6 Stunden auf.

Die geeignete Einnahmeart hängt vom Wunsch des Patienten, der Indikation und ggf. Begleit­erkrankungen ab. In Einzelfällen kann auch eine kombinierte orale und inhalative Einnahme sinnvoll sein. Da Cannbinoide nicht wasserlöslich sind, sollte Cannabis nicht als Tee zubereitet und eingenommen werden.

kas

1 http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/182/1918292.pdf, aufgerufen am 07.07.2020
2 https://www.kbv.de/html/cannabis-verordnen.php, aufgerufen am 02.07.2020
3 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Cannabinoide in der Medizin – Überblick über die Studienlage zum therapeutischen Einsatz von Cannabinoiden. Stellungnahme 7 (2015).
4 Müller-Vahl K und Grotenhermen F. Dtsch Arztebl 2017;114(8):A352-356.

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