Wirksame Bestandteile des medizinischen Cannabis und die Bedeutung der Terpene

Cannabis sativa L. wird seit über 6000 Jahren als Heil- und Nutzpflanze kultiviert und enthält über 500 verschiedene chemische Verbindungen[1]. Hierbei sind Phytocannabinoide und Terpene nach aktuellem Kenntnisstand für den medizinischen Nutzen am relevantesten. Da ihre Konzentration in den Trichomen (Pflanzenhaare) der Blütenstände am höchsten ist[2,3], werden Blüten sowohl für die direkte Applikation als auch für die Extraktherstellung bevorzugt verwendet. Bemerkenswert ist, dass zahlreiche dieser Verbindungen bisher ausschließlich in der Cannabispflanze nachgewiesen wurden. Cannabis im phytopharmazeutischen Einsatz sollte daher als Vielstoffgemisch verstanden werden.

Derzeit kann Cannabis sowohl als Blüte als auch Extrakt unter anderem in der Behandlung neuropathischer Schmerzen, zur Antiemesis bei Chemotherpien, in der Begleittherapie der Spastiken bei Multipler Sklerose, aber auch spezifischen Indikation wie dem Dravet-Syndrom nachweislich wirkungsvoll eingesetzt werden4,5. Obwohl die Phytocannabinoide als Hauptwirkstoff von Cannabis gelten, deuten zahlreiche aktuelle Studien eine potenziell interaktive Wirkungsweise mit den ebenfalls Blut-Hirn-Schranke-gängigen Terpenen an.

Wirksame Bestandteile – Die Phyto-Cannabinoide

Das humane Endocannabinoid-System ist mit Stickstoffmonooxid der wichtigste und annähernd ubiquitär im zentralen Nervensystem vorkommende retrograde Neuromodulator: Es wirkt also vom postsynaptischen auf das präsynaptische Neuron. Hierdurch beeinflussen endogene und exogene Cannabinoide zahlreiche andere Neurotransmitter und modulieren komplexe Systeme wie Schmerzempfinden, die Immunantwort und den Muskeltonus6,7. Diese Komplexität teilt das Endocannabinoidsystem mit anderen erfolgreich pharmakologisch beinflussbaren Transmittersystemen, wie etwa dem serotonergen System, dessen Pharmaka wie die Antidepressiva SSRI auf zahlreiche komplex interagierende Rezeptoren einwirken8,9. Auch peripher finden sich zahlreiche Cannabinoidrezeptoren, unter anderem im Gastrointestinaltrakt aber auch Gefäßendothel, deren Aktivierung eine indirekte parasympathomimetische Wirkung zugesprochen wird.

Die zwei am besten untersuchten Phytocannabinoide sind Δ(9)-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Sie liegen in der unverarbeiteten Cannabisblüte hauptsächlich als Carboxylsäuren (THCA und CBDA) vor. In dieser Form sind sie pharmakologisch kaum aktiv, erst Erhitzen auf etwa 100°C über einen längeren Zeitraum oder kurzfristig über 180°C bewirkt die Umwandlung in ihre phenolische, aktive Form.

THC und CBD

THC – Δ(9)-Tetrahydrocannabinol oder Dronabinol ist das wichtigste psychoaktive Cannabinoid. Es wirkt als partieller Agonist an Cannabinoid-Rezeptor-1 (CB1) sowie CB210,11, und ist hauptverantwortlich für die medizinische Wirkung der Cannabispflanze, insbesondere ihre analgetischen Effekte.

CBD – Cannabidiol allein zeigt kaum Affinität für die Cannabinoidrezeptoren, kann jedoch modulierend auf die Wirkung von THC Einfluss nehmen. Außerhalb des Endocannabinoid-Systems aktiviert es Ionenkanäle nozizeptiver Nervenzellen10,12. Weiterhin scheint CBD Serotonin-Rezeptoren aktivieren zu können10, was einen Effekt auf Ängstlichkeit bei Schmerzempfinden nahelegen könnte.

Die wichtigsten Terpene und ihre potentiellen therapeutischen Eigenschaften

Terpene sind Hauptbestandteil der in Pflanzen produzierten ätherischen Öle. In der Cannabispflanze sind bis heute etwa 200 verschiedene Terpene identifiziert worden13. Unter anderem sind die Terpene Limonen, Myrcen, Pinen, alpha-Terpineol, Linalool, alpha- und beta-Caryophyllen, Caryophyllenoxid, Nerolidol und Phytol für das starke Cannabisaroma verantwortlich.  

Zu einigen dieser Terpene zeigen präklinische Daten einen therapeutischen Nutzen ergänzend zu THC und CBD in der Cannabispflanze auf. So aktiviert beta-Caryophyllen beispielsweise den CB2 des Endocannabinoid-Systems, was schmerzlindernd wirken könnte14. Zusätzlich wird ein entzündungshemmender Effekt dieses Terpens diskutiert14,15. Präklinische Studien zu Pinen und Myrcen zeigen ebenfalls einen entzündungshemmenden Effekt auf, während Daten zu Linalool diesem einen schmerzlindernden Effekt zuschreiben13. In vitro und präklinischen Daten zu Limonen geben Hinweise auf eine anxiolytische und antibakterielle Wirkung dieses Terpens13.

Obwohl die Datenlage zum Wirkeffekt von Terpenen noch unzureichend ist und keine klinischen Studien existieren, wird vermutet, dass eine synergistische Wechselwirkung zwischen Phytocannabinoiden und Terpenen existieren könnte, welche deren biologische Aktivität und medizinische Wirkung moduliert13. Dieser sogenannte Entourage-Effekt legt nahe, dass trotz identischem Cannabinoid-Gehalt, einzelne Cannabissorten eine andere Wirkung aufgrund des Zusammenspiels mit unterschiedlichen Terpenen haben könnten. Bei der Verschreibung und insbesondere dem Wechsel von Cannabispräparaten kann dies beachtet werden, wenn Terpenprofile von den Herstellern bereitgestellt werden.


Eine Therapie mit medizinischem Cannabis ist daher patientenabhängig und sollte individuell gestaltet werden. Gleichzeitig bietet das verfügbare Sortenspektrum von medizinischem Cannabis durch diese Variabilität ein hohes Maß an Flexibilität für behandelnde Ärzte und deren Patienten.


 

1 Saroya, A. S. The Phytocannabinoids. Contemporary Phytomedicines (2017). doi:10.1201/9781315367071-34.
2 Chandra, S., Lata, H., ElSohly, M. A., Walker, L. A. & Potter, D. Cannabis cultivation: Methodological issues for obtaining medical-grade product. Epilepsy Behav. 70, 302–312 (2017).
3 Bernstein, N., Gorelick, J. & Koch, S. Interplay between chemistry and morphology in medical cannabis (Cannabis sativa L.). Ind. Crops Prod. 129, 185–194 (2019).
4 Whiting, P. F. et al. Cannabinoids for medical use: A systematic review and meta-analysis. JAMA - J. Am. Med. Assoc. 313, 2456–2473 (2015).
5 Devinsky, O. et al. Randomized, dose-ranging safety trial of cannabidiol in Dravet syndrome. Neurology 90, e1204–e1211 (2018).
6 Turcotte, C., Blanchet, M. R., Laviolette, M. & Flamand, N. The CB2 receptor and its role as a regulator of inflammation. Cellular and Molecular Life Sciences vol. 73 4449–4470 (2016).
7 Woodhams, S. G., Chapman, V., Finn, D. P., Hohmann, A. G. & Neugebauer, V. The Cannabinoid System and Pain HHS Public Access. Neuropharmacology 124, 105–120 (2017).
8 Fischer, A. G., Jocham, G. & Ullsperger, M. Dual serotonergic signals: A key to understanding paradoxical effects? Trends Cogn. Sci. 19, 21–26 (2015).
9 Fischer, A. G. & Ullsperger, M. An update on the role of serotonin and its interplay with dopamine for reward. Front. Hum. Neurosci. 11, 1–10 (2017).
10 Hoch, E., Friemel, C. M. & Schneider, M. Cannabis: Potenzial und Risiko. Eine wissenschaftliche Bestandaufnahme. (Springer Berlin Heidelberg, 2019).
11 Brunt, T. M. & Bossong, M. G. The neuropharmacology of cannabinoid receptor ligands in central signaling pathways. Eur. J. Neurosci. ejn.14982 (2020) doi:10.1111/ejn.14982.
12 Caterina, M. J. et al. The capsaicin receptor: A heat-activated ion channel in the pain pathway. Nature 389, (1997).
13 Russo, E. B. Taming THC: Potential cannabis synergy and phytocannabinoid-terpenoid entourage effects. Br. J. Pharmacol. 163, 1344–1364 (2011).
14 Gertsch, J. et al. Beta-caryophyllene is a dietary cannabinoid. Proc. Natl. Acad. Sci. U. S. A. 105, 9099–9104 (2008).
15 Esraa, A., Maitham, K. & Willias, M. β-Caryophyllene, a CB2-Receptor-Selective Phytocannabinoid, Suppresses Mechanical Allodynia in a Mouse Model of Antiretroviral-Induced Neuropathic Pain. Molecules 25, 1–20 (2020).

Dr. Adrian Fischer, Arzt
Mitbegründer und Geschäftsführer bei DEMECAN, dem derzeit einzigen deutschen Unternehmen mit der Erlaubnis des Bundesministeriums für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für den Anbau und die Weiterverarbeitung von medizinischem Cannabis in Deutschland.

Stand: November 2020

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