Sprechende Medizin – Warum Genderaspekte wichtig sind

Ärztinnen wählen oft andere Fachrichtungen als Ärzte und verdienen dadurch in der Regel weniger als die männlichen Kollegen. Wir brauchen ein neues Honorarsystem!

Beginnen möchte ich mit der Grafik links unten. Sie verdeutlich die Verteilung von Ärztinnen und Ärzten in den am häufigsten gewählten Fächern. Zusätzlich wurden öffentliches Gesundheitswesen und Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie als Beispiele für die unterschiedlichen Präferenzen von Frauen und Männern in der Medizin hinzugefügt. Auf der rechten Grafikseite, in der die Ärzte überwiegen, finden sich auch die als technisch geltenden und chirurgischen Fächer – zu denen ich die Spezialisierungen in der Inneren Medizin rechne, die gerade in der Kardiologie, aber auch in der Gastroenterologie zunehmend technischer geworden sind.

Auf der Seite, auf der sich mehr Ärztinnen aufhalten, überwiegen die Fächer, die wir ohne zu zögern mit einem höheren und hohen Anteil der sprechenden Medizin verbinden. Frauenheilkunde, Kinder- und Jugendmedizin sowie psychosomatische Medizin sind ohne Sprache nicht vorstellbar.

Patientinnen und Patienten profitieren

Man könnte sagen: Ja, das ist so und in ihren Interessen unterscheiden sich offensichtlich Frauen und Männer mal wieder. Was macht das aus? Es macht etwas aus, weil Frauen in der medizinischen Versorgung mehr Zeit pro Patientin oder Patient investieren. Das ist schön für die erkrankten Menschen, denn laut Studienlage profitieren sie davon, von einer Frau behandelt zu werden – selbst bei chirurgischen Eingriffen. Ebenso werden chronisch kranke Menschen oft von Ärztinnen mit einem besseren Ergebnis behandelt als von Ärzten. Das hat meines Erachtens genau damit zu tun, dass sich Ärztinnen mehr Zeit nehmen für Patientinnen und Patienten, sie ganzheitlicher betrachten und wahrscheinlich deutlich mehr mit ihnen sprechen.

Einige Zahlen dazu lieferte das Praxis Pannel des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZiPP) von 2015. Daraus ist zu entnehmen, dass Ärztinnen weniger Zeit in der Praxis verbringen, aber auch, dass sie sich pro behandelter Person mehr Zeit nehmen und dass sie so pro Minute weniger verdienen als Ärzte, die eine größere Anzahl Menschen pro Tag versorgen. Das betrifft im Wesentlichen alle Fächer, in denen das Gespräch eine große Rolle spielt.

Nun sind wir mehr als sieben Jahre weiter. Leider hat keine folgende Untersuchung die Genderunterschiede wieder aufgeführt. Die Zahlen aus den letzten Jahren untermauern aber doch die Unterschiede.

Die Einkommen, angelehnt an den Jahresüberschuss, in den Fächern, die von Frauen häufiger gewählt werden, erreichen im Großen und Ganzen maximal den Durchschnitt der Einkommensverhältnisse. Besonders eklatant sind die Unterschiede zwischen der reinen sprechenden Medizin, also der Psychosomatik und Psychotherapie, mit durchschnittlich etwa 90.000 Euro und der Radiologie mit fast 350.000 Euro.

Veraltete Vorstellungen

Da ist die Frage berechtigt, warum die ärztliche Minute in einem rein sprechenden Fach so viel weniger wert zu sein scheint als die in einem technischen oder chirurgischen Fach? Natürlich hat es etwas mit der aktuellen Budgetierung zu tun und solange viele Fälle viel Einkommen verheißen, ist es verständlich. Dennoch muss hier diskutiert werden, ob die Bewertung der Technik, die offensichtlich noch aus dem Überschwang der Technikgläubigkeit der späten 1970er Jahre herrührt, nicht langsam überholt ist.

Vielleicht würden mehr Ärztinnen und Ärzte bei anderen Honorierungen in die Psychotherapie und Psychosomatik wechseln, mehr Ärzte sich auch mehr Zeit nehmen bei ihren Patientinnen und Patienten und damit sogar wieder zufriedener in ihrem Beruf sein. Den Patientinnen und Patienten würde es helfen. Den vielen, die auf eine Psychotherapieplatz warten besonders, aber auch allen anderen. Und es könnte sogar den Kolleginnen und Kollegen helfen, statt dem Beruf nachzugehen, wieder der Berufung zu folgen.

Dr. med. Christiane Groß, M.A. 
Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes e.V. (DÄB)

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