Ein „perfektes Match“ – Warum die Niederlassung für die junge Ärztegeneration attraktiv ist

Die Zahl an Medizinerinnen und Medizinern steigt stetig.[1] Während eine angestellte ärztliche Tätigkeit immer beliebter wird, schlägt sich dieser Trend nicht im niedergelassenen Bereich nieder. Was der jungen Ärztegeneration wichtig ist und warum ihre Bedürfnisse gut im ambulanten Sektor aufgehoben sind, erklärt Annabel Eichkorn, hausärztlich tätige Internistin in Wesel, im Interview.

Annabel Eichkorn
Fachärztin für Innere Medizin, seit 2019 niedergelassen in einer Gemeinschaftspraxis am Niederrhein

Frau Eichkorn, warum entscheiden sich Ihrer Meinung nach zu wenige Medizinerinnen und Mediziner für eine Tätigkeit in der ambulanten Versorgung? Welche Hindernisse bestehen derzeit für die junge Ärztegeneration?

Eichkorn:

Statistisch gesehen steigt die Zahl an Ärztinnen und Ärzten in der ambulanten Versorgung stetig an. In Nordrhein sind laut Arztregister (Stand 08/2022) seit 2012 gut 3.000 Köpfe hinzugekommen.1 Der Anteil an angestellten Ärztinnen und Ärzten ist in diesem Zeitraum um knapp 300 % gewachsen.1 Der Trend zeigt also einen Zuwachs. Gleichzeitig stagniert die zur Verfügung stehende Arztzeit. Wir gewinnen also mehr Leute, diese führen aber nicht zu mehr Versorgung. Diesen Umstand finde ich bemerkenswert. 

Interessenten für eine Praxisnachfolge, vor allem in Ballungszentren, sind vorhanden. Um in einem gesperrten Zulassungsbereich die Praxisnachfolge zu realisieren, kommt ein umständlich bürokratisches Verfahren zur Anwendung, welches auf Gesetzesgrundlagen aus den 50er Jahren basiert. Diese bilden die heutige Versorgungsrealität in keiner Weise mehr lebenswirklich ab und erschweren den Zugang in die ambulante Versorgung sowie einen reibungslosen Praxiseinstieg unnötig.

Die Budgetierung und das schwerfällige Regelwerk der Vergütung ambulanter Leistungen sehe ich als weitere Wachstumsbremse.

Dies sind nur einige Beispiele, wie durch eine Verbesserung von Rahmenbedingungen die ambulante Versorgung zukünftig gestärkt werden könnte. Der Fokus liegt in meinem Empfinden häufig darauf, primär einen Mangel zu beklagen, statt aktiv Veränderungen anzustreben, um vorhandene Ressourcen clever und besser zu nutzen.

Sie sprechen von einem „perfekten Match“ des ambulanten Sektors mit den Bedürfnissen der Ärztegenerationen Y und Z. Warum passt beides Ihrer Ansicht nach perfekt zusammen?

Eichkorn:

Die Generationen Y und Z stellen und sichern die Arbeitskraft im Gesundheitssektor der nächsten Jahre. Es ist daher unabdingbar, sich die Mühe zu machen, die Bedürfnisse dieser Jahrgänge (1980 – 1994 bzw. 1995 – 2009) zu verstehen und anzuerkennen. Aus dem Berufsmonitoring 2022 der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) geht hervor, dass Themen wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf, geregelte Arbeits- und Freizeiten an erster Stelle stehen.2 Teamwork und empathische Medizin sind weitere relevante Punkte. Ich bin davon überzeugt, dass es meiner Generation nicht um wenig, sondern um sinnvolle Arbeitszeit geht. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass der ambulante Sektor hervorragende Möglichkeiten bietet, diesen Bedürfnissen gerecht zu werden. 

Mit welchen Maßnahmen könnte man junge Ärztinnen und Ärzte von den Vorteilen der niedergelassenen Tätigkeit überzeugen?

Eichkorn:

Meiner Meinung nach bedarf es eines klaren Berufsprofils der niedergelassenen Fachärztin bzw. des Facharztes und der Hausärztin und des Hausarztes, welches bereits frühzeitig, also schon während des Studiums und in der Weiterbildung, durch niedrigschwellige Informations- und Zugangsmöglichkeiten an junge Medizinerinnen und Mediziner herangetragen wird. Leider ist die ambulante Versorgung oft das „Abstellgleis“ der Klinik und zweite Wahl für diejenigen, die der stationäre Sektor frustriert oder ausgebrannt hat.

Wie bei jedem Start-up braucht es Mut und Selbstvertrauen, den Weg in die Selbstständigkeit zu gehen. Wir Ärztinnen und Ärzte sind in der Regel keine Unternehmerinnen und Unternehmer. Das eigenständige Wirtschaften und Führen eines Betriebs kann daher abschreckend wirken, ist aber – wie alles – erlernbar. Die Betriebswirtschaftliche Auswertung (BWA) einer Arzt­praxis ist kein Hexenwerk. Beispielsweise bieten die Kassenärztlichen Vereinigungen für den Start bereits gute Hilfestellung. Strukturell geregelte Absicherungen, insbesondere in bestimmten Lebensphasen, wie Praxis­gründung, Schwangerschaft und Elternzeit oder Krankheit, könnten helfen, den nötigen Rückenwind zu geben. Die eigene Praxis bietet die Möglichkeit meine ärztliche Tätigkeit, mein Einkommen und meine Unternehmensführung in einem gewissen Rahmen frei zu gestalten. Das empfinde ich als sehr befriedigend.  


1 Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein
2 Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), Berufsmonitoring Medizinstudierende, 2022, www.kbv.de/html/berufsmonitoring-medizinstudierende.php

Vielen Dank für das Gespräch!

Interessiert an neuen Fortbildungen oder Abrechnungstipps?

Abonnieren Sie unseren Infoletter.
 

Zur Infoletter-Anmeldung

x
Newsletter-Anmeldung