Interview: Gute Mitarbeiter halten und für neue attraktiv sein

1. Was bedeutet der Nachhaltigkeitsbegriff im betrieblichen Personalmanagement?

Dr. Geursen:

Bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsidee im Personalmanagement im Unternehmen entsteht häufig ein Konflikt zwischen kurzfristiger Profitorientierung und langfristiger unternehmerischer Überlebensfähigkeit. Folglich besteht für die Personalverantwortlichen die Herausforderung darin, das Personal effizient einzusetzen, die Regeneration sowie die Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben zu ermöglichen und Personalressourcen auch zukünftig verfügbar zu halten. Ein Unternehmen ist – genau wie eine Arztpraxis – auf ihre Mitarbeiter* angewiesen. Hier ist auch die Rede vom „Humankapital“, das für den Erfolg verantwortlich ist. Damit es sich bei Nachhaltigkeitsaktivitäten nicht nur um leere Floskeln handelt, sollte die Nachhaltigkeitsidee im Personalmanagement in konkrete Handlungsschritte überführt werden, beginnend mit der Verankerung in der Unternehmensführung und im Management. Nur so können das Verständnis, der Sinn und Ort sowie die Art der Arbeit zusammen mit dem Mitarbeiter in den Fokus gesetzt werden.

2. Was sind die Kernpunkte einer nachhaltigen Personalführung im Unternehmen?

Dr. Geursen:

Ein stetig wachsender Veränderungsdruck in Unternehmen und der Gesellschaft hat auch auf personalrelevante Themen Einfluss. In diesem Zusammenhang zeigt meine Forschung die Wechselwirkung von nachhaltigem Personalmanagement und erfolgreichem Wirtschaften. Die Nachhaltigkeitsidee im Personalmanagement ist ein relativ neues Phänomen und über ein wertebasiertes Konzept hinaus zu verstehen: Ein nachhaltiges Personalmanagement zielt darauf ab, Humanressourcen im nachhaltigen Sinne der Ressourcenbalance aufzubauen und zu pflegen. Die Grundidee besteht darin, dass langfristiger Unternehmenserfolg generiert werden kann. Denn neben Innovationen sind Mitarbeiter die Grundlage für den Erfolg eines Unternehmens. Dafür müssen die Leitideen zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsidee bei den Führungskräften und in der Unternehmenskultur verankert sowie von jedem einzelnen Mitarbeiter gelebt werden. Dabei ist es zentral, professionelle Personalprozesse einzuführen, um die Mitarbeiter entsprechend ihrer individuellen Fähigkeiten zu fördern und zu fordern. Ein nachhaltiges Personalmanagement ist dann transparent und für alle Beteiligten nachvollziehbar, wenn Mitarbeiter in Austausch- und Partizipationsprozesse, beispielsweise durch 360°-Feedbackrunden, einbezogen werden. Ein nachhaltiges Personalmanagement zielt darauf ab, dass die unternehmerischen Interessen wirtschaftlichen Handelns mit den Bedürfnissen der Mitarbeiter in Einklang gebracht werden können.

3. Worauf kommt es dabei in wirtschaftlich unsicheren Zeiten an?

Dr. Geursen:

Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nimmt ein nachhaltiges Personal­management eine besondere Bedeutung ein. Ein spontaner Personal­abbau oder eine unreflektierte Kürzung von HR (Human Resources)-Programmen sollte in Krisenzeiten vermieden werden. Stattdessen kann ein Unternehmen seine Kräfte bündeln und sein Personalmanagement gezielt einsetzen, indem beispielsweise Mitarbeiter gehalten, individuell weiterentwickelt oder gewonnen werden. Dabei sollten sinnvolle Investitionen in das Talent- und Weiterbildungsmanagement getätigt sowie das Arbeitgeberimage optimiert werden. Außerdem können Vergütungssysteme hinterfragt, flexible Arbeitszeitmodelle ausgeschöpft, Weiterbildungsaktivitäten sinnvoll eingesetzt und wirtschaftliches Handeln an langfristigen Unternehmenszielen ausgerichtet werden.

4. Wie lässt sich diese Idee im ärztlichen Berufsalltag umsetzen? 

Dr. Geursen:

Die Etablierung eines nachhaltigen Personalmanagements ist an einen Wandel geknüpft. Die Arztpraxis als Unternehmen kann ihr Verantwortungs­bewusstsein bei diesem Veränderungsprozess erkennen und eine nachhaltige Personalentwicklung vorantreiben. Während in größeren Unternehmen den Personalabteilungen eine entscheidende Rolle zukommt, übernehmen das in der Praxis normalerweise die Praxis­inhaber selbst. Neben einem anspruchsvollen Arbeitstag mit viel Patientenkontakt sollte auch die Personalführung der Praxisangestellten nicht vernachlässigt werden. Letztendlich geht es bei nachhaltiger Personalführung darum, wie mit Mitarbeitern umgegangen wird: Denn nicht die Farben an den Wänden sind am Ende entscheidend, sondern ein wertschätzender Umgang mit den Mitarbeitern. Begeisterung und ein gutes Arbeitsklima entstehen dann, wenn Mitarbeiter gesehen werden und sie sich einbringen können. Im unternehmerischen Kontext haben sich folgende drei Punkte bewährt, die sich auch auf Arztpraxen und ihre Mitarbeiter übertragen lassen können:

• das Vertrauen in die Kompetenz der Mitarbeiter,
• die Ermutigung, selbst tätig zu werden, und 
• Freiräume für eigenständige Entscheidungen.

* Zur besseren Lesbarkeit kann in Texten das ­generische Maskulinum verwendet werden. ­Nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter.

Vielen Dank für das Gespräch!