Praxistipps für eine effektive Regress­prävention von Einzelfallprüfungen

Im Gegensatz zu den nur noch sehr selten bei Arzneimitteln zur Anwendung kommenden statistischen Auffälligkeitsprüfungen – wie der Prüfung nach Richtgrößen, Durchschnittswerten oder Wirkstoffen, nehmen Einzelfallprüfungen deutlich zu. Die Wahrscheinlichkeit, dass Arztpraxen mit dieser Prüfungsform in Berührung kommen, ist – regional unterschiedlich – relativ hoch. Diese Übersicht dient dazu die Ärzteschaft im Praxisalltag zu unterstützen, Einzelfallprüfungen richtig einzuordnen und im Praxisalltag zu vermeiden.

Die Wirtschaftlichkeit der verordneten Arzneimittel kann durch zwei verschiedene Verfahren geprüft werden (s. Abb. 1).

 

Statistische Auffälligkeitsprüfungen

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) vereinbart mit den regionalen Verbänden der Krankenkassen eine Methode bei der nach festgelegten statistischen Auffälligkeitskriterien die Verordnungen eines Kalenderjahres (Ausnahme Bayern: quartalsweise Prüfung) überprüft werden. Dabei werden alle Verordnungen der Praxis in Abhängigkeit von der gewählten Methodik mit dem Verordnungsverhalten des Fachgruppendurchschnitts verglichen. In den letzten Jahren hat die Zahl dieser Prüfungen in allen KV-Bereichen drastisch abgenommen. Exemplarisch sei die KV Nordrhein mit rund 13.000 Praxen genannt. Hier wurden 2017 nur noch drei Praxen geprüft, ein Regress wurde nicht verhängt. Trotzdem wirkt die Angst vor Prüfungen und Regressen auch hier noch mächtig nach.

Einzelfallprüfungen

Nach § 106 SGB V haben die Krankenkassen die Pflicht, die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung durch Beratungen und Prüfungen zu überwachen. Kommen die Kassen zu der Einschätzung, dass eine unwirtschaftliche Verordnungsweise vorliegt, so haben sie die Möglichkeit, eine Prüfung der Einzelverordnung(en) zu initiieren. Während bei den statistischen Auffälligkeitsprüfungen bei der Über- oder Unterschreitung der Prüfgrenzen die Prüfung als Automatismus ausgelöst wird, werden bei den Einzelfallprüfungen die Prüfgremien auf Antrag der jeweiligen Krankenkasse tätig. Geprüft werden also nur die konkrete(n) Verordnung(en) der oder des jeweiligen Versicherten. Eine Ausweitung der Prüfung auf andere Sachverhalte ist nicht zu befürchten.

Liegt der mögliche Schaden über der Bagatellgrenze (KV-abhängig, zwischen 30 bis 60 € pro Ärztin bzw. Arzt/Quartal), informiert die Prüfungsstelle die Praxis über die Einleitung des Prüfverfahrens, schildert den Sachverhalt und bittet um Stellungnahme. In dieser soll die Ärztin bzw. der Arzt die medizinischen Gründe für die Verordnung darlegen, aus der sich dann die Wirtschaftlichkeit der Verordnung ableitet. Werden von der Krankenkasse mehrere Verordnungen einer Patientin bzw. eines Patienten mit Kosten unterhalb der Bagatellgrenze beanstandet, können die Kosten der einzelnen Verordnungen addiert werden, sodass die Gesamtsumme des möglichen Schadens über der Bagatellgrenze liegt und somit eine Prüfung möglich wird.

Es empfiehlt sich, die Argumentation durch entsprechende Dokumentationen aus der Patientenakte zu belegen. Auf dieser Grundlage ergeht der Prüfbescheid – mit dem Ergebnis „keine Maßnahme“, „Beratung“ oder „Regress“. Wie bei jeder Wirtschaftlichkeitsprüfung gibt es über den Widerspruch hinaus den Instanzenweg über den Beschwerdeausschuss und dann das Sozialgericht. Wird kein Widerspruch erklärt bzw. Klage erhoben, wird ein Bescheid rechtskräftig und ein Regress kann vollzogen werden.

In der Regel handelt es sich aber um kleinere Beträge in der Größenordnung von 50 bis 150 €. Die Prüfungen sind also in erster Linie lästig. Wie der Regressbetrag berechnet wird, sehen Sie im untenstehenden Infokasten. 

Praxistipp zur korrekten Berechnung des Regressbetrags

Durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) ist seit 2019 geregelt, dass bei Regressen nicht mehr der volle Betrag der Kosten für die als unwirtschaftlich angesehene Verordnung zu erstatten ist, sondern der Differenzbetrag zwischen der tatsächlich verordneten und der als wirtschaftlich anzusehenden Verordnungsalternative. Ohne eine Stellungnahme der Praxis setzt die Prüfungsstelle allerdings in der Regel den vollen Betrag als Regress fest.

 

 

Effektive Prüf- und Regressprävention

Zur Vermeidung von Einzelfallprüfungen ist es empfehlenswert, sich mit den Anlässen, die eine Prüfung auslösen können, auseinanderzusetzen. Auch wenn die Regresssummen in aller Regel eher die Dimension eines (teuren) „Parktickets“ haben, sollte bedacht werden, dass bei Einzelfallprüfungen die gewohnten Regelungen wie „Beratung vor Regress“ oder „Begrenzungen der Regresssumme“ nicht greifen.

In der Praxis sind häufige Prüfgegenstände beispielsweise:  

Verstöße gegen die Arzneimittel-­Richtlinien des G-BA: Diese sind in allen KVen der häufigste Anlass für Einzelfallprüfungen. Hierzu zählen beispielhaft: 

  • Verordnungen von oralen Kontrazeptiva bei Patientinnen ab dem 22. Lebensjahr 
  • Verordnungen von Hypnotika über mehr als vier Wochen
  • Verordnungen von nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten, z. B. bei Bagatell­erkrankungen, nach dem zwölften Geburtstag
  • verschiedenste Fixkombinationen, z. B. aus Doxycyclin + Ambroxol, ASS + Dypridamol, Diclofenac retard + Misoprostol
  • Verordnungen, für die nicht verschreibungspflichtige Alternativen existieren, z. B. Desloratadin vs. Loratadin
  • Generell von der Verordnungsfähigkeit ausgeschlossene Medikamente, z. B. Glitazone
  • Lifestyle-Medikamente

Prüfungen können ebenfalls ausgelöst werden durch:

  • Verordnungen in nicht zugelassenen Indikationen – Off-Label-Use
  • Verordnung unwirtschaftlicher Mengen, z. B. bei Benzodiazepinen, Fentanyl-Pflastern, Prega­balin
  • Verordnung sogenannter fiktiv zugelassener Arzneimittel (Altarzneimittel ohne reguläre Zulassung), aktuell nur noch Tenuate® retard, Contractubex®, Alvalin® Tropfen
  • Verstoß gegen den regulären Bezugsweg bei Verordnungen von Sprechstundenbedarf

Off-Label-Use

Zahlenmäßig stellen Verstöße gegen Arzneimittel-Richtlinien den Löwenanteil aller Prüfanlässe dar. Prüfungen aufgrund eines Off-Label-Uses nehmen aber deutlich zu, da in der Zwischenzeit ein automatisierter Abgleich zwischen der Pharmazentralnummer (PZN) des Arzneimittels und den dokumentierten Behandlungsdiagnosen erfolgt. Es handelt sich dabei nicht um einen geplanten Einsatz des Arzneimittels außerhalb der zugelassenen Indikation, sondern um ein Versehen. Eine fehlende gesicherte (!) Behandlungsdiagnose wird kassenseitig als Off-Label-Use gewertet. Gerade bei den Verordnungseinschränkungen der Anlage III der Arzneimittel-Richt­linie sind die Verordnungs- bzw. Erstattungsfähigkeit in der Regel an dezidiert zu kodierende Situationen gebunden. Als Beispiel sei die Verordnung von lipidsenkenden Therapien genannt. Bitte achten Sie hier genau auf die verschlüsselten Diagnosen aus dem kardiovaskulären Bereich, um die Erstattungs­fähigkeit zu dokumentieren.

Falls die Krankenkasse hier einen Prüfantrag stellt, ist es in solchen Fällen sinnvoll, die Dokumentation aus der Patientenakte vorzulegen. Wenn hier Indikation und Morbidität differenziert beschrieben wurde, besteht trotz fehlender kodierter Behandlungsdiagnose eine gute Chance, die Prüfung ohne Maßnahme zu beenden. 

Entlassmedikation

Aktuell beziehen die Krankenkassen auch die Weiterverordnung einer Entlassmedikation nach stationärem Aufenthalt ins Prüfgeschehen ein. Bitte prüfen Sie Indikation, Dosierung und Dauer der Therapie bevor Sie eine Folgeverordnung für eine Entlassmedikation ausstellen. Krankenhausärztinnen und -ärzte sind sich der Steuerungsmechanismen der Wirtschaftlichkeit und der damit verbundenen Fallstricke im vertragsärztlichen Bereich häufig nicht bewusst. Die Verantwortung zur wirtschaftlichen Verordnung der Anschlussmedikation liegt bei der weiterverordnenden Ärztin bzw. dem Arzt, nicht beim Krankenhaus.

Weitere klassische Prüfanlässe sind beispielsweise:

  • Verordnung während stationären Aufenthalts
  • Verordnungen für eine verstorbene Patientin oder einen Patienten/bzw. nicht Leistungsberechtigte
  • Ausstellung von Blankorezepten
  • Verstoß gegen das Gebot persönlicher Leistungserbringung, z. B. bei einem persönlich ermächtigten Arzt wird das Rezept durch eine andere Ärztin unterschrieben

Der erste Punkt kann vorkommen, wenn eine Angehörige oder ein Angehöriger ein Rezept für die Folgeverordnung einer Dauertherapie abholt, dabei aber nicht erwähnt, dass die Patientin oder der Patient aktuell im Krankenhaus ist. In einem solchen Fall sollte unbedingt Widerspruch eingelegt und klargestellt werden, dass zu diesem Zeitpunkt weder durch die oder den Angehörigen noch durch das Krankenhaus eine entsprechende Information vorgelegen hat. Die Aussichten auf Abwendung des Regresses sind gut.
Bei der Betreuung von Pflegeheimen ist unbedingt sicherzustellen, dass beim Ausstellen einer Verordnung die Patientin bzw. der Patient auch persönlich in Augenschein genommen wird. Wenn die Verordnung ohne persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt ausgestellt wird und die Pflegekraft vergisst zu erwähnen oder nicht weiß, dass die Patientin oder der Patient im Krankenhaus oder gerade verstorben ist, löst das fast immer eine Prüfung aus.

Effektive Regressprävention auf einen Blick

Für die Praxis sollten Sie auf folgende Punkte zur effektiven Regressprävention achten:

  • Keine unterschriebenen Blankorezepte bei der Anmeldung!
  • Bei jeder Verordnung muss die gesicherte Behandlungsdiagnose mit der Indikation des verordneten Arzneimittels übereinstimmen. Gerade bei teuren Verordnungen sollte darauf noch einmal dezidiert geachtet werden.
  • Beachten Sie die Hinweise Ihres Praxis­verwaltungsprogramms bei Verordnungsausschlüssen. Weisen Sie Ihr Praxispersonal auf die relevanten Verordnungsausschlüsse hin, sodass Sie bei einem entsprechenden Rezept einen Hinweis bekommen.
  • Stellen Sie sicher, dass die Einstellungen der Verordnungssoftware Ihres Praxis­verwaltungssystems die Anzeige von Verordnungsausschlüssen ermöglicht.
  • Bei Verordnungen im Vertretungsfall – bitte genau die Indikation und die Verordnungsmenge prüfen.
  • Wenn Angehörige Rezepte für Patientinnen oder Patienten abholen – keine Verordnung ausstellen, solange der oder die Angehörige stationär behandelt wird.
  • Bei Verordnung von Sprechstunden­bedarf den Bezugsweg prüfen, das heißt, ob ggf. nicht doch eine Verordnung auf den Namen der Patientin bzw. des Patienten auszustellen ist.
  • Keine Verordnung unwirtschaftlicher Mengen, z. B. deutlich mehr als einen Quartalsbedarf.
  • Nutzen Sie die Informationen in den Arzneimittel-Frühinformationen/Trendmeldungen zu Verordnungen der KVen, bei denen die Kassen Prüfanträge stellen.
  • Keine Ausstellung von Gefälligkeits­verordnungen!
 

 

Fazit für die Praxis

Einzelfallprüfungen der ärztlichen Verordnungen haben deutlich zugenommen. Mit einigen organisatorischen Vorkehrungen und unter Nutzung vorhandener Informationen des Praxisverwaltungssystems bzw. der KVen können aber viele Prüfanlässe einfach und effektiv vermieden werden.

Dr. med. Georg Lübben
Vorstand AAC Praxisberatung AG
Am Treptower Park 75
12435 Berlin
030/22 44 523-0
www.aac-ag.de

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