Fehlstart: Zervixkarzinom-Früherkennung mit Defiziten – Ein Kommentar
Während die Corona-Pandemie Frauenärzte vor noch nie dagewesene Herausforderungen stellt, hat 2020 auch die Umsetzung des neuen Programms zur Früherkennung des Zervixkarzinoms begonnen. Beides schafft große organisatorische und finanzielle Probleme mit möglicherweise existenziellen Auswirkungen und setzt gynäkologische Praxen erheblich unter Druck. Dr. med. Edgar Leißling aus dem Vorstand der GenoGyn nimmt eine Einschätzung des neuen Programms vor und gibt Empfehlungen für die Umsetzung des Programms in die Praxis.

Das sogenannte „organisierte Programm zur Früherkennung von Zervixkarzinomen“ startete am 1. Januar 2020 auf der Grundlage der Richtlinie für organisierte Krebsfrüherkennungsprogramme (oKFE-RL) obwohl Ärzteverbände dringend eine Verschiebung angemahnt hatten. Organisatorische und strukturelle Defizite waren offenkundig und wenige Wochen vor Programmstart waren nicht einmal die Abrechnungsziffern bekannt, ungeachtet der Tatsache, dass viele Gynäkologen in ökonomischer Hinsicht von der Krebsfrüherkennung abhängig sind.
Methodenwechsel: Früherkennung nach oKFE-RL und KFE-RL
Das neue gesetzliche Krebsfrüherkennungsprogramm nach der oKFE-RL umfasst nun für alle Frauen ab 20 Jahren Einladung, Information, Aufklärung und Untersuchungen im Primärscreening sowie die Abklärung auffälliger Befunde altersabhängig nach festen Algorithmen. Es gibt keine Altersobergrenze.
Die Untersuchungen für Frauen ab 20 Jahre beinhalten:
- einmal jährlich eine zytologische Untersuchung mit klinischer Untersuchung
- Befundmitteilung und Beratung
- zusätzlich ab dem Alter von 30 Jahren Abtasten der Brustdrüsen und der regionären Lymphknoten einschließlich der Anleitung zur Selbstuntersuchung
Die Untersuchungen für Frauen ab 35 Jahren beinhalten:
- nunmehr alle drei Jahre einen Anspruch auf ein kombiniertes Screening aus zytologischer Untersuchung und HPV-Test sowie auf die genannten weiteren Untersuchungen
- Auch Frauen nach zervixerhaltender Partialhysterektomie können an der Früherkennung des Zervixkarzinoms teilnehmen.
Bestehen bleibt der Anspruch auf eine jährliche gynäkologische Krebsfrüherkennungsuntersuchung nach der Krebsfrüherkennungs-Richtlinie (KFE-RL) für Frauen ab 35 Jahren in den zwei Jahren zwischen der Ko-Testung und für Frauen nach totaler Hysterektomie, bei denen eine Früherkennung nach der oKFE-RL nicht berechnungsfähig ist, allerdings ohne zytologischen Abstrich.
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Abrechnung
Zur Abrechnung der Leistungen des Primärscreenings und der Abklärung auffälliger Befunde wurden neue Gebührenordnungspositionen (GOP) in den EBM (s. Tab. 1) aufgenommen. Alle Leistungen werden extrabudgetär und damit in voller Höhe bezahlt. Die Untersuchungen im Rahmen der KFE-RL werden mit der neuen GOP 01760 abgerechnet, die bisherige GOP 01730 entfällt.
Organisierte Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs im Überblick | |||||
Primärscreening | |||||
Alter | GOP | Leistungsinhalt | Punkte | Euro | Besonderheiten |
20 – 34 | 01761 | klinische Untersuchung einschließlich Abstrichentnahme | 179 | 19,67 | jährlich abrechenbar; |
01762 | zytologische Untersuchung | 81 | 8,90 | Genehmigungspflicht nach QS- | |
ab 35 | 01763 | HPV-Test einschließlich Genotypisierung bei positivem Ergebnis auf HPV-Typen 16 und 18 | 153 | 16,81 | zusätzlich alle drei Jahre Genehmigungspflicht nach QS-Vereinbarung Spezial-Labor Einhaltung der Anforderungen an den HPV-Test gemäß oKFE-RL |
01760 | klinische Untersuchung ohne (!) Abstrichentnahme | 159 | 17,47 | bei Z. n. Hysterektomie, zwischen den Untersuchungen nach oKFE-RL; neben 01764 berechenbar | |
Abklärungsdiagnostik nach Algorithmus | |||||
ab 20 | 01764 | Abstrichentnahme, Befundmitteilung und Beratung | 67 | 7,36 | in derselben Sitzung nicht neben GOP 01825; nicht neben 01761 am Behandlungstag |
01765 | Abklärungskolposkopie | 658 | 72,30 | Genehmigungspflicht nach QS-Vereinbarung Abklärungskolposkopie | |
01766 | Zytologische Untersuchung einschließlich weiterführender immunhistochemischer Färbeverfahren | 288 | 31,64 | Genehmigungspflicht nach QS-Vereinbarung Zervixzytologie nicht neben 01762 am Behandlungstag und nicht neben 01826 | |
01767 | HPV-Test einschließlich Genotypisierung bei positivem Ergebnis auf HPV-Typen 16 und 18 | 153 | 16,81 | Genehmigungspflicht nach QS-Vereinbarung Spezial-Labor Einhaltung der Anforderungen an den HPV-Test gemäß oKFE-RL | |
01768 | Histologische Untersuchung bei Abklärungskolposkopie | 248 | 27,25 | Genehmigungspflicht; |
Paradigmenwechsel: organbegrenzte Früherkennung
Defizite des neuen Screenings offenbarten sich vom Start weg:
Aussetzen der Dokumentation
Die elektronische Dokumentation ist nach wie vor ausgesetzt, womit sich die Überprüfung der Screeninginhalte einschließlich der Zeitabstände und Altersgrenzen innerhalb einer mindestens sechsjährigen Beurteilungsphase verzögert. Es wird also lange dauern, bis wir wissen, ob es bei einem 3-Jahres-Turnus mehr Intervallkarzinome geben wird.
WichtigDie Untersuchung der Mammae wird nicht erfasst, sollte aber unbedingt dokumentiert werden.
Muster 39
Nacharbeit erfordert auch das neue Muster 39 zur Dokumentation der Untersuchungen, das z. B. keine Felder für die Abklärungsdiagnostik auffälliger Befunde enthält. Weitere Anpassungen sind geplant, sollen aber erst im Laufe des Jahres 2021 in Kraft treten.
Das Muster 39 zeigt zudem einen organzentrierten Paradigmenwechsel zulasten der Frauen: Hysterektomierte Frauen erhalten keinen Zellabstrich mehr, die rektale Untersuchung wie auch die Blutdruckmessung entfallen kommentarlos, womit die Leistungen des Gynäkologen als ganzheitlichem Betreuer der Frau weiter beschnitten und große Präventionschancen vertan werden.
Eine weitere Korrektur gab es bei der GOP 01760 für eine klinische Krebsfrüherkennungsuntersuchung und der GOP 01764 für die Abklärungsdiagnostik: Sie dürfen nun am gleichen Behandlungstag
abgerechnet werden.
Keine organisierte Einladung
Dass Patientinnen nach wie vor von den Krankenkassen nicht eingeladen und aufgeklärt werden, macht den Fehlstart des neuen CxCa-Screenings komplett und sorgt für großen Beratungsaufwand in den Praxen. Die Versicherteninformationen des G-BA selbst dienen eher dazu, Patientinnen abzuschrecken: mit Statistiken, die sich nur Eingeweihten erschließen und Empfehlungen für junge Frauen, seltener zu Untersuchungen zu gehen, obwohl Patientinnen mit hormoneller Kontrazeption („Pille“) ein höheres CxCa-Risiko haben.
Frauen über 65 werden erst gar nicht mehr eingeladen, wenngleich das Erkrankungsrisiko in höheren Altersgruppen wieder steigt. Sie werden sogar aufgefordert mit ihrem Frauenarzt zu besprechen, ob sie nicht ganz auf den Ko-Test verzichten können.
Dass Frauen alle fünf Jahre zu einer Untersuchung eingeladen werden, die alle drei Jahre stattfinden soll und die Einladung mithin nur alle 15 Jahre zur richtigen Zeit kommt, verheißt ebenfalls nichts Gutes für die Teilnahmerate und damit für den Erfolg des Programms. Untersuchungen belegen, dass Zervixkarzinome in erster Linie bei Frauen auftreten, die keine oder nur sporadische Untersuchungen wahrgenommen haben.
Fazit für die Praxis
Coronabedingte Honorareinbußen sind schmerzhaft, der PVS Verband berichtete auf dem Höhepunkt der Krise bei privatärztlichen Leistungen von einem Rückgang um bis zu 70 % – aber sie sind zeitlich begrenzt. Mit geeigneten Praxisabläufen, Hygienekonzepten und telemedizinischen Angeboten können wir den Weg in die sogenannte neue Normalität beschleunigen. Es ist zu befürchten, dass gesetzliche Krebsfrüherkennungsuntersuchungen dauerhaft seltener wahrgenommen werden. Sie können angesichts der beschriebenen Defizite immer nur ein – wichtiger – Baustein sein, der in ein individuelles Betreuungskonzept eingebunden werden sollte. Denken Sie an die Betreuung Ihrer Patientinnen im Rahmen der „Sonstigen Hilfen“. Es gibt auch die Möglichkeit kurativer zytologischer Untersuchungen. Hysterektomierte Frauen sind häufig an einer ergänzenden zytologischen Untersuchung interessiert. Letztere wird auch durch die S3-Leitlinie „Prävention des Zervixkarzinoms“ gestützt, wonach HPV-positive Frauen nach totaler Hysterektomie weiter am organisierten Screening teilnehmen sollten.
Weitere privatärztliche Leistungen u. a. aus den Bereichen Früherkennung, Mutterschaftsvorsorge oder Prävention wie die GenoGyn sie in ihrem Kompendium GynPLUS 2020 zusammengestellt hat, zeigen Möglichkeiten für eine umfängliche Betreuung von Patientinnen unter Wahrung wirtschaftlicher Interessen auf.