Ärztinnen und die Niederlassung: So können wir den Schritt attraktiver gestalten

Es geht um den Erhalt der ärztlichen Freiberuflichkeit in der Selbständigkeit. Dazu braucht es mehr junge Ärztinnen, die das attraktiv finden: Zeit, die Werbung für eine Anstellung einzustellen – und die Vorzüge der Niederlassung zu betonen.

Ebenso wie in der gesamten Ärzteschaft sind, laut Ärztestatistik 2019, knapp unter 50 % der Selbständigen im niedergelassenen Bereich weibliche Ärzte. Zehn Jahre zuvor waren nur 36 % der Praxis­inhaber Frauen. Eine Zunahme, die erfreulich erscheint – wären da nicht die gravierenden Unterschiede in den Fachbereichen. In der Gynäkologie sind 67 % der Selbständigen Frauen, in der Chirurgie nur 13 %. Zudem gibt es immer mehr angestellte Ärztinnen und Ärzte: inzwischen fast 45.000. Von ihnen sind 63 % weiblich. Das ist bedenklich, wenn einem der Erhalt der ärztlichen Freiberuflichkeit in der Selbständigkeit am Herzen liegt.

Die Selbstständigkeit hat enorme Vorzüge: Gestaltungsspielraum, um das Umfeld an die persönlichen Wünsche anzupassen, eine eigene Zeitplanung und das Erlebnis, der eigene Herr oder hier die eigene Herrin zu sein.

Selbstständigkeit hat Vorzüge

Eine angestellte Tätigkeit mag für Ärztinnen mit kleinen Kindern berechenbarer erscheinen, als selbständig eine Praxis zu führen. Doch diese Zuschreibung beruht maßgeblich auf einer Werbekampagne, die seit 20 Jahren läuft und anfänglich kaum beachtet wurde. Junge Ärztinnen erfahren gezielt von den Vorteilen der Anstellung, die scheinbar ihre Idee von Work-Life-Balance unterstützen: geregelte Arbeitszeiten, Freistellung bei Erkrankung des Kindes, geregelter Urlaub und vor allem kein finanzielles Risiko. Das, zusammen mit den oft unbefriedigenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung, insbesondere in ländlichen Regionen, kommt an. Viel zu leise sind dagegen die Stimmen, die Begeisterung für die Selbständigkeit in eigener Praxis wecken. Dabei hat sie enorme Vorzüge: Gestaltungsspielraum, um das Umfeld an die persönlichen Wünsche anzupassen, eine eigene Zeitplanung und das Erlebnis, der eigene Herr oder hier die eigene Herrin zu sein. Bei aller berechtigten Kritiken wegen zu hoher Bürokratie, zu ungerechter Honorierung, zu schwieriger Praxisabgabe wird das leider kaum mehr beachtet.

Ich persönlich höre einfach zu wenig laute Werbung der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen für diese Form der Berufsausübung. Darüber hinaus müssen wir uns überlegen, wie wir die selbständige ärztliche Arbeit gerade für junge Menschen attraktiver gestalten können. Die Frage, warum wir Ärztinnen und Ärzte es zulassen, dass mehr und mehr private Anbieter, Aktiengesellschaften und sogar Hedgefonds mittels MVZs Gewinne aus unserem ursprünglich anderes konzipierten Gesundheitssystem abführen, ist dabei ein Teilaspekt. Insgesamt geht es um nicht weniger als den Erhalt der ärztlichen Freiberuflichkeit in der Selbständigkeit.

Möglichkeiten nutzen

In vielen Fächern ist heute eine Teilweiterbildung im ambulanten Bereich vorgeschrieben oder möglich. Dort lernen junge Ärztinnen über die Zufriedenheit von Menschen, die selbst eine Praxis führen. Dort könnte man sie dafür gewinnen, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen. Außerdem sollten wir davon weg, die selbständige Praxisführung nur als Risiko wahrzunehmen. Vielleicht müssen Praxisinhaberinnen und Praxisinhaber sich dazu auch in die finanziellen Karten schauen lassen, die jungen Ärztinnen mitnehmen und in Abrechnungsmodalitäten einführen.

KV-Vorgaben müssen überdacht werden. Kooperationen mit Gleichgesinnten, die gemeinsam einen Praxissitz übernehmen, sind schon erprobte Wege und Praxisgemeinschaften sollten wir als Modell auch nicht aus dem Auge verlieren. Aber wir benötigen die Möglichkeit von fließenden Übergängen, beispielsweise durch zeitlich gestaffelte Praxis-Teilübernahmen. Und wir benötigen längere und flexiblere Optionen für junge Eltern beim Einsatz von Entlastungsassistenz. Alles in Allem benötigen wir also ein multimodales Konzept, um die Attraktivität der Übernahme eines Praxissitzes zu steigern.

Dr. med. Christiane Groß M.A.

ist Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes e.V. (DÄB). 

Dr. med Christiane Groß ist seit mehr als 25 Jahren als ärztliche Psychotherapeutin in eigener Praxis niedergelassen, hat jedoch wegen der zunehmenden zeitlichen Belastung durch vielfältige Gremienarbeit in der Ärztekammer und dem DÄB die Praxistätigkeit stark reduziert und die vertragsärztliche Zulassung Ende 2017 abgegeben. Sie schätzt an der Selbständigkeit die freie Zeiteinteilung, die es ihr ermöglichte, seit mehr als 20 Jahren auch berufspolitisch aktiv zu sein.