Geistig fit im Alter – Die Bedeutung der B-Vitamine (Teil 2)

Ein nicht zu unterschätzender Risikofaktor für neurologische und psychiatrische Erkrankungen ist ein Mangel an lebenswichtigen Nährstoffen. Vor allem die Vitamine B1 und B12 sind für das reibungslose Funktionieren der Nerven und des Gehirns unverzichtbar, so dass Vitamin-B-Defizite schwerwiegende Folgen wie Nervenschäden, Depressionen oder Demenz nach sich ziehen können.

Laut aktueller Studienlage sind viele ältere Menschen von einer mangelhaften Versorgung mit Vitamin B12 (Cobalamin) betroffen. Bei den über 65-Jährigen wird die Häufigkeit eines Vitamin-B12-Mangels mit 10 bis 30 % angegeben1, bei Senioren in stationären Pflegeheimen in einer Studie sogar mit bis zu 40 %.2 Als Ursachen gelten Resorptionsstörungen, beispielsweise bedingt durch einen Mangel an dem Transport-Protein Intrinsic-Faktor (IF). Ein IF-Mangel kann durch eine chronische Gastritis, nach Magenteilresektionen oder bei einer Auto­immunerkrankung des Magens, der Typ-A-Gastritis, auftreten. Ein Vitamin-B12-Mangel bei Senioren wird auch häufig durch Arzneimittel ausgelöst.3 So können sich Magensäureblocker ungünstig auf den Vitamin-B12-Blutspiegel auswirken. Beispielsweise konnte eine Untersuchung nachweisen, dass sich das Risiko eines Vitamin-B12-Mangels durch eine langfristige Einnahme von Protonenpumpenhemmern um 65 % und von H2-Blockern um 25 % erhöht.4 Auch Diabetiker, die Metformin einnehmen, können in einen Vitamin-B12-Mangel geraten. Studien zeigten, dass der Vitamin-B12-Mangel von Diabetikern, die Metformin einnehmen, im Vergleich zu Diabetikern ohne Metformin-Einnahme dreifach erhöht ist.5 Aufnahme und Verfügbarkeit des Biofaktors Vitamin B12 können zudem durch die Medikamente Methotrexat, Phenobarbital, Colchicin, Colestyramin, Kontrazeptiva, Methyldopa und Antiepileptika verringert werden.


Symptome eines Vitamin-B12-Mangels

Den ersten Teil des Beitrags "Achtung! Biofaktoren-Mangel im Alter" finden Sie hier.

Vitamin B12 ist für Blutbildung, Funktionen des Nervensystems, intakte Schleimhäute des Magen-Darm-Traktes und die Regulierung zahlreicher weiterer B12-abhängiger Stoffwechselprozesse zuständig. Ein Mangel des Biofaktors zeigt sich anfangs mit unspezifischen Symptomen. Viele betroffene Personen sind müde, erschöpft und neigen zu einer geschwächten Immunabwehr. Ist das Nervensystem betroffen, können sie sich unsicher auf den Beinen fühlen und unter Missempfindungen in den unteren Extremitäten wie Brennen, Kribbeln und Taubheitsgefühlen leiden. Eine Vitamin-B12-Unterversorgung kann sich auch im psychischen Bereich mit Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit und Gedächtnisschwäche zeigen. Betroffene Menschen können zunehmend verwirrt wirken und unter Stimmungsschwankungen leiden.

Die bei einem Vitamin-B12-Mangel auftretenden Störungen der Blutbildung und die neurologischen Folgen können jedoch auch mit schwerwiegenden und zum Teil lebens­bedrohlichen Erkrankungen einhergehen. Während die Blutbildveränderungen charakteristisch sind und daher die Diagnose eines Vitamin-B12-Mangels bestätigen, sind die neurologischen Störungen wesentlich vielfältiger und werden nicht immer als Folgen eines B12-Mangels erkannt. Neurologische Störungen sind jedoch häufig die frühesten und zum Teil auch einzigen klinischen Symptome eines funktionellen Vitamin-B12-Mangels.


B12-Defizit beeinträchtigt Hirn- und Nervenfunktion

„Ein unerkannter Vitamin-­B12-Mangel kann ernsthafte neurologische und psychische Erkrankungen nach sich ziehen“, warnte der Neurologe Prof. Dr. med. Karlheinz Reiners, Hermann-Josef-Krankenhaus in Erkelenz, auf dem Symposium der Gesellschaft für Biofaktoren im November 2019 in Frankfurt. Bei einem Mangel des Biofaktors kommt es zu Leitungsstörungen der Nervenbahnen, besonders im Hinterstrangsystem des Rückenmarkes (funikuläre Myelose), aber auch in den peripheren sensiblen Nervenfasern, mit der Folge einer Neuropathie-Entwicklung. „Typische Beschwerden sind Störungen der Tiefensensibilität, Gang- und Standunsicherheit sowie ein Einschnür- oder Manschettengefühl an Unterschenkeln und Fußgelenken“, so Reiners.

Außerdem kann es durch die Schädigung zentraler Nervenbahnen zu zerebralen Störungen mit Verwirrung, Stupor, Apathie und Gedächtniseinbußen aber auch zu Psychosen, Depressionen und Demenz kommen.6 Bei älteren Menschen kann eine latente Vitamin-B12-Unterversorgung mit einer Abnahme der geistigen Leistungsfähigkeit verbunden sein. Ein Mangel des Biofaktors ist mit signifikant geringeren Gedächtnisleistungen verknüpft und zählt zu den häufgsten behandelbaren Ursachen einer Demenz.7 Bei etwa 30 % der Menschen, die unter Depressionen leiden, ­wurde ein erniedrigter Vitamin-B12-Blutspiegel nachgewiesen. Insbesondere bei Senioren mit einem Vitamin-B12-Mangel wird ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Depression beobachtet.8


Vitamin-B12-Mangel und Morbus Alzheimer?

Es mehren sich Daten, die einen Zusammenhang zwischen Vitamin-B12-Mangel und Alzheimer-Demenz zeigen. In einer Studie bei 230 älteren Patienten (115 mit Alzheimer-Demenz /115 Kontrollpersonen) wurden Assoziationen zwischen niedrigen Vitamin-B12-Blutspiegeln und erhöhtem Homocystein mit einem erhöhten Alzheimer-Risiko nachgewiesen.9


B12 – oral oder parenteral supplementieren?

Bei Patienten mit einer Vitamin-B12-Unterversorgung reicht eine Ernährungsumstellung in der Regel nicht aus, um den Mangel auszugleichen – insbesondere bei weiteren Risikofaktoren wie Resorptionsstörungen, atrophischer Gastritis oder Medikamenten­einnahme. Daher muss eine Substitutionstherapie im Auge behalten werden, um der Entwicklung neurologischer und psychia­trischer Erkrankungen vorzubeugen. Inzwischen belegen zunehmend mehr Studien, dass selbst bei Patienten mit Resorptionsstörungen durch eine hochdosierte orale Supplementierung der Vitamin-B12-Mangel ausgeglichen werden kann. Denn bei hoher oraler Dosierung kann das Vitamin auch unabhängig vom Intrinsic-Faktor durch passive Diffusion über die Darmschleimhaut aufgenommen werden. Bei Patienten mit schweren neurologischen Störungen oder mit perniziöser Anämie ist initial eine parenterale Substitutionstherapie notwendig, die oral fortgesetzt werden kann. Die orale Vitamin-B12-Therapie erwies sich als besser verträglich als die intramuskuläre.10 Weiterhin konnte belegt werden, dass eine orale Hochdosistherapie mit 1.000 Vitamin B12 pro Tag selbst bei Resorptionsstörungen wirksam ist.11


Auch ein Vitamin-B1-Mangel geht auf die Nerven

Auch ein Vitamin-B1-Mangel kann zu gravierenden Folgen für das Nervensystem, gerade bei Senioren, führen. Der ­essenzielle Biofaktor Vitamin B1 (Thiamin) gilt als „Nervenvitamin“. Der Grund: Die Energiegewinnung in den Nervenzellen erfolgt hauptsächlich durch einen Abbau von Glukose. Gehirn und Nervenzellen sind also auf Energie aus Kohlenhydraten angewiesen. Und für diese Energiegewinnung aus Kohlenhydraten benötigt der Körper Thiamin. Daher ist eine ausreichende Versorgung mit Thiamin für die gesunde Funktion der Nerven unerlässlich.

Ein Vitamin-B1-Mangel kann schon kurzfristig einen Einbruch der Leistungsfähigkeit in verschiedenen Teilbereichen des Nervensystems zur Folge haben: Im Gehirn zeigten sich bereits leichtere Defizite durch Konzentrationsschwäche, Vergesslichkeit, Orientierungsstörungen und zeitweiser Verwirrtheit. Die kognitiven Störungen in Folge eines Vitamin-B1-Mangels können sich bis zur Entwicklung einer Demenz ausweiten.12

„Das periphere Nervensystem reagiert auf einen Vitamin-B1-Mangel mit der Entwicklung einer Polyneuropathie, die sich durch Empfindungsstörungen v. a. in den Füßen, wie Kribbeln, Brennen und Taubheitsgefühl sowie neuropathische Schmerzen bemerkbar macht“, warnt Prof. Reiners.

Von besonderer Relevanz ist dies für Patienten mit Diabetes mellitus, die sowohl ein erhöhtes Risiko für einen Vitamin-B1-Mangel als auch für die Entwicklung einer Neuropathie haben.13


Biofaktoren-Mangel im Blick: Folgeschäden vermeiden

Bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen sollte berücksichtigt werden, dass ein Verlust von Nervenzellen nicht kompensiert werden kann. Ein Mangel, speziell bei Vitamin B12, tritt schleichend auf und der hierdurch eintretende Schaden ist nur in den Anfangsstadien reversibel. Dies mache eine Früherkennung von Symptomen und möglichen Mangelzuständen mit den Biofaktoren Vitamin B1 und B12 so wichtig, um irreversible Schäden zu vermeiden.

► Die Gesellschaft für Biofaktoren e. V. ist ein gemeinnütziger Verein, der das Ziel verfolgt, die wissenschaftlichen Grundlagen der Therapie und Prophylaxe mit Biofaktoren zu fördern. Info: www.gf-biofaktoren.de

1. Conzade R et al. Nutrients 2017;9:1276.
2. Andrès E et al. CMAJ 2004;171(3):251-59.
3. Gröber U, Schmidt J, Kisters K. Critical Reviews in food science and nutrition. doi.org/10.1080/10408398.2018.1522613
4. Lam JR et al. JAMA 2013;310(22):2435-42.
5. De Groot-Kamphuis DM et al. Neth J Med 2013;71(7):386-90.
6. Köbe T et al. Am J Clin Nutr 2016;103(4):1045-54.
7. Djukic M et al. Eur Arch Psychiatry Clin Neurosci 2015;265(5):429-38.
8. Tiemeier H et al. Am J Psychiatry 2002;159:2009-2101.
9. Chen H et al. Curr Alzheimer Res 2015;12(1):88-94.
10. Bolaman et al. Clin Ther 2003;25(12):3124-34.
11. Andrès et al. J Clin Med 2018;7(304): doi:10.3390/jcm7100304
12. Pan X et al. PLOS ONE 2017;1(6):1-13.
13. Reiners K, Haslbeck M. Diabetologe 2016;2:92-103.

Quelle: Gesellschaft für Biofaktoren e.V.