Frailty-Syndrom: Welche Ernährung hilft bei Altersgebrechlichkeit?

Die Altersgebrechlichkeit, das Frailty-Syndrom, ist durch einen Verlust von Kraft, Ausdauer, körperlichen Fähigkeiten und kognitiven Funktionen gekennzeichnet. Betroffene werden zunehmend immobil, ihr Sturzrisiko erhöht sich, ihre Lebenserwartung ist eingeschränkt, es drohen Pflegeheim, Behinderung und Mortalität.

In dem multifaktoriellen Therapieansatz des Frailty-Syndroms sollten nicht nur Beweglichkeit, Koordination, Muskel- und Körperkraft der Patientinnen und Patienten verbessert und ursächliche Alterskrankheiten behandelt werden. Auch die Aspekte Ernährung und Versorgung mit essenziellen Biofaktoren wie Vitaminen und Mineralstoffen sind zu berücksichtigen, wie die aktuelle Studienlage zeigt.

Die Prävalenz von Frailty bei älteren Menschen, die unterernährt sind, ist überproportional hoch. Mangelernährung und eine Unterversorgung mit essenziellen Biofaktoren – in geriatrischen Bevölkerungsgruppen beides weit verbreitet – gelten als wichtige Risikofaktoren für das Auftreten von Altersgebrechlichkeit. Unterernährte Patientinnen und Patienten sind laut Untersuchungen bis zu achtmal häufiger gebrechlich im Vergleich zu gut ernährten Patientinnen und Patienten.

Signifikante Unterschiede zwischen mangelernährten und gut ernährten Personen wurden vor allem im Hinblick auf die Aufnahme von Protein, den Vitaminen B12, D3, C und Fol­säure sowie Magnesium und Kalium gefunden., Auch andere Untersuchungen konnten zeigen, dass eine geringere Aufnahme von Biofaktoren mit einem höheren Risiko für Gebrechlichkeit verbunden ist., Ein guter Ernährungszustand und der Ausgleich von Mangelzuständen sind daher sicherzustellen, um einem erhöhten Risiko für die Entwicklung von Altersgebrechlichkeit vorzubeugen, so die Kernaussagen verschiedener Studien.

Biofaktorenmangel vermeiden

„Vitamin D3, Vitamin E und Carotinoide könnten bei der Entstehung der Altersgebrechlichkeit von Bedeutung sein“, betont das Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke. Menschen mit Frailty-Syndrom hätten zu wenig dieser Biofaktoren im Blut – so das Ergebnis der internationalen Forschungsinitiative FRAILOMIC an knapp 1.500 Probanden zwischen 65 und 104 Jahren zur Vorhersagbarkeit und Therapie des Frailty-Syndroms.,

Im Einzelnen konnten ein höherer Obst- und Gemüsekonsum und die Bevorzugung einer mediterranen Kost das Frailty-Risiko vermindern. Zudem war ein suboptimaler Status von Carotinoiden und den Vi­taminen A und E mit einer höheren Prävalenz und einem höheren Risiko für Gebrechlichkeit verbunden. Auffällig war auch die Korrelation zwischen Vitamin-D3-Defizit und Schwäche, reduzierter Muskel­masse sowie verminderter körperlicher Leistungsfähigkeit, was ebenfalls zu einer höheren Prävalenz und Inzidenz von Frailty führte.

Dass ein niedriger Vitamin-D3-Spiegel signifikant mit einem erhöhten Risiko für Altersgebrechlichkeit verbunden ist, konnte auch bereits in früheren Studien – teils in Meta-Analysen – dokumentiert werden. In diesem Zusammenhang gibt es Hinweise, dass der Biofaktor Vi­tamin D3 neben seinen endokrinen Wirkungen auf die Muskelfunktion auch direkt über den Vitamin-D-Rezeptor auf die Skelettmuskulatur einwirken, zu einer normalen Muskelstruktur und zu einem normalen Muskelstoffwechsel beitragen kann.

Nicht zuletzt ist bei Risikopatientinnen und -patienten auf den Vitamin-B12-Status zu achten. Laut Ergebnissen verschiedener Studien kann ein Vitamin-B12-Mangel mit Sarkopenie, kognitiven und muskuloskelettalen Störungen, neurologischen oder psychiatrischen Symptomen zusammenhängen, die eng mit der Altersgebrechlichkeit verbunden sind.

Interview

mit Prof. Hans Georg Classen, Vorsitzender der Gesellschaft für Biofaktoren e. V. (GfB).

Herr Prof. Classen, welche Symptome spielen bei Frailty im Einzelnen eine Rolle?

Classen: Eine reduzierte körperliche Aktivität, die Abnahme von Körper- und Muskelkraft, Immobilität und Instabilität, ein unfreiwilliger Gewichtsverlust und eine subjektiv empfundene Erschöpfung – sowohl körperlich als auch mental und psychisch. Im Rahmen der Frailty-Kriterien nach Fried, die sehr häufig in diesem Zusammenhang zitiert werden, sprechen wir bei Vorliegen von ein oder zwei der genannten Kriterien von Prefrailty, bei drei oder mehr von Frailty.

Neben den positiven Effekten der Ernährung spielt auch der Biofaktorenstatus eine Rolle. An welche Biofaktoren denken Sie ganz besonders?

Classen: Eines vorweg: Das Frailty-Syndrom sollte grundsätzlich multifaktoriell behandelt werden. Im Vordergrund stehen die Behandlung der Grunderkrankung und eine Verbesserung von Koordination, Muskel- und Körperkraft. Ein Ernährungsscreening der betroffenen Patienten halte ich aber ebenfalls für wichtig. Dabei geht es zum einen um Mangel- bzw. Fehlernährung, was gerade bei älteren Patienten weit verbreitet ist. Und zum anderen sollte bei den Patienten auf eine optimale Versorgung mit einzelnen Biofaktoren geachtet werden.

Unter den Biofaktoren, bei denen nicht nur ein Mangel häufig auftritt, sondern auch positive Effekte auf die Symptome gezeigt werden konnten, sind auf jeden Fall die Vitamine B12 und D3 zu nennen. Diese sind übrigens auch in einer Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin erwähnt.

Wie geht die Ärztin bzw. der Arzt bei einem Verdacht auf einen Mangel der beiden Biofaktoren vor?

Classen: Es empfiehlt sich eine gezielte Labordia­gnostik. Beim Vitamin D3 wird auf Empfehlung des RKI, der WHO und der DGE als Referenzwert der Calcidiol-Serumspiegel herangezogen. Die Versorgung mit dem Biofaktor gilt als gesichert, wenn Calcidiol über einem Wert von 50 nmol/l liegt. Allerdings sollte erwähnt werden, dass es einen europäischen Expertenkonsens aus dem letzten Jahr gibt, in dem ein etwas höherer Calcidiol-Grenzwert von 75 nmol/l empfohlen wird.

Vielleicht noch ein paar Worte zur Supplementierung zum Ausgleich eines Vitamin-D3-Mangels. Von sehr hohen Bolusgaben von mehreren 10.000 internationalen Einheiten rate ich ab und empfehle Tagesdosen im Bereich von 800 bis 1.000 IE Vitamin D3. Bei anhaltendem Mangel, Adipositas oder chronischen Resorptionsstörungen sind gelegentlich höhere Tagesdosen bis 4.000 IE nötig, um eine Calcidiol-Serumkonzentration oberhalb 50 bzw. 75 nmol/l zu erreichen.

Und um eine rasche Korrektur eines Mangels zu erreichen, können alternativ in den ersten vier bis zwölf Behandlungswochen auch Vitamin-D3-Dosen bis zu 6.000 IE eingesetzt werden. Allerdings sollte der Vitamin-D3-Status dann nach etwa sechs Wochen kontrolliert werden.

Und wie sieht es bei Vitamin B12 aus?

Classen: In der routinemäßigen Labordiagnostik wird kostengünstig meist der Gesamt-Vitamin-B12-Serumspiegel gemessen. Dieser gilt aber als später, wenig sensitiver und ungenauer Marker eines Vitamin-B12-Mangels – insbesondere bei Serumkonzentrationen zwischen 200 und 400 ng/l.  Als frühester und sensitiverer Parameter wird das Holotranscobalamin angesehen und auch die Spiegel von Methylmalonsäure und Homocystein werden zur erweiterten Diagnostik herangezogen. Hier finden Ihre Leser übrigens auf der Webseite der GfB zusätzliche Informationen.

Zum Ausgleich eines Vitamin-B12-Mangels ist eine orale Therapie im Vergleich zu Injektionsbehandlungen möglich und besser verträglich. Ist die orale Dosis hoch genug – hier werden Tagesdosen von 1.000 µg eingesetzt – kann Vitamin B12 unabhängig vom Intrinsic-Faktor durch passive Diffusion aufgenommen werden. Nur bei einer Vitamin-B12-Mangel-bedingten Perniziosa oder bei schweren neuropathischen Beschwerden sollte das Vitamin-B12-Defizit zu Beginn der Behandlung parenteral ausgeglichen werden.

Herzlichen Dank für das Interview, Herr Prof. Classen.

 

Fazit für die PraxisIn der Betreuung älterer Patienten mit einem erhöhten Frailty-Risiko sollte den Aspekten Ernährung und optimaler Versorgung mit einzelnen Biofaktoren gezielt Aufmerksamkeit geschenkt werden.


Literatur:

1 Artaza-Artabe I et al.: The relationship between nutrition and frailty: Effects of protein intake, nutritional supplementation, vitamin D and exercise on muscle metabolism in the elderly. A systematic review. Maturitas 2016 Nov; 93: 89-99
2 Moradell A et al.: Functional Frailty, Dietary Intake, and Risk of Malnutrition. Are Nutrients Involved in Muscle Synthesis the Key for Frailty Prevention? Nutrients 2021; 13(4): 1231
3 Soh Y et al.: Association between frailty and vitamin B12 in the older Korean population. Medicine (Baltimore) 2020 Oct 23; 99(43): e22327
4 Fletcher J: Low intake of vitamins B6, C, E and folate from dietary sources may lead to a higher risk of developing frailty in older adults. Evid Based Nurs 2019 Jul; 22(3): 88 
5 Balboa-Castillo T et al.: Low vitamin intake is associated with risk of frailty in older adults. Age Ageing 2018 Nov 1; 47(6): 872-879
6 www.bzfe.de/service/news/aktuelle-meldungen/news-archiv/meldungen-2019/oktober/obst-und-gemuese-gegen-altersgebrechlichkeit/
7 Kochlik B et al.: Associations of fat-soluble micronutrients and redox biomarkers with frailty status in the FRAILOMIC initiative. J Cachexia Sarcopenia Muscle 2019 Dec; 10(6): 1339-1346
8 Zhou J et al.: Association of vitamin D deficiency and frailty: A systematic review and meta-analysis. Maturitas 2016 Dec; 94: 70-76 
9 Molina P et al.: Vitamin D, a modulator of musculoskeletal health in chronic kidney disease. J Cachexia Sarcopenia Muscle 2017 Oct; 8(5): 686-701
10 Pyrgioti E et al.: B12 levels and frailty syndrome. J Frailty Sarcopenia Falls 2022 Mar 1; 7(1): 32-37

Dr. Daniela Birkelbach

Gesellschaft für Biofaktoren e. V.

daniela.birkelbach@gf-biofaktoren.de

www.gf-biofaktoren.de 

Die Gesellschaft für Biofaktoren e. V. ist ein gemeinnütziger Verein, der das Ziel verfolgt, die wissenschaftlichen Grundlagen der Therapie und Prophylaxe mit Biofaktoren zu fördern. Zusätzliche Informationen, auch zur Labordiagnostik und weiteren Einsatzgebieten von Biofaktoren finden Sie unter www.gf-biofaktoren.de.