Interview: Welche Rolle spielen Biofaktoren in der gynäkologischen Praxis?

Biofaktoren, zu denen Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente zählen, können in Prävention und Behandlung verschiedenster Erkrankungen eine Rolle spielen. Im Rahmen der Patientenbetreuung sollte daher nach Meinung von Prof. Klaus Kisters auch in der gynäkologischen Praxis auf den Status essentieller Biofaktoren geachtet werden. Prof. Dr. Klaus Kisters, Chefarzt am St. Anna Hospital, Herne, und stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für Biofaktoren (GfB), geht im Interview genauer auf die Bedeutung einzelner Biofaktoren ein.

Prof. Kisters, können Sie den Leserinnen und Lesern zu Beginn vielleicht einige allgemeine Informationen zum Thema Biofaktoren geben?

Prof. Kisters: Die Aufgaben von Biofaktoren wie Vitaminen und Mineralstoffen sind tatsächlich äußerst umfangreich. Sie steuern spezifische Vorgänge im Stoffwechsel, sind an Enzymreaktionen wie beispielsweise der DNA- und RNA-Polymerase, der Natrium-Kalium-ATPase oder der Methionin-Synthase beteiligt oder üben wichtige Funktionen in komplexen körpereigenen Systemen aus. Denken wir hier zum Beispiel an den Knochenaufbau, an die Erythropoese oder an verschiedenste Nervenfunktionen. Biofaktoren wie Zink, Selen oder die Vitamine A, C und E zeichnen sich auch durch antioxidative Eigenschaften aus.

Die meisten Biofaktoren können vom Körper nicht selbst oder zumindest nicht in ausreichender Menge produziert werden, weshalb sie von außen zugeführt werden müssen. Zu diesen essenziellen Biofaktoren zählen Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, eine Reihe von Aminosäuren und Fettsäuren.

Kommen wir auf den Nutzen von Biofaktoren in der Frauenheilkunde zu sprechen. Bei welchen Patientinnen sollten Gynäkologinnen und Gynäkologen an welche Biofaktoren denken?

Prof. Kisters: Meines Erachtens sind die Einsatzgebiete von Vitaminen und Mineralstoffen auch im Bereich der Gynäkologie sehr umfangreich. Zunächst gilt es, in Schwangerschaft und Stillzeit auf die optimale Versorgung mit zahlreichen Biofaktoren zu achten. Frauen im Klimakterium profitieren ebenfalls von ganz bestimmten Biofaktoren. Und auch bei Kinderwunsch bzw. bei Fertilitätsstörungen ist ein Mangel einiger Vitamine und Mineralstoffe dringend zu vermeiden.

Können Sie zunächst etwas näher auf die notwendigen Biofaktoren für schwangere und stillende Frauen eingehen?

Prof. Kisters: Gerne. Dass bei den Frauen auf eine ausreichende Folsäure- und Eisenversorgung zu achten ist, ist sicherlich hinreichend bekannt. Folsäure kann das Risiko für die Entwicklung kindlicher Fehlbildungen, insbesondere von Neuralrohrdefekten, deutlich reduzieren. Ein Folsäuremangel wird aber auch als eine der möglichen Ursachen für die Entwicklung angeborener Herzfehler, ein erhöhtes Risiko für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten sowie ein erhöhtes Risiko für Frühgeburten und andere Schwangerschaftskomplikationen wie häufige oder rezidivierende Aborte diskutiert.

Ein Eisenmangel kann zu Frühgeburten und Aborten führen und die Sterblichkeit bei Mutter und Kind sowie geistige und körperliche Entwicklungsstörungen und neurologisch-kognitive Defizite der Kinder verursachen. Aber trotzdem Vorsicht. Von einer pauschalen Eisensupplementation ohne Nachweis eines Mangels wird aufgrund des erhöhten Risikos für Herz- und Krebserkrankungen zwingend abgeraten. Nicht zuletzt warnt auch das Bundesinstitut für Risikobewertung, dass positive Wirkungen einer über den Bedarf hinausreichenden Eisensupplementierung nicht zu erwarten sind.

Neben Folsäure und Eisen ist beispielsweise auf den Vitamin-D3-Status zu achten, und zwar nicht nur in der Rachitis-Prophylaxe. Ein Vitamin-D3-Mangel kann auch mit Frühgeburten in Zusammenhang stehen. Außerdem ist eine niedrige mütterliche Vitamin-D3-Versorgung zum Zeitpunkt der Geburt mit einem erhöhten Risiko verbunden, dass die Kinder im weiteren Lebensverlauf einen Typ-1-Diabetes entwickeln.

Auch ein Defizit an Magnesium und Zink kann zu Fehl- und Frühgeburten führen. An Magnesium sollte zusätzlich bei schwangerschaftsbedingten Muskelkrämpfen, Gestosen und Präeklampsie gedacht werden. Außerdem gilt ein niedriger postpartaler Magnesiumstatus bei Schwangeren mit Gestationsdiabetes als Risikofaktor für die Entwicklung eines manifesten Typ-2-Diabetes in der Folgezeit.

Im Zinkmangel kann es zu einer Immunschwäche und körperlichen und geistigen Entwicklungsstörungen des Kindes, aber auch zu einer für viele Frauen unangenehmen Schwangerschaftsakne kommen.

Und von welchen Biofaktoren im Einzelnen profitieren Frauen in den Wechseljahren?

Prof. Kisters: Da wäre zunächst das erhöhte Osteoporose-Risiko zu erwähnen. Hier spielen die Biofaktoren Calcium, Magnesium und Vitamin D3 eine Rolle, die sich gegenseitig beeinflussen und hinsichtlich der Knochengesundheit unterstützen. Pauschal allen Frauen Calcium-Supplemente zu verabreichen, ist allerdings aufgrund der Risiken einer Hypercalcämie nicht mehr Stand der Wissenschaft. Postmenopausale Frauen sollten 1.000 mg Calcium täglich aufnehmen, allerdings möglichst über calciumreiche Lebensmittel. So lautet die Empfehlung des Dachverbandes Osteologie, der übrigens auch den Nutzen von Vitamin D3 in Prävention und Therapie der Osteoporose betont. Der Biofaktor wirkt positiv auf Gehgeschwindigkeit, Körperkraft und Muskelfunktion und mindert Sturzrisiko und Frakturrate. Allerdings sollte an den Synergismus mit Magnesium erinnert werden. Magnesium ist Cofaktor für die Umwandlung zur aktiven Vitamin-D3-Form, und Vitamin D3 fördert die intestinale Magnesiumresorption. Gemeinsam können die beiden Biofaktoren die Aktivität der Osteoklasten hemmen und die der Osteoblasten erhöhen und so Frakturen entgegenwirken.

Vitamin D3 zeichnet sich übrigens auch durch positive Wirkungen auf die psychische und mentale Gesundheit aus, was den Einsatz bei Depressionen im Klimakterium rechtfertigt. In diesem Bereich empfiehlt sich auch eine gute Vitamin-B12-Versorgung, da ein Mangel zu Schlafstörungen, Erschöpfung und Stimmungstiefs bis hin zu Depressionen führen kann.

Anfangs sprachen Sie noch das Thema Infertilität an. Hier spielen Biofaktoren ebenfalls eine Rolle?

Prof. Kisters: Richtig. Nehmen wir zunächst das Zink. Ein positiver Nutzen des Biofaktors auf die Fruchtbarkeit von Frau und Mann konnte durch wissenschaftliche Untersuchungen gut dokumentiert werden. Ein Zinkmangel kann die Eizellenreifung stören und die Eizellenqualität verschlechtern. Zink ist an der Synthese der Sexualhormone beteiligt und kommt in Spermatozoen und in der Samenflüssigkeit vor, wo seine Konzentration höher ist als in allen anderen Körperflüssigkeiten.

Auch ein Magnesiummangel kann zu Fertilitätsstörungen führen. Bereits vor mehr als 40 Jahren zeigte sich, dass sowohl weibliche Empfängnisstörungen als auch die Zeugungsunfähigkeit bei Männern mit einem Magnesiumdefizit korrelieren können.

Und denken wir an das polyzystische Ovarsyndrom als eine häufige Ursache für Unfruchtbarkeit. Das Risiko für die Entwicklung eines polyzystischen Ovarsyndroms kann durch ein Magnesiumdefizit erhöht werden, aber auch durch einen Vitamin-D3-Mangel. Hinsichtlich des Einflusses von Vitamin D3 auf die Fertilität sind zudem noch andere Effekte bekannt. In reproduktiven Geweben wie Eierstöcken, Uterus und Plazenta konnten Vitamin-D-Rezeptoren nachgewiesen werden. Der Biofaktor spielt eine Rolle im Hormonstoffwechsel und steht ebenfalls in Zusammenhang mit der Samenqualität.

Was können Sie zum Abschluss als Empfehlung mitgeben?

Prof. Kisters: Die hier genannten Zusammenhänge zwischen einem Mangel ausgewählter Biofaktoren und verschiedenen Komplikationen und Erkrankungen im gynäkologischen Bereich sollten meiner Ansicht nach verstärkt Beachtung finden. Weitere Informationen, vor allem zur Labordiagnostik eines Biofaktorenmangels finden Ärztinnen und Ärzte deshalb gut aufbereitet auf der Webseite der GfB. Statt einer Selbstmedikation durch betroffene Frauen bzw. dem pauschalen Einsatz von Nahrungsergänzungsmitteln empfiehlt sich eine gezielte Supplementierung ausgewählter Biofaktoren mit dafür zugelassenen Arzneimitteln. Der Einsatz von Biofaktoren sollte sich dabei grundsätzlich auf eine sorgfältige Diagnostik stützen und der individuellen Symptomatik der Patientin sowie der aktuellen Studienlage entsprechen.

Herzlichen Dank für das Interview,
Herr Prof. Kisters!

Dr. rer. nat. Daniela Birkelbach
Gesellschaft für  Bio­faktoren e. V. 
daniela.birkelbach@
gf-biofaktoren.de
www.gf-biofaktoren.de

Die Gesellschaft für Biofaktoren e. V. ist ein gemeinnütziger Verein, der das Ziel verfolgt, die wissenschaftlichen Grundlagen der Therapie und Prophylaxe mit Biofaktoren zu fördern. Weitere Informationen finden Sie unter www.gf-biofaktoren.de