Welchen Nutzen haben Biofaktoren in der komplementären Onkologie?

Nach ihrer Krebsdiagnose stellen sich die Betroffenen oft die Frage, wie sie die konventionelle onkologische Behandlung ergänzen können – z. B. durch eine Ernährungsumstellung oder die Einnahme essenzieller Biofaktoren wie Vitamine und Mineralstoffe. Solche unterstützenden Maßnahmen sind grundsätzlich zu begrüßen, da der Therapieerfolg auch vom Ernährungs- und Biofaktorenzustand der Erkrankten abhängt. Der folgende Beitrag befasst sich daher mit der Rolle von Biofaktoren in der komplementären Onkologie und gibt Praxisempfehlungen, die der wissenschaftlichen Datenlage standhalten.

Rund 20 bis 30 % der Tumorpatientinnen und -patienten sterben nicht an der Grunderkrankung, sondern an den Folgen der damit verbundenen Mangelernährung bzw. Mangelversorgung mit lebenswichtigen Nährstoffen.1 Dies beeinträchtigt wichtige Organ- und Stoffwechselfunktionen und kann die Komplikationsrate aufgrund von Entzündungen, Sekundärinfektionen oder Sepsis erhöhen. Die Malnutrition betrifft dabei nicht nur die energieliefernden Kohlenhydrate, Proteine und Fette. Auch ein Mangel an vor allem biokatalytisch und immunmodulierend wirkenden Biofaktoren ist zu beachten.

Risiko eines Nährstoffmangels erhöht

Die D-A-CH-Fachgesellschaften für Ernährung geben für alle Biofaktoren Referenz- bzw. Schätzwerte abhängig von Geschlecht, Alter und speziellen Lebenssituationen wie Schwangerschaft oder Stillzeit an.2 Diese Empfehlungen gelten für Gesunde, um „Wachstum, Entwicklung und Leistungsfähigkeit sowie die Gesundheit des Menschen ein Leben lang zu fördern bzw. zu erhalten“. Die Ernährungssituation bei Tumorpatientinnen und -patienten ist jedoch eine andere. Der Tumor verändert den Stoffwechsel, die Betroffenen verlieren Gewicht und Energie, es kommt zur Tumorkachexie. Und weil Krebskranke häufig unter Inappetenz leiden, erhöht sich die Gefahr eines allgemeinen Nährstoffmangels und eines Mangels an essenziellen Biofaktoren. Da sich Biofaktoren durch zahlreiche pharmakologische Effekte auszeichnen, kann ein solcher Mangel zusätzliche Beschwerden für die ohnehin meist geschwächten Patientinnen und Patienten nach sich ziehen. Neben einem allgemeinen Ernährungs-Management3 ist daher eine genaue Kenntnis der klinischen Mangelsymptomatik der wichtigsten Biofaktoren und eine sorgfältige Labordiagnostik wichtig, um einen eventuellen Mangel nachweisen und bei Bedarf ausgleichen zu können.4

Biofaktoren gezielt einsetzen5,6

Im Rahmen einer Krebserkrankung kann die optimale Versorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen helfen, das Immunsystem zu stärken bzw. immunmodulierend zu wirken, Entzündungen zu hemmen, die Regeneration zu fördern und nicht zuletzt die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Ein Mangel an Biofaktoren sollte daher vermieden werden – allerdings nicht mithilfe von Nahrungsergänzungsmitteln, sondern durch eine an das Krankheits­geschehen und die individuellen Bedürfnisse des Erkrankten angepasste Supplementierung einzelner, wissenschaftlich geprüfter Biofaktoren, die als zugelassene Arzneimittel die onkologische Basistherapie ergänzen und unterstützen.

„Obwohl die Versorgung mit Biofaktoren bei Tumorpatientinnen und -patienten häufig unzureichend ist, sollten Betroffene vor einer pauschalen Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln nach dem Gießkannenprinzip gewarnt werden“, betont auch Prof. Hans Georg Classen, Arzt für Pharmakologie und Toxikologie und Vorsitzender der Gesellschaft für Biofaktoren e. V. (GfB).

Wenn Arzneimittel Biofaktoren rauben7,8

Ohne Nachweis eines Mangels bzw. ohne pharmakologischen Nutzen birgt die unspezifische Supplementierung von Vitaminen & Co. ein weiteres Risiko. Nicht zu unterschätzen sind potenzielle Wechselwirkungen mit für Krebspatientinnen und -patienten notwendigen Arzneistoffen. Eine sorgfältige Diagnostik ist daher wichtig.

Umgekehrt ist es genauso wichtig, die Auswirkungen der Zytostatika auf den Biofaktorenhaushalt zu berücksichtigen. Und auch andere Arzneimittel, die Betroffene aufgrund von Begleit- oder Sekundärerkrankungen einnehmen müssen, können einen Mangel lebenswichtiger Vitamine und Mineralstoffe fördern (s. Tab. 1).9

 

Arzneimittelgruppe

Wirkstoff

Mineralstoffe

Vitamine

Antibiotika

Amikacin

Gentamicin

Tobramycin

Magnesium

Calcium

Kalium

 

Neomycin

Magnesium

Calcium

Kalium

Vitamin B12

Vitamin A

Vitamin K

Chloramphenicol

 

Vitamin B12

Vitamin C

Doxycyclin

Tetrazyklin

Magnesium

Calcium

Kalium

Eisen

Zink

Vitamin C

Diuretika

Thiazide

Magnesium

Kalium

Zink

Vitamin B1

Vitamin B6

Vitamin B12

Folsäure

Schleifendiuretika

Magnesium

Kalium

Calcium

Zink

Chlorid

Vitamin B1

Vitamin B6

Vitamin B12

Folsäure

Kaliumsparende Diuretika

Zink

Vitamin B1

Vitamin B6

Vitamin B12

Folsäure

Lipidsenker

Colestyramin

Magnesium

Calcium

Vitamin A

Vitamin D

Vitamin E

Vitamin K

Vitamin B12

Folsäure

Vitamin C

Magen-Darm-
Therapeutika

Protonenpumpenhemmer wie Omeprazol, Pantoprazol

Magnesium

Calcium

Eisen

Zink

Vitamin B12

Folsäure

Vitamin D

Vitamin C

Cimetidin

Zink

Eisen

Calcium

Folsäure

Vitamin B12

Vitamin D

Famotidin

Zink

Eisen

Calcium

Folsäure

Vitamin B12

Sulfasalazin

 

Folsäure

Laxanzien

Magnesium

Kalium

Natrium

Calcium

Zink

Folsäure

Antimetabolite Methotrexat, Pemetrexat

Magnesium

Zink

Folsäure

Vitamin D

Zytostatika

Capecitabin

 

Vitamin B6

5-Fluorouracil

 

Vitamin B1

Niacin

Vitamin D

Rituximab

Magnesium

Kalium

 

Platinanaloga

Magnesium

Kalium

Zink

 

Interleukin-2

 

Vitamin C

Tab. 1: Häufig verordnete Arzneimittel (Auszug), die das Risiko für einen Biofaktorenmangel erhöhen können.10


Biofaktoren und Krebs – wie ist die Studienlage?

Einzelne Biofaktoren zeichnen sich durch klinisch nachgewiesene Wirkungen auf das Tumorgeschehen aus.

Vitamin D3 kann Krebsmortalität senken

  • Drei Metaanalysen11 von 35 methodisch hochwertigen Studien zum Nutzen von Vitamin D3 auf die Krebssterblichkeit zeigten beeindruckende Ergebnisse: Unter der täglichen Supplementierung von 400 bis 2.000 IE Vitamin D3, abhängig vom Studiendesign, sank die Sterblichkeit im Vergleich zu Placebo über alle Krebsarten signifikant um etwa 13 %. Hinsichtlich der Krebsinzidenz zeigte sich eine geringe, statistisch allerdings nicht signifikante Reduzierung.
  • Knapp 26.000 Probanden, eine 16-jährige Beobachtungszeit – das sind die Daten von acht internationalen Studien, die das Deutsche Krebsforschungszentrum einer Metaanalyse zum potenziellen Einfluss von Vitamin D3 auf Krebs unterzog.12 Dabei lag die Gesamtsterblichkeit der Teilnehmenden mit den niedrigsten Vitamin-D3-Serumspiegeln über alle Studien hinweg um 1,57-fach höher als in der Gruppe mit den höchsten Vitamin-D3-Werten.
  • Laut einer Mendelschen Randomisierung an Daten von 300.000 Probanden ist ein Vitamin-D3-Mangel sowohl mit einer erhöhten Krebs- als auch Gesamtsterblichkeit verbunden.13
  • In der VITAL-Studie mit fast 26.000 Teilnehmenden reduzierte die Supplementierung mit 2.000 IE Vitamin D3 – in Kombination mit Omega-3-Fettsäuren – zwar nicht signifikant den primären Endpunkt Krebsinzidenz. Allerdings konnte für die Vitamin-D3-Gruppe im Vergleich zu Placebo eine signifikante Verringerung der Krebserkrankungen im fortgeschrittenen Stadium nachgewiesen werden.14

Onkologische Begleittherapie: Vitamin C als Infusion

In pharmakologischen Dosen und intravenös verabreicht wirkt Vitamin C nicht antioxidativ, sondern prooxidativ, wodurch beispielsweise zellschädigende Peroxide entstehen. Diese prooxidativen Eigenschaften sollen sich therapeutisch gegen Tumorzellen richten, da Tumorzellen freie Radikale weniger effektiv im Vergleich zu normalen Zellen neutralisieren. Man geht also von einer selektiv zytotoxischen Wirkung von hochdosiertem Vitamin C auf Krebszellen aus.15

Allerdings wurde in der Vergangenheit nur in wenigen klinischen Studien eine potenzielle Wirkung von hochdosiertem Vitamin C bei Krebs geprüft.16–18 Laut National Cancer Institut ist der Nutzen des Biofaktors in der komplementären Onkologie jedoch durchaus zu beachten.19,20 Voraussetzung sei die intravenöse Verabreichung in ausreichend hohen Dosen, um die gewünschten pharmakologischen Effekte zu erzielen.21

Welche Rolle spielt der Biofaktor Zink bei Krebs?

Es gibt Hinweise auf einen Zinkmangel bei Erkrankten verschiedener Krebsarten und eine Korrelation zwischen Zinkmangel und Schwere der Erkrankung bzw. Überlebensrate. Im Zinkmangel werden die Aktivität natürlicher Killerzellen und die Interleukin-2-Erzeugung negativ beeinflusst, während Zinksupplemente die Angiogenese und die Induktion von entzündlichen Zytokinen verringern und die Apoptose in Krebszellen erhöhen konnten. Laut Untersuchungen zeichnet sich der Biofaktor durch Zyto­toxizität und tumorunterdrückende Effekte aus – und das sowohl in vitro als auch in vivo sowie in Studien am Menschen.23–25

Insgesamt ist die Studienlage inkongruent,26 dennoch sollten die positiven Effekte des Biofaktors auf das Krebsgeschehen berücksichtigt werden.

Krebs und Biofaktoren: Was ist das Fazit?

Im Hinblick auf den Einsatz von Biofaktoren in der komplementären Onkologie zeigt sich, dass ein ernährungs- und arzneimittelbedingter Biofaktorenmangel auszugleichen ist und dass sich einzelne Biofaktoren durch zusätzliche Effekte auf das Tumorgeschehen auszeichnen. Insbesondere ein Mangel an Vitamin D3 und Zink sollte vermieden werden. Zudem sind die pharmakologischen Effekte von hochdosiertem, intravenös verabreichtem Vitamin C zu beachten.

► Weitere Informationen finden Sie im Beitrag „Biofaktoren und Krebs?“.

Literatur

1 Marshall KM et al.: Prevalence of malnutrition and impact on clinical outcomes in cancer services: A comparison of two time points. Clinical Nutrition 2018. doi: 10.1016/j.clnu.2018.04.007
2 https://www.dge.de/wissenschaft/referenzwerte/?L=0
3 www.krebsgesellschaft.de/onko-internetportal/basis-informationen-krebs/bewusst-leben/basis-informationen-krebs-bewusst-leben-ernaehrung/mangelernaehrung-.html
4 www.gf-biofaktoren.de/wissenswertes-ueber-biofaktoren/diagnose/
5 www.leitlinienprogramm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Leitlinien/Komplementär/Version_1/LL_Komplementär_Kurzversion_1.1.pdf
6 Biesalski HK: Vitamine, Spurenelemente und Minerale: Indikation, Diagnostik, Therapie. 2019, 2. Auflage, Thieme-Verlag, Stuttgart
7 Mohn et al.: Evidence of Drug-Nutrient interactions with chronic use of commonly prescribed medications: An update. Pharmaceutics 2018 Maar 20; 10(1): 36
8 Samaras D et al.: Effects of widely used drugs on micronutrients: A story rarely told. Nutrition 2013 Apr; 29(4): 605-610
9 https://www.gf-biofaktoren.de/tipps-tests/biofaktoren-raeuber/
10 Gröber U: Arzneimittel und Mikronährstoffe. Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH 2007
11 Keum N et al.: Vitamin D supplementation and total cancer incidence and mortality: a meta-analysis of randomized controlled trials. Ann Oncol 2019 May 1; 30(5): 733-743
Haykal T et al.: The role of vitamin D supplementation for primary prevention of cancer: meta-analysis of randomized controlled trials. J Community Hosp Intern Med Perspect. 2019 Dec 14; 9(6): 480-488
Zhang X et al.: Meta-analysis of randomized controlled trials on vitamin D supplement and cancer incidence and mortality. Biosci Rep 2019 Nov 29; 39(11): BSR20190369
12 Maalmi H et al.: Serum 25-hydroxyvitamin D levels and survival in colorectal and breast cancer patients: Systematic review and meta-analysis of prospective cohort studies. Eur J Cancer 2014 May; 50(8): 1510-1521
13 Sutherland JP et al.: Vitamin D Deficiency increases mortality risko in the OK Biobank. Annals of Internal Medicine 2022 Nov; 175(11): 1552-1559
14  Manson KE at al.: Principal results of the VITamin D and OmegA-3 TriaL (VITAL) and updated meta-analyses of relevant vitamin D trials. J Steroid Biochem Mol Biol 2020 Apr; 198: 105522
15 Ma Y et al.: High-dose parenteral ascorbate enhanced chemosensitivity of ovarian cancer and reduced toxicity of chemotherapy. Sci Transl Med 2014 Feb 5; 6(222): 222ra18
16 Creagan ET et al.: Failure of high-dose vitamin C (ascorbic acid) therapy to benefit patients with advanced cancer. A controlled trial. N Engl J Med 1979 Sep 27; 301(13): 687-690
17 Moertel CG et al.: High-dose vitamin C versus placebo in the treatment of patients with advanced cancer who have had no prior chemotherapy. A randomized double-blind comparison. N Engl J Med 1985 Jan 17; 312(3): 137-141
18 Jacobs C et al.: Is there a role for oral or intravenous ascorbate (vitamin C) in treating patients with cancer? A systematic review. Oncologist 2015 Feb; 20(2): 210-223
19 Ohno S et al.: High-dose vitamin C (ascorbic acid) therapy in the treatment of patients with advanced cancer. Cancer Res 2009 Mar; 29(3): 809-815
20 Nauman G et al.: Systematic Review of Intravenous Ascorbate in Cancer Clinical Trials. Antioxidants (Basel) 2018 Jul 12; 7(7): 89
21 Mohseni S et al.: Effect of vitamins C and E on cancer survival; a systematic review. Daru 2022 Dec; 30(2): 427-441 
22 Prasad AS et al.: Zinc in cancer prevention. Nutr Cancer 2009; 61(6): 879-887 
23 Gelbard A: Zinc in cancer therapy revisited. Isr Med Assoc J 2022 Apr; 24(4): 258-262
24 Choi S et al.: Selective inhibitory effects of zinc on cell proliferation in esophageal squamous cell carcinoma through Orai1. FASEB J 2018 Jan; 32(1): 404-416 
25 Kwak JH et al.: Dietary zinc intake and mortality in patients with intestinal-type gastric cancer: A prospective cohort study in Korea. Front Oncol 2022 Nov 7; 12: 947405
26 Hoppe C et al.: Zinc as a complementary treatment for cancer patients: a systematic review. Clinical and Experimental Medicine 2021; 21: 297–313

Dr. Daniela Birkelbach
Gesellschaft für Bio­faktoren e. V. 
daniela.birkelbach@
gf-biofaktoren.de
www.gf-biofaktoren.de

Die Gesellschaft für Biofaktoren e. V. (www.gf-biofaktoren.de) ist ein gemeinnütziger Verein, der das Ziel verfolgt, die wissenschaftlichen Grundlagen der Therapie und Prophylaxe mit Biofaktoren zu fördern.