In der orthopädischen Praxis auf den Biofaktorenstatus achten

Biofaktoren wie Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente spielen aufgrund vielfältiger Aufgaben im Organismus sowohl in der Prävention als auch in der Therapie körperlicher und mentaler Erkrankungen eine wichtige Rolle. Daher sollte in der täglichen Praxis auf die Biofaktorenversorgung der Patienten* geachtet und ein Mangel erkannt und gezielt ausgeglichen werden, so die Meinung von Prof. Klaus Kisters im Interview.

Prof. Kisters, Sie sind seit vielen Jahren stellvertretender Vorsitzender der Gesellschaft für Biofaktoren (GfB). Was sehen Sie persönlich als die wichtigsten Ziele der Gesellschaft an?

Prof. Kisters: Die GfB, die bereits 1994 gegründet wurde, möchte sowohl Fachgruppen als auch Patienten über die umfangreichen physiologischen Funktionen von Vitaminen und Mineralstoffen informieren und auf die speziellen Wirkungen einzelner Biofaktoren und die gesundheitlichen Folgen eines Mangels eingehen. Biofaktoren haben eine gesundheitsfördernde oder krankheitsvorbeugende
biologische Aktivität und können abhängig von ihrer Konzentration auch pharmakologische Wirkungen im Körper erzielen.

Und nun zu Ihrer Frage, was mir persönlich besonders wichtig ist. Es gilt auf den Unterschied zwischen der oft pauschalen Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln – quasi nach dem Gießkannenprinzip – und der an das jeweilige Krankheitsgeschehen und an die individuellen Bedürfnisse des Patienten angepasste Biofaktorenversorgung und Supplementierung hinzuweisen. Dem Patienten hilft es nicht, ein Nahrungsergänzungsmittel mit möglichst vielen Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen einzunehmen, weil er befürchtet, dass seine Ernährung zu wenig davon enthält. Es geht vielmehr um den gezielten Einsatz einzelner, wissenschaftlich geprüfter Biofaktoren, die als zugelassene Arzneimittel einen Mangel ausgleichen und eine Therapie ergänzen und unterstützen können.

Mögen Sie vielleicht noch etwas ausführlicher auf die Unterschiede zwischen Nahrungsergänzungsmitteln und Arzneimitteln eingehen?

Prof. Kisters: Gern. Nahrungsergänzungsmittel sind vom Gesetz her Lebensmittel. Sie werden vor dem Inverkehrbringen beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit gemeldet, ein Nachweis der Sicherheit und Wirksamkeit des Produktes ist allerdings nicht erforderlich. So heißt es beispielsweise auf der Website des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit „Vor dem ersten Inverkehrbringen von Nahrungsergänzungsmitteln findet keine Prüfung oder Genehmigung durch eine Behörde statt.“

Für Arzneimittel – auch für Biofaktoren in Form eines Arzneimittels – gilt hingegen das Arzneimittelrecht. Um die Zulassung zu erhalten, ist jeder Hersteller verpflichtet, Sicherheit und Wirksamkeit des Arzneimittels nachzuweisen. Ebenfalls ein wichtiger Unterschied: Nahrungsergänzungsmittel dienen der Ergänzung der allgemeinen Ernährung bei gesunden Menschen. Arzneimittel hingegen dienen der Linderung und Heilung von Krankheiten und Beschwerden. Letzteres gilt auch für als Arzneimittel zugelassene Biofaktoren. In den jeweiligen Pflichttexten heißt es dann „bei einem nachgewiesenen Vitamin- bzw. Mineralstoffmangel“ oder „zur Vorbeugung gegen...“

Was bedeutet dieser Aspekt Ihrer Meinung nach für die tägliche Patientenbetreuung?

Prof. Kisters: Ich halte es generell für wichtig, der Biofaktorenversorgung in der Praxis gezielt Aufmerksamkeit zu schenken und eine Selbstmedikation durch den Patienten zu vermeiden. Nehmen wir als Beispiel eine für Ihre Leser wichtige Patientengruppe, die Osteoporose-Patienten. Dass Calcium ein wichtiger Baustein für die Knochen ist, hat sich ja mittlerweile auch bei den Patienten herumgesprochen. Dieses Wissen sollte aber nicht dazu führen, möglichst hochdosiert Calcium zu supplementieren – vielleicht sogar kombiniert mit einer calciumreichen Ernährung. Hier gilt es, den Patienten auf das erhöhte Risiko einer Hyperkalzämie mit der Gefahr von kardiovaskulären Erkrankungen oder Nierensteinen hinzuweisen. Auch nach den Empfehlungen des Dachverbandes Osteologie sollten ja nicht mehr als etwa 1.000 mg des Biofaktors und die zunächst nur über eine calciumreiche Kost aufgenommen werden. Lediglich bei nachgewiesenem Mangel oder unter einer Behandlung mit Bisphosphonaten werden überhaupt erst Calciumsupplemente eingesetzt.

In der täglichen Praxis sollte auf die Biofaktorenversorgung der Patienten geachtet und ein Mangel erkannt und gezielt ausgeglichen werden. Prof. Klaus Kisters


Ich betone diesen Aspekt aber noch aus einem anderen Grund. Bei Osteoporose-Risikopatienten allein auf die Calciumversorgung zu achten, reicht laut physiologischen Zusammenhängen und Studienlage nicht. Neben Magnesium ist vor allem auch der Vitamin-D3-Status zu berücksichtigen. Vitamin D3 beeinflusst den Calcium- und Phosphatstoffwechsel, fördert die intestinale Calciumabsorption und erhöht dessen Rückresorption in der Niere. Außerdem zeichnet sich der Biofaktor durch eigene positive Effekte auf Sturzprävention und Reduktion von Wirbelkörper- und Hüftgelenksfrakturen aus.

Aber auch hier darf der Patient nicht allein gelassen werden. Die positiven Effekte von Vitamin D3 sind, wie wir wissen, in der Tages- und Publikumspresse sehr präsent. Nicht nur eine übermäßige Sonnenexposition ist aufgrund des erhöhten Hautkrebsrisikos der falsche Weg, um seinen Vitamin-D3-Status zu verbessern. Auch die Einnahme sehr hoher Vitamin-D3-Dosen ohne Laborkontrolle ist fahrlässig. Vitamin D3 ist ein lipidlösliches Vitamin, eine Hypervitaminose D daher nicht auszuschließen. Besser ist eine gezielte Vitamin-D3-Diagnostik über die Messung des Calcidiol-Serumspiegels als Speicherform von Vitamin D3 und eine Supplementierung nur bei einem nachgewiesenen Vitamin-D3-Mangel. Hier gilt als Richtwert 50 nmol/l oder 20 ng/ml. Die Vitamin-D3-Versorgung ist also gesichert, wenn die Serumkonzentration von Calcidiol über 50 nmol/l bzw. 20 ng/ml liegt. Übrigens bezahlen die Krankenkassen die Labordiagnostik dann, wenn der Verdacht auf einen Vitamin-D3-Mangel bzw. ein behandlungsbedürftiger Mangel vorliegt oder – anders ausgedrückt – eine medizinische Notwendigkeit besteht.


Und wie sieht es mit der Erstattungs­fähigkeit der Biofaktorenpräparate aus? Welche Voraussetzungen müssen hier für eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen erfüllt sein?

Prof. Kisters: Das ist tatsächlich eine wichtige Frage, vor allem natürlich für den Patienten selber. Die meisten als Arzneimittel zugelassenen Biofaktorenpräparate sind nicht verschreibungspflichtig. Zu den verschreibungspflichtigen Biofaktoren zählen hochdosierte Arzneimittel mit Vitamin A oder Vitamin D3. Diese können zur Behandlung von Erkrankungen, für die sie zugelassen sind, zu Lasten der Krankenkasse verordnet werden.

Nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel hingegen sind im Allgemeinen von der Erstattungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. In der Anlage 1 der Arzneimittelrichtlinien werden jedoch einige Ausnahmen genannt, bei denen nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel in der Behandlung von Krankheiten und bei der Einnahme bestimmter Medikamente verordnet werden können. Im Falle von Calcium und Vitamin D3 sind das Calciumverbindungen mit mindestens 300 mg Calcium pro Dosiseinheit und Vitamin D3 als Kombination sowie Vitamin D3 als Monopräparat bei ausreichender alimentärer Calciumzufuhr zur Behandlung der manifesten Osteoporose, im Rahmen einer Steroidtherapie mit mindestens 7,5 mg Kortison über einen Zeitraum von sechs Monaten oder bei einer Bisphosphonat-Behandlung. Calciumverbindungen als Monopräparate können bei Pseudohypo- und Hypoparathyreodismus und ebenfalls bei einer Bisphosphonat-Behandlung erstattet werden.

Hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit versteht es sich von selbst, dass Biofaktoren in Form eines Nahrungsergänzungsmittels nicht zulasten der gesetzlichen Krankenkassen verordnet werden können. Voraussetzung ist immer eine Zulassung als Arzneimittel.

Herzlichen Dank für das Interview,
Herr Prof. Kisters!

 

Dr. rer. nat. Daniela Birkelbach
Gesellschaft für  Bio­faktoren e. V. 
daniela.birkelbach@
gf-biofaktoren.de
www.gf-biofaktoren.de

Die Gesellschaft für Biofaktoren e. V. ist ein gemeinnütziger Verein, der das Ziel verfolgt, die wissenschaftlichen Grundlagen der Therapie und Prophylaxe mit Biofaktoren zu fördern. Weitere Informationen: www.gf-biofaktoren.de

*Zur besseren Lesbarkeit kann in Texten das generische Maskulinum verwendet werden. Nichtsdestoweniger beziehen sich die Angaben auf Angehörige aller Geschlechter.