COVID-19: Risiko Vitamin-D3-Mangel

Ein ausreichender Vitamin-D3-Status kann das Risiko für eine Virusinfektion minimieren. Laut Studien gilt dies auch für eine COVID-19-Infektion, obwohl die Datenlage bis heute nicht kongruent ist.

„Ein Vitamin-D3-Mangel kann die Anfälligkeit für virale Infektionen erhöhen. Für Funktion und Regulierung des angeborenen und erworbenen Immunsystems ist daher eine ausreichende Vitamin-D3-Versorgung essentiell“, betont Prof. Hans Georg Classen, Vorsitzender der Gesellschaft für Biofaktoren (GfB). Der Biofaktor kann das Infektionsrisiko mindern und die Immunfunktion stärken, indem es Zellen des humoralen und zellulären Abwehrsystems aktiviert und der entzündungsfördernden Zytokine reduziert.1,2,3

Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) weist auf die Bedeutung einer guten Vitamin-D3-Versorgung zur Immunstabilisierung hin. „Je niedriger der Vitamin-D3-Status, desto höher das Infektionsrisiko“. Zudem könnten bei einem Vitamin-D3-Defizit Supplemente einen positiven Einfluss auf die Prävention von akuten Atemwegsinfektion haben.4 Letzteres konnte eine Metaanalyse an über 11.000 Studienteilnehmern bestätigen, wobei insbesondere Menschen mit Vitamin-D3-Mangel – in Deutschland immerhin über 60 % – von der Supplementierung profitieren.5,6 

Studienlage nicht eindeutig

Auch wenn eindeutig belegt ist, dass ein Vitamin-D3-Mangel das Risiko für Virusinfektionen erhöhen kann, zeigten wissenschaftliche Untersuchungen im Hinblick auf den Nutzen des Biofaktors bei COVID-19 keine klare Evidenz. Eine Auswertung von 30 Studien vom August 2020 konnte eine Korrelation zwischen Vitamin-D3-Mangel und erhöhtem SARS-CoV-2-Risiko nachweisen.7 Andere Untersuchungen zeigten, dass COVID-19-Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf häufiger unter Vitamin-D3-Mangel litten als weniger schwerkranke Patienten.8 Allerdings sind auch Studien mit gegenteiligem Ergebnis bekannt.9

„Befunde, bei denen nicht dokumentiert ist, wie der Vitamin-D3-Status vor der Erkrankung war, sollten generell kritisch bewertet werden“, betonte Prof. Classen von der GfB. Ein Vitamin-D3-Mangel kann auch Folge und nicht Ursache einer COVID-19-Infektion sein, da die Vitamin-D3-Spiegel bei der unspezifischen Immunantwort auf eine starke Infektion, der Akute-Phase-Reaktion, kurzfristig stark absinken. Eine spanische Untersuchung vom Oktober 2020 an 80 COVID-19-Patienten hat diesen Aspekt aufgegriffen und den Vitamin-D3-Status der Patienten vor Ausbruch der Infektion berücksichtigt – mit dem Ergebnis, dass ein vorbestehender Vitamin-D3-Mangel tatsächlich das Risiko für einen schweren Infektionsverlauf erhöhen kann.10

 

25(OH)D
in nmol/l

25(OH)D
in ng/ml

Interpretation

 

<30

<12

Mangelhafte Versorgung mit erhöhtem Risiko für Rachitis, Osteomalazie und Osteoporose.

 

30 ≤ 50

12 ≤ 20

suboptimale Versorgung

 

50 ≤ 75

20 ≤ 30

ausreichende Versorgung

 

75 ≤ 125

30 ≤ 50

Ausreichende Versorgung ohne weiteren Zusatznutzen für die Gesundheit.

 

≥ 125

≥ 50

Mögliche Überversorgung, die für den Körper negative gesundheitliche Folgen haben kann, zum Beispiel Hyperkalzämien, die zu Nierensteinen oder Herzrhythmusstörungen führen können.

 

25(OH)D ist Vorläufer des aktiven Vitamin D3 und kann in den Einheiten nmol/l oder ng/ml angegeben werden (für die Umrechnung von nmol/l in ng/ml teilt man den Wert durch 2,5).7

Was kann die Vitamin-D3-Supplementierung bewirken?

Ergebnisse reiner Beobachtungsstudien müssen dennoch vorsichtig eingeschätzt werden, da Menschen mit ausreichendem Vitamin-D3-Status möglicherweise insgesamt eine gesündere Lebensweise führen, die sich in Summe auf die Schwere einer COVID-19-Infektion auswirken könnte. Auch tritt ein Vitamin-D3-Defizit häufig bei Patienten auf, die ohnehin zur Risikogruppe für einen schwereren Erkrankungsverlauf zählen – ältere Menschen.

Deshalb sind Studien interessant, in denen Effekte einer Vitamin-D3-Supplementierung auf den Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion geprüft wurden. Auch wenn nicht alle Untersuchungen einen potentiellen Nutzen bestätigen konnten,11 zeigte die viel zitierte Córdoba-Studie positive Auswirkungen einer Vitamin-D3-Gabe. 50 von 76 COVID-19-Erkrankte erhielten zusätzlich zur normalen Therapie Cholecalciferol in einer Dosierung von mehr als 40.000 IE in der ersten Woche und nur einer aus dieser Gruppe – was 2 % entspricht – musste intensivmedizinisch behandelt werden. Von den 26 Personen aus der Kontrollgruppe war dies bei 13 Patienten der Fall (50 %) und zwei Erkrankte starben.12 Allerdings litten Patienten der Kontrollgruppe zweimal häufiger an Hypertonie und dreimal häufiger an Diabetes mellitus – bekanntermaßen Risikofaktoren für einen schwereren Infektionsverlauf. Diese einschränkende Korrelation wurde statistisch jedoch nochmal überprüft – und es konnte nachgewiesen werden, dass das geringere Risiko für eine intensivmedizinische Behandlung nicht mit den Vorerkrankungen, sondern doch mit der Vitamin-D3-Supplementierung verknüpft ist.13

Auch in einer Stellungnahme vom Juni 2021 von Prof. Hermann Brenner vom DKFZ Heidelberg heißt es, dass „Studienergebnisse konsistent zeigen, dass COVID-19-Patienten mit einer nicht behandelten Vitamin-D-Defizienz beziehungsweise -Insuffizienz ein mehr als 10-fach erhöhtes Risiko für einen schweren beziehungsweise letalen Verlauf haben im Vergleich zu Patienten mit ausreichendem Vitamin-D3-Status oder Supplementierung.“14,15,16 

Expertengruppe empfiehlt Vitamin D3 bei Risikopatienten und Mangel

Die Fachgruppe COVRIIN, die das Robert-Koch-Institut unterstützt und berät, hat das Studienmaterial einer Vitamin-D3-Supplementierung bewertet und keine regelhafte Therapieempfehlung erteilt: „Außerhalb von kontrollierten Studien kann bisher keine Empfehlung zur Verwendung von Vitamin D3 zur Therapie oder Prophylaxe von SARS-CoV-2-Infektionen gegeben werden“, so das offizielle Statement und die letzte Aktualisierung des RKI von Januar 2021.17

Allerdings bestätigt die Fachgruppe, dass es Hinweise für ein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf bei Vitamin-D3-Mangel, Hinweise auf ein reduziertes Risiko für Intensivpflichtigkeit unter Vitamin-D3-Substitution und Hinweise auf schnellere Viruselimination unter Vitamin-D3-Supplementierung bei vorliegendem Vitamin-D3-Mangel gibt. Aufgrund der bisher veröffentlichten Ergebnisse empfiehlt COVRIIN daher eine Vitamin-D3-Substitution bei Patienten mit nachgewiesenem oder vermutetem Mangel, bei denen ein erhöhtes Risiko für COVID-19 besteht oder bereits eine COVID-19-Erkrankung vorliegt und bei kritisch kranken Patienten eine Substitution bei nachgewiesenem Vitamin-D3-Defizit (≤ 30 nmol/l) entsprechend Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie und den aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin.

 

Fazit: Kein Therapeutikum, aber Mangel vermeidenFür eine generelle Empfehlung einer Vitamin-D3-Supplementierung bei COVID-19 bzw. Virisinfektion allgemein fehlt es weiterhin an großen klinischen Interventionsstudien. Allerdings weisen die positiven Studienergebnisse  und Empfehlungen aus der Wissenschaft darauf hin, zumindest bei Risikogruppen und nachgewiesenem Vitamin-D3-Mangel eine gezielte Supplementierung des Biofaktors durchzuführen.

 

 

Literatur

1 Gombart AF et al.: A review of micronutritients and the immune system - working in harmony to reduce the risk of infection. Nutritions 2020, 12. DOI: 10.3390/nu12010236
2 Wang et al.: Cutting the edge: 1,25-dihydroxyvitamin D3 is a direct inducer of antimicrobial peptide gene expression. J Immunol 2004, 173: 2909-2912 3 Di Rosa M et al.: Vitamin D3: a helpful immunmodulator. Imunology 2011, 134: 123-139
4 www.dge.de/presse/guter-vitamin-d-status-kann-vor-akuten-Atemwegsinfektionen-schützen
5 Martineau AR et al.: Vitamin D supplementation to prevent acute respiratory tract infections: systematic review and meta-analysis of individual participant data. BMJ 2017 Feb, 15: 356 ff
6 Rabenberg M et al.: Journal of Health Monitoring 2016, 1(2). Robert Koch-Institut, Berlin. DOI 10.17886/RKI-GBE-2016-036
7 Biesalski HK: Vitamin D deficiency and co-morbidities in COVID-19 patients – A fatal relationship? NFS Journal 2020 Aug, 20: 10-21
8 Jain A et al.: Analysis of vitamin D level among asymptomatic and critically ill COVID-19 patients and its correlation with inflammatory markers. Scientific Reports volume 10, Article number: 20191 (2020). Published: 19 November 2020
9 Walk J et al.: Vitamin D – contrary to vitamin K – does not associate with clinical outcome in hospitalized COVID-19 patients. DOI: doi.org/10.1101/2020.11.07.20227512
10 Macaya F et al.: Interaction between age and vitamin D deficiency in severe COVID-19 infection. Nutrition Hospitalaria, 2020 Oct, 37(5): 1039-1042
11 Murai IH et al.: Effect of vitamin D3 supplementation vs placebo on hospital length of stay in patients with severe COVID-19: A multicenter, double-blind, randomized controlled trial. JAMA 2021; e2026848 https://doi.org/10.1101/2020.11.16.20232397 November 17, 2020
12 Castillo ME et al.: Effect of calcifediol treatment and best available therapy versus best available therapy on intensive care unit admission and mortality among patients hospitalized for COVID-19: A pilot randomized clinical study. J Steroid Biochem Mol Biol 2020 Oct, 203. DOI: 10.1016/j.jsbmb.2020.105751
13 Jungreis I et al.: Mathematical analysis of Córdoba calcifediol trial suggests strong role for Vitamin D in reducing ICU admissions of hospitalized COVID-19 patients. medRxiv preprint BMJ Yale. DOI: https://doi.org/10.1101/2020.11.08.20222638 November 12, 2020
14 Radujkovic A et al.: Vitamin D deficiency and outcome of COVID-19 patients.Nutrients 2020, 12: 2757
15 Annweiler G et al.: Vitamin D supplementation associated to better survival in hospitalized frail elderly COVID-19 patients: the GERIA-COVID quasi-experimental study. Nutrients 2020, 12: E3377
16 Entrenas CM et al.: Effect of calcifediol treatment and best available therapy versus best available therapy on intensive care unit admission and mortality among patients hospitalized for COVID-19: a pilot randomized clinical study. J Steroid Biochem Mol Biol 2020, 203: 105751
17 www.rki.de/COVRIIN_Dok/Therapieuebersicht/

Weitere Informationen zu Vitamin D sowie die CME-zertifizierte Fortbildung des diesjährigen Online-Symposiums der GfB zum Erwerb von Fortbildungspunkten stehen Ihnen auf der Webseite www.gf-biofaktoren.de zur Verfügung. Die Gesellschaft für Biofaktoren e. V. ist ein gemeinnütziger Verein, der das Ziel verfolgt, die wissenschaftlichen Grundlagen der Therapie und Prophylaxe mit Biofaktoren zu fördern.

 

Dr. Daniela Birkelbach
Gesellschaft für Biofaktoren e. V. 
daniela.birkelbach@gf-biofaktoren.de
www.gf-biofaktoren.de